Portrait Kristina Schröder: Plötzlich Ministerin
Knapp ein Jahr ist die Frauen- und Familienministerin Kristina Schröder im Amt. Erfolge hat die überzeugte Konservative nicht vorzuweisen.
So langsam läuft sie sich warm. "Das interessiert mich mehr als Fußball", sagt Kristina Schröder. Der Saal lacht. In dem eichengetäfelten, hohen Raum im Haus Schütting in Bremen sitzen überwiegend Männer: Kleinunternehmer, Mittelständler, Vertreter der Handelskammer. Mit "das" meint die Frauen- und Familienministerin die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ist früher Abend. Kristina Schröder steht am Rednerpult, klein, schmal, im schwarzen Kostüm. Sie ist auf Promotiontour für ihre gerade gestartete Initiative "Familienbewusste Arbeitszeiten", Bremen ist ihr erster Termin.
Die Ministerin redet über Frauen, die Teilzeit arbeiten, und Männer, die Vätermonate nehmen, über Dreiviertelstellen, Pflege, Elterngeld, Kitas, den demografischen Faktor und die "neue Leitwährung für Familien": Zeit. In der Rede ist fast alles drin, womit sich Kristina Schröder seit einem Jahr beschäftigt. Gern sagt Kristina Schröder auch einen Satz, den ihre Vorgängerinnen schon gesagt haben: "Als Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bin ich ja quasi für alle zuständig. Nur nicht für mitteralterliche, kinderlose Männer."
Knapp ein Jahr ist es jetzt her, da klingelte im Büro der CDU-Bundestagsabgeordneten aus Wiesbaden das Telefon. Arbeitsminister Franz Josef Jung ist zurückgetreten, Ursula von der Leyen, die Familienministerin, soll ihn ersetzen. Damals heißt Kristina noch Köhler, ist 32 Jahre alt und verlobt mit Ole Schröder, dem Parlamentarischen Staatssekretär im Innenministerium. Bundeskanzlerin Angela Merkel fragt: "Wollen Sie Familienministerin werden?"
Person: Kristina Schröder, geboren 1977 in Wiesbaden (Hessen), studierte Politikwissenschaften und Soziologie, promovierte 2009 beim Politikprofessor Jürgen Falter in Mainz. Sie ist verheiratet und kinderlos.
Politik: Schon als kleines Mädchen begeisterte sich Schröder für Politik, wurde Fan von Helmut Kohl, trat mit 14 in die Junge Union und mit 17 in die CDU ein. Es folgte ein steiler Aufstieg in der CDU Hessen, seit 2002 gehört sie dem Bundestag an. Sie hat nie etwas anderes gemacht als Politik.
Frauen: Sie gehöre der Generation an, in der Frauen alles erreichen können, glaubt Kristina Schröder. Immer wieder betont sie, keine Feministin zu sein. Gerade führt sie mit Alice Schwarzer eine bissige Feminismusdebatte, die Bild als "bizarren Sex-Streit" bezeichnet.
Familie: Familie ist dort, wo verschieden Generationen füreinander da sind, sagte Kristina Schröder zur taz: "Ein Paar würde ich nicht als Familie bezeichnen." (sis)
Seitdem führt Kristina Schröder als jüngstes Mitglied im Kabinett ein Haus mit über 600 MitarbeiterInnen, verwaltet einen Milliardenetat und kämpft mit dem anspruchsvollen Erbe von Ursula von der Leyen. Ihre Amtsvorgängerin hatte die Vätermonate eingeführt und damit die Familienpolitik nach ganz vorn geholt. Nun muss sich Kristina Schröder um Themen kümmern wie Elterngeld, Alleinerziehende und die unterschiedliche Bezahlung von Frauen und Männern. Das ist komplett neu für sie. Aber wer sagt schon nein, wenn einem eine solche Chance geboten wird? Auch wenn das Amt in ihrem Karriereplan zu jener Zeit gar nicht vorgesehen war, wie Kristina Schröder im Gespräch sagt. Vorher hat sie sich mit Islamismus und Extremismus beschäftigt.
Zoff an der Frauenfront
Und Interviews muss sie nun geben. Die ersten verpatzt sie, weitere sorgen für Unmut, zum Beispiel als die Republik heftig über Zuwanderung und Integration debattiert. Kristina Schröder sagt, dass es Migranten gebe, die sich Deutschen gegenüber schlecht verhalten. Auch sie sei schon mal als "deutsche Schlampe" beschimpft worden. Im Fernsehen sagt sie dazu: "Ich nenne das eine Form von Rassismus."
Jetzt gibt es wieder Zoff. Diesmal an der "Frauenfront". Vor wenigen Tagen hat Kristina Schröder mit dem Spiegel über Feminismus, Alice Schwarzer und Sex gesprochen. Schwarzers These von der Unterwürfigkeit der Frau beim heterosexuellen Geschlechtsverkehr, hat Kristina Schröder den Reportern erzählt, "ginge ihr dann doch zu weit". Feministin Alice Schwarzer fühlt sich missverstanden und schreibt Kristina Schröder einen offenen Brief. Darin nennt die Emma-Chefin die Ministerin "einen hoffnungslosen Fall. Schlicht ungeeignet".
Ist Kristina Schröder tatsächlich ein hoffnungsloser Fall, eine Fehlbesetzung? Schröder, 33, ist promovierte Politikwissenschaftlerin und seit acht Jahren im Bundestag. Dort ist sie anderen Abgeordneten als schneidige und zielstrebige Frau aufgefallen. Binnen kurzer Zeit ist sie auf der Karriereleiter ganz nach oben geklettert. Sie könnte Vorbild sein für andere Frauen ihrer Generation.
Man versteht das alles nicht. Wie kann eine junge, moderne Frau, die in kurzer Zeit viel erreicht hat, die alle Vorteile des Feminismus genießt, gleichermaßen so konservativ, ausgrenzend und weltfremd sein und so wenig Empathie für die Themen ihres eigenen Ministeriums zeigen?
Schröder habe keine Ahnung von dem, was sie tut, sagt Monika Lazar, frauenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. Für Gesine Lötzsch von der Linkspartei verbreitet sie soziale Kälte. Manuela Schwesig, SPD-Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern, fragt: "Was tut Frau Schröder denn für Frauen? Nichts!"
Die Bilanz ihres ersten Amtsjahrs fällt nüchtern aus. Überall dort, wo Schröder ihre Aufgaben sieht, mischt sie zwar mit: Krippenausbau, runder Tisch gegen sexuellen Missbrauch, Girls Day, Betreuungsgeld, Freiwilligendienste. Aber nichts ist richtig erfolgreich. Im Gegenteil, die Ministerin erntet häufig sogar Kritik aus der Koalition. Sie fordert zum Beispiel einen Rechtsanspruch auf eine Pflegeteilzeit: Wer Angehörige betreuen muss, soll dafür zwei Jahre lang eine Auszeit nehmen dürfen. Ihr wichtigstes Projekt. Aber die Ministerin trifft auf erbitterten Widerstand. Da machen wir nicht mit, sagen FDP und Wirtschaft.
Als die Regierung sparen muss, kürzt Kristina Schröder die Vätermonate, die von zwei auf vier Monate ausgeweitet werden sollen, und das Elterngeld von 67 auf 65 Prozent. Für Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfänger streicht sie das Geld komplett. Sie sagt, das sei eine Lohnersatzleistung und Hartz-IV-Leute arbeiten nicht. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte damals vorgeschlagen, wie aus Koalitionskreisen zu hören ist, "nicht unten, sondern oben" ranzugehen. Aber Kristina Schröder bleibt hart.
Ebenso hart bekämpft sie Quoten: Die schadeten mehr, als sie nützten, und seien wie Cortison - reine Symptombekämpfung. Inzwischen ist selbst Angela Merkel der Quote gegenüber nicht mehr abgeneigt, und sogar die CSU hat sie eingeführt. Dagegen setzt Kristina Schröder die Formulierung: "Quoten sind die Kapitulation der Politik."
Zurück in Bremen. "Arbeitgeber verschenken wertvolles Potenzial, wenn sie Mütter nicht ausreichend unterstützen", sagt sie. Um sie herum stehen Wirtschaftsmänner. Ein kleines Kind wackelt in den Saal, juchzt und plumpst in den dicken Teppich. Ein Unternehmer erzählt, wie teuer es für ihn ist, wenn Frauen längere Zeit wegen der Kinder ausfallen. Kristina Schröder spricht weiter. Es ist wie beim Kampf David gegen Goliath: eine einzelne Frau mit einem soften Familienthema gegen mehrere Männer mit starken Renditeinteressen. Wer gewinnt, ist allerdings nicht ausgemacht. Die Ministerin ist locker, souverän, sympathisch. Man denkt: Jetzt hat sie den Bogen raus, jetzt startet sie durch. Es brauchte eben dieses Jahr, bis aus Kristina Schröder und ihrem Ministerium eine Familie wurde.
Am nächsten Vormittag hockt Kristina Schröder auf einem schaukelnden Spielgerät in einer Kita in Berlin. Neben ihr wippt Christine Haderthauer, die Staatsministerin für Frauen und Arbeit in Bayern, vor ihr bauen sich Mädchen und Jungen auf. "Wie heißt du denn?", fragt Kristina Schröder ein kleines Mädchen. Kameras filmen das, am Abend sieht man im Fernsehen, wie die Familienministerin von ihrer Kampagne für frühkindliche Bildung erzählt. Es ist ein "Schröder-Termin", aber die CSU-Politikerin stiehlt ihrer Kollegin die Show. Christine Haderthauer ist eloquent, flirtet mit den Kameras und den Presseleuten. Kristina Schröder steht steif daneben und lächelt verkrampft. Ihre Selbstsicherheit hat sie in Bremen gelassen.
Boys Day und Jungenbeirat
Termine in Kitas sind lästig. Aber Ursula von der Leyen hat das auch immer so gemacht. Und konnte prima punkten damit. Kristina Schröder hat sich immer dagegen gewehrt, auch noch dieses Erbe ihrer Vorgängerin anzutreten. Gibt es denn gar nichts, das die aktuelle Familienministerin von der alten abhebt? Wenigstens die Jungen- und Männerpolitik, ein völlig neues Feld im Frauenministerium mit einem eigenen Referat?
Kristina Schröder versucht, sich hier stärker zu profilieren als anderswo. Sie sagt: "Jungen, besonders die von Alleinerziehenden, sind in der Kita und in der Grundschule fast nur von Frauen umgeben. Das ist nicht gut für die Jungs, sie sind die Bildungsverlierer von heute." Zwei Studien haben zwar gerade nachgewiesen, dass Lehrerinnen nicht für den geringen Schulerfolg von Jungen verantwortlich sind, aber Kristina Schröder wischt die wissenschaftlichen Ergebnisse weg wie Krümel vom Tisch. Sie will demnächst einen Jungenbeirat einrichten, Jungs zum Boys Day schicken und arbeitslose Männer zu Kita-Erziehern umschulen. Frau Schröder hat noch weniger Interesse an Frauenpolitik als ihre Vorgängerinnen, sagt Marlies Brouwers, Vorsitzende des Deutschen Frauenrats: "Von einer Verbesserung der Gleichstellung von Frauen und Männern, die ja immerhin Eingang in den Koalitionsvertrag fand, kann keine Rede sein."
Ein paar Tage später tritt die Ministerin in Berlin bei der Deutschen Rheuma-Liga auf. Sie schüttelt Hände, überreicht Preise, lacht. Sie ist charmant beim Gespräch mit der Zeitung. Kurz bevor sie sich ihre Tasche über die Schulter wirft mit einer Geste, als sei das der krönende Abschluss einer anstrengenden Woche, sagt sie: "Ich hätte nichts dagegen, wenn der nächste Familienminister ein Mann wäre."
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