Portrait chinesischer Dissident: Der Unbeugsame
Der 54-jährige Philosoph Liu Xiaobao wird seit einem Jahr in China gefangen gehalten - ein Gerichtsverfahren gibt es nicht.
Genau vor einem Jahr, in der Nacht zum 9. Dezember, drangen Polizisten in die Pekinger Wohnung von Liu Xiaobo und seiner Frau Liu Xia ein. Sie beschlagnahmten die Computer des 54-jährigen Philosophen und zerrten ihn aus dem Haus. Einen Haftbefehl hatten sie nicht. Seither wird Liu, einer der bekanntesten Regierungskritiker Chinas, gefangen gehalten – ohne Verfahren.
Liu ist Präsident des von Peking nicht anerkannten chinesischen PEN-Clubs und ein Verfasser des Reformappells Charta 08. Das Dokument erschien 2008 zum Menschenrechtstag am 10. Dezember im Internet. Darin forderten über 300 Intellektuelle Meinungs-, Presse- und Wahlfreiheit sowie eine unabhängige Justiz. Obwohl die Zensoren die Charta sofort von Webseiten löschten, kursierte sie. Tausende Chinesen unterzeichneten seitdem – wohl wissend, dass sie so in den Blick der Staatssicherheit gerieten.
Der Fall Liu wirft denn auch ein Schlaglicht auf die Zivilcourage vieler Chinesen wie auf die Arroganz und Willkür, mit der Funktionäre das Recht beugen. Monatelang hielten Polizisten Liu an geheimer Stelle gefangen, bevor sie im Sommer 2009 offiziell bekannt gaben, sie hätten ihn wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" festgenommen. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis.
Seine Frau, eine Künstlerin, durfte ihn nach seiner Verschleppung zuletzt im März sehen. Der prominente Anwalt Mo Shaoping darf ihn nicht vertreten, weil er selbst die Charta 08 unterschrieb. Obwohl Liu von Rechts wegen längst hätte vor Gericht gestellt werden müssen, schieben die Behörden den Prozess mit Hilfe von Sondervollmachten immer wieder hinaus. Offenbar warten sie auf das Urteil der KP-Führung.
Liu, der einst Philosophie und Literatur lehrte, saß bereits nach der Niederschlagung der Tiananmen-Proteste 1989 für 20 Monate im Gefängnis. Danach veröffentlichte er weiterhin kritische Kommentare, Analysen und Gedichte. Er wurde in ein Arbeitslager gesperrt und stand immer wieder unter Hausarrest. Liu erhielt bereits zahlreiche Menschenrechtspreise. Nobelpreisträger, hunderte Schriftsteller und sogar US-Präsident Barack Obama setzten sich vergeblich in Peking für ihn ein.
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