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Portrait Oskar LafontaineAußen radikal, innen Realist

Kein deutscher Politiker hat sich so oft neu erfunden. Mit Gespür für den richtigen Zeitpunkt und die richtige Tonlage. Mit großem Ego, aber nie als Betonkopf, für den ihn viele hielten.

Er war die Schlüsselfigur der Linkspartei: Oskar Lafontaine. Bild: dpa

Eigentlich sieht er ganz zufrieden mit sich aus. Dutzende Fotografen drängeln sich um ihn, Oskar Lafontaine lächelt, leicht ironisch, wie meist. Es ist Samstagmittag, der Raum im Karl-Liebknecht-Haus, der Zentrale der Linkspartei, ist zu klein für die vielen Journalisten. Gregor Gysi sitzt stumm neben Lafontaine im Blitzlichtgewitter und sieht, was selten passiert, traurig aus.

Mit regungsloser Miene hört er, dass Lafontaine sich "aus gesundheitlichen Gründen" aus der Bundespolitik zurückziehen werde. Lafontaine wird sein Bundestagsmandat zurückgeben und nicht mehr als Parteivorsitzender antreten. Der Krebs, sagt er, war ein "Warnschuss, den ich nicht mehr ignorieren konnte".

Er wird noch Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen machen, bleibt Fraktionschef im saarländischen Landtag und wird sich von dort in die Bundespolitik einmischen. Für manche in der Linkspartei mag das wie eine Drohung klingen. Aber das spielt im Moment keine große Rolle. Mit Lafontaine verliert die Linkspartei ihre Schlüsselfigur. "Ohne Oskar", sagt Gysi, "würde es die Linkspartei, so wie sie ist, nicht geben." Gysi hat alles dafür getan, um Lafontaine zu halten. Weil er fürchtet, dass die Partei noch zu unreif ist, um ohne ihren großen Vorsitzenden auszukommen. "Es tut weh", sagt Gysi.

Kein deutscher Politiker ist so spektakulär abgetreten wie Lafontaine. Und keiner so spektakulär zurückgekommen. 1990 lehnte er, nach dem Messerattentat auf ihn und der verlorenen Bundestagswahl, den SPD-Vorsitz ab, der damals noch viel wert war. 1999 trat er, zur Verblüffung auch enger Mitarbeiter, als Finanzminister und SPD-Vorsitzender zurück.

Denn Schröder und Fischer wollten mit Rot-Grün in die Mitte, Lafontaine nicht. Er wollte, zehn Jahre vor dem großen Crash, die Finanzmärkte regulieren. Die SPD tat genau das Gegenteil. "Dass die Aktienkurse und der Euro nach meinem Rücktritt nach oben schossen, ist das größte Kompliment, das ich als Politiker erfahren habe. Die haben mich ernst genommen", sagte Lafontaine später.

Sein Rücktritt 1999 war nur konsequent. In der Schröder- SPD wäre ihm nur die Rolle des linken Maskottchens geblieben. Damals hat das in der SPD niemand so gesehen. Viele haben ihn richtig gehasst, vor allem weil er auch den SPD-Vorsitz niederlegte. Außerdem hat Lafontaine seinen Rücktritt provokant inszeniert. Er schrieb eine knappe Nachricht an Schröder und tauchte tagelang einfach ab. Viele fanden das egozentrisch.

Oskar Lafontaine

Persönliches: Geboren am 16. September 1943 in Saarlouis, 1962 Abitur an einem katholischen Internat, 1969 als Diplomphysiker, in dritter Ehe verheiratet mit Linke-Politikerin Christa Müller.

Erste Karriere: 1974 Bürgermeister von Saarbrücken, 1976 bis 1985 Oberbürgermeister, 1985 zum Ministerpräsidenten des Saarlands gewählt (und später zweimal wiedergewählt), 1990 unterlegener Kanzlerkandidat der SPD in der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl.

Erster Abgang: Nach der Wahlniederlage Verzicht auf den SPD-Vorsitz und Rückzug aus der Bundespolitik.

Erstes Comeback: 1995 auf dem Mannheimer Parteitag Putsch gegen SPD-Chef Scharping, Wahl zum SPD-Chef ("Glückauf, Genossen!").

Zweite Karriere: Mit Gerhard Schröder und Rudolf Scharping Bildung der SPD-Troika, nach rot-grünem Wahlsieg 1998 Finanzminister, Rücktritt als saarländischer Ministerpräsident.

Zweiter Abgang: 1999 Rücktritt von allen Ämtern ("schlechtes Mannschaftsspiel").

Dritte Karriere: 2005 Kovorsitzender der Linkspartei.

Auch diesmal hat Lafontaines langes Schweigen seine Partei irritiert, verstört und aufgebracht. Aber dies ist etwas anderes. Dies ist, so formuliert es Lafontaine am Samstag, die zweite "existenzielle Krise" in seinem Leben, nach dem Attentat 1990. Es geht um eine unberechenbare Krankheit. Es ist kein Abschied, den er gewählt hat.

Keiner hat so spektakuläre Comebacks inszeniert wie er. 1995 putschte er mit einer Rede gegen den damaligen SPD-Vorsitzenden Rudolf Scharping. Es war ein Moment, in dem schlaglichtartig sein Talent sichtbar wurde: Niemand sonst hätte es vermocht, die Mehrheitsverhältnisse auf einem Parteitag mit einer Rede zu ändern.

Lafontaine ist ein ein Volkstribun, der mit Worten verzaubern und einen Saal in Erregung versetzen kann; ein Narziss, dessen Stärke das Situative ist, nicht die lange Strecke. Meistens jedenfalls. Nach 1995 brachte er mit Geduld und Härte die zerstrittene SPD auf Vordermann. Er organisierte im Bundesrat eine Blockade gegen Schwarz-Gelb, die den Grundstein für den rot-grünen Sieg von 1998 bildete. Als SPD-Chef war er, abermals zur Verblüffung seiner Zeitgenossen, nüchtern, zielstrebig, integrativ. Bis er begriff, dass Schröder etwas ganz anderes wollte.

Lafontaine ist Physiker, jemand, der, wie Angela Merkel, nach dem Ergebnis fragt. Erzogen wurde er in einem Internat des Bischöflichen Konvikts, in dem jeden Morgen um fünf gebetet wurde. Das hat ihn geprägt. Seine drei Charakteristika - analytisches Denken, rhetorische Brillanz und ein sehr, sehr großes Ego - versteht man ohne Priesterausbildung und Physikstudium kaum.

Kein deutscher Politiker hat sich so oft neu erfunden wie er und so viele politische Haken geschlagen. In den Achtzigerjahren war er Sprachrohr der SPD-Linken, die gegen Helmut Schmidt rebellierte, und entschuldete effektiv das Saarland. In den Neunzigern verblüffte er mit der Forderung, die 35-Stunden Woche ohne Lohnausgleich einzuführen, was ihm bitteren Widerstand der Gewerkschaften bescherte.

Die SPD-Linke stieß er vor den Kopf, als er 1992 die Einschränkung des Asylrechts durchwinkte. Sein Wechsel zur Linkspartei verwunderte langjährige Weggefährten. Der saarländische SPD-Mann Reinhard Klimmt, der fast vierzig Jahre mit Lafontaine befreundet war, sagt: "Ich war doch immer der Linke, nicht Oskar."

Viele Medien haben Lafontaine als fundamentalistischen Betonkopf und grimmigen Ideologen gezeichnet - dieses Bild war immer schief und verzerrt - gewissermaßen das Negativ seiner eigenen Selbstinszenierung als Populist. Aber dahinter ist Lafontaine immer kühl rechnender Realist. Ein Machtpolitiker, mit einem sehr präzisen Gespür für den richtigen Zeitpunkt und die richtige Tonlage.

Als er im Jahr 2005 er auf die politische Bühne zurückkehrte, war dies der richtige, wahrscheinlich der einzig mögliche Moment. Schröder steuerte auf eine Niederlage bei der Bundestagwahl zu, ein paar tausend linke Sozialdemokraten ertrugen den Agendakurs nicht mehr. Lafontaine beschleunigte die Fusion von WASG und PDS zur Linkspartei.

Seitdem hat die Partei bei zwei Bundestagswahlen glänzend abgeschnitten und ist wider Erwarten in ein halbes Dutzend westdeutscher Landtage eingezogen. Selbstverständlich ist das nicht. In keinem anderen westeuropäischen Land gibt es eine annähernd erfolgreiche linkssozialdemokratische Partei.

Nach dem Crash der Finanzmärkte stimmte Lafontaines Linkspartei im Herbst dem eilig zusammengeschusterten Bankenrettungsgesetz zu. Lafontaine verzichtete weitgehend auf Rechthaberposen, zu denen er, der schon früh das Desaster hatte kommen sehen, allen Grund gehabt hätte. Doch um in der Krise nicht als Besserwisser zu erscheinen, dem die Angst der Leute wurscht ist, agiert er staatstragend und dosiert seine Angriffe.

Sogar manchen Ostpragmatikern war sein Kurs zu zahm - was sie allerdings nicht öffentlich kundtaten. Dass die Linkspartei die Angstschübe nach dem Finanzcrash schadlos überstand, ist vor allem Lafontaines Verdienst.

Vielleicht gibt es zwei unterschiedliche Politikertypen: Gründer, die Neues erfinden, und Verwalter, die das Neue verstetigen. Lafontaine zählt zu den Gründern, etwas zu Ende zu bringen ist nur bedingt seine Sache. Im Karl-Liebknecht-Haus gibt er der Linkspartei noch mal auf den Weg, was sie tun soll: Es ist das Mantra von raus aus Afghanistan, weg mit der Rente mit 67 und Hartz IV und der Forderung nach anständigen Löhnen.

In der Linkspartei spielt Lafontaine eine zwiespältige Rolle. Ohne ihn wäre diese rasante Aufstieg kaum möglich gewesen. Egal, wer ihm als Parteichef folgt und egal, wie gut er seine Sache macht - keiner hat Lafontaines Charisma oder sein polemisches Talent.

Andererseits hat er die Gräben in der Partei vertieft. Lafontaine und und die Linkspartei - das war immer so, als würde Michael Ballack in der Zweiten Liga spielen müssen. So hat er sich in der Partei nur mit Jasagern und Wasserträgern umgeben. Die eifrigsten Claqueure fanden sich auf dem linken Flügel im Westen, die ihn zum Objekt eines peinlichen Personenkults machten, der ihm, dem Eitlen, nicht unangenehm war.

Das Verhältnis zu den Pragmatikern im Osten ist indes gestört. Ein Grund sind politische Differenzen: Die Ostler sind kompromissbereiter, als Lafontaine es will. Aber die Schärfe der Auseinandersetzung, die in der Affäre um Geschäftsführer Dietmar Bartsch sichtbar wurde, hat andere Gründe - kleinteiligere, menschlichere.

Die Ostpragmatiker und Lafontaine - das ist auch die Geschichte eines Missverständnisses. Lafontaine ist die Ostidentität herzlich egal. Dieser blinde Fleck war schon 1990 bei der Vereinigung zu spüren. Die Vergangenheitsdebatte in der PDS interessierte ihn nicht die Bohne, deswegen hatte er auch keine Scheu vor der Kommunistischen Plattform.

Die Pragmatiker störten sich an seinen autoritären Ansagen. Außerdem haben sie die krachende, populistische Rhetorik für bare Münze genommen und übersehen, dass Lafontaine außen radikal und innen Realist ist. Und Lafontaine wollte nicht begreifen, dass die meisten beim "Forum demokratischer Sozialismus" gute linke Sozialdemokraten und Keynesianer sind. So wie er. Aber außer Gysi, sagen viele, hat er sowieso niemanden ernst genommen. Wahrscheinlich, sagt einer vom pragmatischen Flügel, "hätten wir mehr auf ihn zugehen sollen". Zu spät.

In den letzten Jahren hat Lafontaine daran gearbeitet, über Regierungsbeteiligungen, erst mal in Hessen und im Saarland, Einfluss im Bundesrat zu gewinnen. So wie in den späten Neunzigerjahren mit der SPD wollte er Stück für Stück Schwarz-Gelb lähmen und einen Machtwechsel vorbereiten. Das ist gescheitert - in Hessen an der SPD, im Saarland an den Grünen. Es war ohnehin viel Selbstüberschätzung in diesem Plan. Aber ohne Selbstüberschätzung wäre Lafontaine nie geworden, was er ist.

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17 Kommentare

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  • C
    chris

    O jeh, Claudia, Sie bringen ja wirklich alle Clichés der Mainstream-Presse..., die sich über diese Manipulationsopfer natürlich mächtig freut. Die wirkichen "Demagogen" sitzen in einem ganz anderen Lager. Lafontaine jedenfalls hat seine Wähler nie belogen.

    Und das Sie hier für Ackermann Partei ergreifen, finde ich besonders rührend.

    Ich empfehle Ihnen sehr, mal auf NachDenkseiten,de (die kritische Website) zu klicken, da bekommen Sie vielleicht doch eine etwas differenzierte Sichtweise.

  • V
    vic

    "Denn Schröder und Fischer wollten mit Rot-Grün in die Mitte, Lafontaine nicht. Er wollte, zehn Jahre vor dem großen Crash, die Finanzmärkte regulieren. Die SPD tat genau das Gegenteil."

     

    Schön, dass sie das mal schreiben. Anderswo muss man sich ständig das dumme Gefasel vom SPD Verräter anhören.

     

    Zudem, ohne Oskar Lafontaine würde die Linke nicht existieren, und die Wahlalternative zur SPD (das ist sie noch immer) wäre nicht da wo sie heute ist.

  • W
    W.B.

    Oha, jetzt hat es doch tatsächlich 13 Kommentare benötigt, bis der erste mit "Brocken hingeschmissen" und "Zerstörung der SPD" daherkommt ...

     

    Seltsame und verquere Art der Wahrnehmung. Als Totengräber der SPD zählen doch zuerst Schröder, Steinmeier und Clement.

    Wie schon im Artikel beschrieben, war Lafontaines Rücktritt 1999 nur konsequent, als er feststellen musste dass Schröder sich andere Ziele gesetzt hatte - und dass für Lafontaine mehr oder weniger eine Rolle als linker Grüß-August übrig bleiben würde.

     

    Den Vorwurf des Verrates an der SPD müss(t)en sich die SPD-Genossen und -Abgeordneten annehmen, die Basta!-Schröder und sein Gefolge ungehindert deren zerstörerisches Werk vollbringen ließen.

  • C
    Claudia

    Lafontaine hatte immer nur ein Programm und das hieß Lafontaine. In Erinnerung bleiben z.B. die Blockade wichtiger Reformen im Bundesrat der Ära Kohl, um dem politischen Gegner zu Schaden unabhängig von den Notwendigkeiten dieser Reformen. Das hat dem Land und den Bürgern großen Schaden zugefügt, da die Probleme nach hinten geschoben wurden und somit wichtige Zeit verloren ging. Als Beispiel sei nur der demografische Faktor in der Rentenversicherung genannt, der permanennt blockiert wurde um ihn unter Rot/Grün wieder zu beleben. Raus kommen dann irgendwann so Sachen wie Rente mit 67, weil der wirtschaftliche Druck im System aufgrund des ständigen Aufschiebens der Probleme zu groß wird.

    Das Lafontaine darüber hinaus ein ausgesprochener Demagoge ist sei auch noch erwähnt. Dies wurde z.B. auch deutlich an den Schimpftiraden Lafontaines gegenüber Ackermann wegen dessen 25%iger Eigenkapitalrendite. Lafontaine wusste was die Eigenkapitalrendite ist und verkaufte den Menschen diese als ob die Gesamtkapitalrendite gemeint war (Diese lag bei ca. 2-3 Prozent). Das schafft Stimmung, Aufruhr und Hass, von dem Lafontaine gerne lebt.

    Als erster Finanzminister hat er sich die Grundsatzabteilung des Wirtschaftsministeriums einverleibt. Neben seinem Amt als Parteivorsitzender hatte er Macht und Einfluss wie nie zuvor. Was macht er: Er läuft weg als es ans Arbeiten ging, was ihm laut Weggefährten auch im Saarland nicht sehr lag.

  • RH
    Rene Hoffmann

    Oskar Lafontaine hat sich also "oft neu erfunden". Aha. "Sich neu erfinden" - ist das ein neues Synonym für "Immer, wenn´s wirklich ernst wird die Brocken hinschmeißen" oder "alte Weggefährten im Stich lassen" oder vielleicht auch "rechthaberisch und gekränkt nachtreten gegen die, die in mir nicht den Messias sehen wollten" ? Schon mal aus dieser Warte gesehen? Meine Meinung: Einer der unbestreitbar fähigsten Politiker der deutschen Nachkriegsgeschichte hatte leider nicht das charakterliche Format, etwas zum Besseren zu bewegen. Er hat seine Energien verbraucht zur Zerstörung der deutschen Sozialdemokratie und sich dabei billigend als Türöffner für die Kryptokommunisten im Westen betätigt. Was für eine Leistung !

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    Bei seinem SPD-Aus- und Rücktritt im Jahr 1999 habe ich Oskar mit einem anderen Politikerrücktritt verglichen - mit Goethes Rücktritt von seinem politischen Spitzenamt im Herzogtum Weimar-Sachsen, d.h. seiner Flucht nach Italien 1786. Wer die mittelfristigen Crash-Folgen einer falschen Politik vor Augen hat, der kann als klar denkender Nicht-Karrierist gar nicht anders. Oskar hat sich über diesen Vergleich gefreut ....

     

    Aber mit der evolutionsprozess-logischen Exodus-Dimension der aktuellen Epochenwechselpolitik-unter-die-Herrschaft-des-KREATIVEN hat Oskar ein Problem. Er ist blind für die vorrevolutionäre Realität, die auf den Exodus aus der Vorherrschaft der Kapitalstockmaximiererei drängt. Da er die Lage nicht begreift, läuft wohl alles auf Angela Merkel zu.

  • H
    honkster

    Endlich mal ein vernünftiger Artikel über LaFo den Gräßel-Wüterich. Leute, die zu oft Recht behalten, sind selten beliebt - erst recht, wenn sie dabei überheblich werden & das Bohren dickerer Bretter verlernen. Dass er 10 Jahre vor dem Crash Regulierung statt Deregulierung der Finanzmärkte gefordert hat, und zwar nicht nur aus linker Ideologie, sondern weil er's kommen sah, stimmt genau so wie seine Kritik an der übereilten und wirtschaftlich desaströsen "Wiedervereinigung", die ihm nicht mal die Ostdeutschen verziehen haben, die sie heute in der Sache teilen. Dass Gregor Gysi, der LaFo sicher nicht liebt, so lange versucht hat, ihn gegen die eigenen Leute zu halten, spricht Bände... der weiß, was der Linken ohne einen wie LaFo blüht.

  • DN
    Dr. No

    Kaum kündigt Lafontaine seinen Rückzug an, da werden die Weihrauchfässer geschwenkt. Warum? Um zu erklären, ohne ihn ginge es bei der Linken nicht. Aber Lafontaine war ausreichend Zeit an der Spitze um fähige Leute nach vorne kommen zu lassen, wie Gesine Lötsch, Klaus Ernst aber auch Sarah Wagenknecht und viele andere (Letze Woche bei Maischberger: Der alte Börsen-Lehmann sagte in einer Tour zu Frau Wagenknecht: Da gebe ich ihnen recht. Das war schon ulkig, zeigt aber welche hohe Kompetenz die Fraktion insgesamt hat. Ihre Vorschläge (beispielsweise bei risikobehafteten Geldanlagen ein dicker Stempel wie bei einer Zigarettenpackung) waren allesamt klar und konstruktiv. Dagegen waren die Grünen von 20 Jahren eine bekiffte Chaostruppe. Die Linksfraktion macht insgesamt einen guten Eindruck, die werden das Ding schon schaukeln. Dass fähige Leute nach vorne gekommen sind, ist Lafontaines größter Verdienst. Gerhard Schröder hingegen hat machtgeile Nieten um sich versammelt, die der SPD das Grab schaufeln werden. Die einzige, die noch etwas wie Aufbruchstimmung erzeugen konnte, war Andrea Ypsilanti, ihr erster Wahlgang gegen Koch war der erfolgreichste, den die SPD hingelegt hat - und sie wurde von hirnlosen Schwachköpfen wie Münte oder Clement abgesägt - anstatt schlappen Daddies wie Herrn Naumann in Hamburg den Laufpass zu geben. Und wenn Gysi im Bundestag spricht, da liest dieser Hornochse von Gabriel die Zeitung. Es diese unfassbare Arroganz, die sich in solchen Kleinigkeiten äußert, die die SPD vernichten wird. Manchmal habe ich den Verdacht: Die ganze SPD-Spitze hat heimlich noch ein CDU-Parteibuch und wird von Roland Koch aus alten Waffendeals finanziert. Aber es ist wohl die schiere Dummheit. Blödheit, dein Name ist SPD.

  • D
    dissenter

    Ach - ehrlich? Kein Betonkopf? Sogar ein Realist? Und 1999 auch noch konsequent, als Schröder das SPD-Wahlprogramm vorsätzlich in die Tonne trat und Lafontaine dabei nicht mitmachen wollte? Kein bösartiger Populist, sondern political animal mit Charisma und Weitblick?

    Der Opportunismus der taz ist wirklich zum Kotzen.

  • BB
    Bodo Bender

    Sein Rückzug aus der vordersten Scheinwerferreihe hat den Vorteil, dass Lafontaine nunmehr frei ist für Vorträge und Gespräche innerhalb der SPD. Dort wird ihm zunehmend die Rolle des eigentlichen SPD-Vordenkers zukommen. Es erweist sich, dass Lafontaine über die Jahre hinweg ein wesentlich gründlicher Nachdenker in Sachen Finanzen, Arbeit und Soziales, Kriegsführung und Friedenspolitik war und ist als die ganzen Heerscharen an "Führungspersonal" innerhalb der in sich zusammengesunkenen SPD.

  • S
    Sebastian

    Ein einmaliger Politiker, der leider nie die Chance zum wirklichen Gestalten bekommen hat.

    Jetzt ist er aber sich und seiner Familie erstmal schuldig, gesund zu werden.

  • T
    Thomas

    Ich kann mich im Großen und Ganzen Christiane anschließen.

    Es gibt wahrscheinlich in der Politik keinen größeren "Realo" als Oskar Lafontaine und keiner musste soviel Spott und Häme ertragen, kein Politiker wurde derart angefeindet wie er. Ich hab mich oft gefragt, warum tut sich ein so sensibler Mensch wie Oskar Lafontaine das überhaupt noch an, dass er in Fernsehsendungen wie ein Outlaw angefeindet, gedemütigt und wie ein Spinner hingestellt wird. Es gab auch nur ganz wenige Getreue, die ihn verteidigt haben (Ottmar Schreiner, Norbert Blüm, Heiner Geißler, Rudolf Dreßler, Albrecht Müller, Werner Schneyder, Konstantin Wecker) und auch nur sehr wenige Journalisten, die fair über ihn berichtet haben. Nun sind die genannten Personen ja schon alle über 60 und haben nicht mehr viel zu verlieren. Wer aber noch aktiv im Geschäft ist und sich für die Linkspartei oder den Sozialismus stark macht, wird fallen gelassen und wer die bestehenden Machtverhältnisse infrage stellt, wird bekämpft.

     

    Was mich allerdings absolut positiv stimmt, ist die Tatsache, dass es in den Reihen der Linken viele gute junge Abgeordnete gibt, die richtig Schwung in den Laden bringen und die der Partei eine Zukunft bieten, auch dann, wenn Oskar Lafontaine sich ganz aus der Politik zurückzieht (was er wohl eh nicht ganz kann). Ich bin Oskar Lafontaine jedenfalls in Dankbarkeit verbunden für seinen Kampf gegen gesellschaftliche Missstände und Ungerechtigkeit. Für mich ist er sowas wie ein Held.

  • M
    Martin

    Er war immer wieder sehr faszinierend rhetorisch geschickt, engagiert und politisch vorausdenkend, mit Zielen, die er nachvollziehbar erklärt, das zähle ich zu dem, was Lafontaine ausmacht. Der Personenkult wurde ihm immer wieder von den Medien aufgedrückt, leider. Aber die Linke geht ohne ihn nicht unter. Denn die Konflikte und Widersprüche deutscher, schwarz-gelber Politik werden immer größer. Bei den Grundlagen bleiben, gegen den Krieg in Afghanistan, gegen Harzt IV und Rente mit 67, für flächendeckende Mindestlöhne und für eine paritätisch besetzte Parteiführung aus Männern und Frauen! Wenn die 'Grünen' das können, einen solchen wichtigen Bereich gesellschaftlicher Perspektive der Emanzipation zu 'besetzen' und Parität zu garantieren, warum nicht auch bei den 'Linken'? Es wäre völlig unglaubwürdig, Frauen dort weiterhin bei Führungspositionen zu benachteiligen!

  • H
    hugo

    Schon sehr interessant, dass bei Oskars Abschied sogar schon die TAZ Redakteure von ihrer Betonkopf (oder sollte ich sagen Stahlhelm?) Linie der SPD Gefolgschaft abweichen und zum ersten Mal (was im deutschen Blätterwald sogar ein absolutes Novum ist)feststellen, dass der Oskar den Kurs von unseren freundlichen Gasvertetern nicht mitgehen wollte und konnte. Ach wie interessant zudem hat er die Finanzkrise richtig vorrausgesagt (nicht nur das ich möchte auch daran erinneren, was er über die Einheit gesagt hat, während andere mehr auf ihre Rolle in der Geschichte fixiert waren für die sie nicht einmal was tuen mussten. Ich würde mir ja wünschen, dass er sich hier mal den Artikel durchliest und feststellt wie auch die TAZ auf einmal einige seiner historischen Leistungen anerkennt. Ich hoffe nur, dass nach einer vollständigen Genesung der Oskar sich das alles noch mal überlegt, denn diese Republik auf dem Irrweg eingeleitet durch die netten Herren Gasvertreter brauch dringend jemand wie ihn. Auch sollte es ihm zu denken geben, wenn schon sogar die TAZ die wahren Beweggründe seines Ausscheidens aus der SPD anerkennt...

  • H
    Hiob

    @christiane

    Sehe ich ebenso.

     

    "Ein Machtpolitiker ..."

    Auch hier irrt der Autor. Als Machtpolitiker hätter er die SPD damals nicht verlassen. Er hat das Gegenteil getan.

     

    Ich bedauere, dass sich einer der letzten Politiker mit Rückgrat aus der Bundespolitik zurückzieht. Wir bräuchten viel mehr Ideologen seiner Sorte, statt dieser karrieregeilen Berufpolitiker.

  • A
    anke

    Seltsam, dass der letzte Satz des Textes mit dem Wort "ist" endet, nicht mit dem Wort "war". Alles in allem liest sich das Porträt eher wie ein Nachruf. Dabei ist Lafontaine noch gar nicht tot. Es wäre ein schwerer Fehler, ihn jetzt schon zu begraben

     

    Davon abgesehen ist die Skizze wohl ziemlich gelungen. Bis auf das schiefe Ballack-Bild. Lafontaine in der Linkspartei ist so ziemlich das Gegenteil von Michael Ballack in der Zweiten Liga. Aber Fußball ist wohl auch nicht das Spezialgebiet von Stefan Reinecke.

  • C
    christiane

    Der Verfasser des Artikels betont mehrmals, dass Lafontaine ein Realist ist, redet aber im gleichen Atemzug von "Selbstüberschätzung". Beides geht nicht zusammen.

    Oskar Lafontaine ist vor allem ein herausragender Politiker, der im Gegensatz zu vielen anderen nie käuflich oder korrumpierbar war. Er ist bis heute seinen politischen Überzeugungen immer treu geblieben und hat seine Wähler nie belogen.

    Wer kann das sonst noch von sich behaupten?

    In der sPD - vielleicht außer Otmar Schreiner -

    und bei den Grünen - vielleicht außer Christian Ströbele - wohl keiner.

    Es ist ein Desaster, was die "Pragmatiker" von sPD und Grünen politisch hinterlassen haben: Sozialabbau, Lohndumping, Leiharbeit, Billiglöhner, Ausgrenzung und Stigmatisierung von Millionen Menschen durch Hartz IV (pikanterweise nach einem Wirtschaftskriminellen benannt), drastische Senkung des Spitzensteuersatzes, Deregulierung der Finanzmärkte, völkerrechtswidrige Kriege etc. etc.

    Das ist genau die Politik, gegen die Lafontaine kämpft.