Porträt: Die Frau, die auf Dialog baut
Seit einem Jahr ist Regula Lüscher Senatsbaudirektorin. Anders als ihr Vorgänger Hans Stimmann setzt sie auf demokratische Entscheidungsfindungen statt autokratischer Geschmacksdiktatur.
Dass sie in der Berliner Öffentlichkeit weniger präsent ist als ihr Vorgänger, ist Regula Lüscher bewusst. Auch, was mitunter hinter vorgehaltener Hand über ihre Arbeit als Senatsbaudirektorin kolportiert wird. "Viele sagen, die moderiert ja nur, was aber sind ihre Schwerpunkte?", zitiert Lüscher manch einen ihrer Kritiker. Ihr Gegenargument lautet dann: "Ich moderiere tatsächlich, in dem ich zwischen verschiedenen Positionen vermittle." Und am Ende, sagt Regula Lüscher, "kommt das heraus, was ich richtig finde."
Regula Lüscher, die Nette, die Schweizerin, die Nachfolgerin des ewigen Poltergeistes Hans Stimmann, zeigt sich ein Jahr nach ihrer Ernennung zur Direktorin des Berliner Architektur- und Städtebaugeschehens von ihrer selbstbewussten Seite. Sie weiß inzwischen, was von ihr erwartet wird - und sie weiß, was sie selbst erwarten kann.
Was sie nicht kann und will: In die Fußstapfen von Stimmann treten, der das Bild der Stadt mehr als 15 Jahre lang geprägt hat. Was sie erwartet: Dass man ihr zuhört, so wie sie selbst ihren Gesprächspartnern zuhört. Das hat sie schon bei ihrem Amtsantritt am 1. März 2007 angekündigt: "Das Wichtigste ist für mich, den Dialog mit den wichtigen Ansprechpartnern zu pflegen."
Dialog mit vielen also statt des Monologs eines Geschmacksdiktators, der so lange in diesem Amt geherrscht hat. Das klang gut. Die Frage war nur: Konnte man das einer Architektin und Stadtplanerin zutrauen, die aus dem beschaulichen Zürich ins umkämpfte Berlin kam? Die als stellvertretende Direktorin im Zürcher Amt für Städtebau lediglich mit einzelnen Projekten wie dem Umbau des Gewerbeareal "Züri West" zu einem neuen Wohn- und Dienstleistungsviertel oder einer unkonventionellen Illumination der Zürcher Innenstadt aufgefallen war.
Stellt man ihr diesselbe Frage ein Jahr später, erinnert die 46-Jährige vor allem an die Architekturwettbewerbe, an denen sie seit ihrer Ernennung als Jurorin teilgenommen hat. "Der Wettbewerb zum Hausvogteiplatz, der Cube vor dem Hauptbahnhof, die Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße, die Justizvollzugsanstalt Heidering - all das", sagt Lüscher, "sind Beispiele dafür, wie man im Dialog zu hervorragenden Ergebnissen kommen kann."
Was zunächst nach Klein-Klein, Froschperspektive und wenig Vision klingt, offenbart bei näherer Betrachtung das unterschiedliche Herangehen ans Thema: Während Hans Stimmann großmaßstäbliche Pläne zeichnen ließ, um daraus sein Credo "Städtebau! Städtebau! Städtebau!" abzuleiten, nähert sich Regula Lüscher dem Thema Städtebau von der Architektur her. Nicht um den großen Wurf, die Neuerfindung der Stadt geht es ihr, sondern um architektonische und damit städtebauliche Qualität. War Stimmann, etwa mit seiner Gestaltungssatzung am Pariser Platz, der Verfechter des "Top-down" im Baugeschehen, steht Regula Lüscher für ein "Bottom-up". Natürlich kann man das "kleinteilig" oder "wenig visionär" nennen. Es ist aber auch eine Rückkehr der Demokratie ins bis dato autokratische "System Stimmann".
Der Lackmustest ihrer Durchsetzungsfähigkeit steht der Schweizerin mit dem rothaarigen Beatleskopf aber noch bevor. Es ist die Bebauung des Molkenmarkts zwischen Grunerstraße und Stralauer Straße. Ein "Klosterviertel" wollte Stimmann aus dem Quartier rund um die Klosterruine machen - mit handtuchschmalen Grundstücken und Townhouses wie am Friedrichswerder.
Doch da haben die Freunde der "kritischen Rekonstruktion" ihre Rechnung ohne die Senatsbaudirektorin gemacht. "Berlin ist eine gemischte Stadt, das gilt auch für die Architektur", zeigt sich Lüscher überzeugt. "An dieser Stelle das Mittelalter wieder aufbauen zu wollen, steht im Widerspruch zu dieser Mischung." Und Lüscher damit im Wiederspruch zu Stimmann. "Am Molkenmarkt kann ich mir genauso gut Geschosswohnungsbau neben Townhouses vorstellen."
Im Klartext: Das in die Höhe gewachsene Reihenhaus wie am Friedrichswerder ist nicht die alleinseligmachende Architektur, um wohlhabende Familien in der Stadt zu halten. Das geht auch mit dem Bau mehrgeschossiger Wohnhäuser, die zudem nachhaltiger sind, weil sich mehrere Familien die Infrastruktur wie Treppenhäuser, Wasserstränge, Kamine teilen. Zupass kommt Regula Lüscher bei dieser Überzeugung auch der Umstand, dass mit Hilmar von Lojewski der letzte "Stimmannianer" die Senatsverwaltung für Stadtenwicklung verlassen hat. Als Leiter der Abteilung Städtebau sucht Lüscher nun jemanden, der ähnlich wie sie eine dialogische Stadtentwicklungspolitik befürwortet.
Dialog ist auch das Stichwort für die zweite Baustelle der Senatsbaudirektorin - den Spreeraum. Mehr als doppelt so viele Unterschriften wie nötig hat die Bürgerinitiative "Media Spree versenken" für ihr Bürgerbegehren "Spreeufer für alle" bereits gesammelt. Im Sommer wird nun abgestimmt. Bleibt es bei den Planungen der Investoren, die auf beiden Seiten der Spree Hochhäuser, Büros, Lofts und eine Autobrücke bauen wollen? Oder bleibt an der Spree auch Platz für Strandbars, Zwischennutzer und einen Uferweg, der diesen Namen auch verdient?
"Meine Rolle ist es, in dem Verfahren beide Seiten zu hören und eine Vermittlerrolle zu spielen zwischen dem lokalen und dem globalen Anliegen", sagt Lüscher. Auch sie weiß schließlich, dass das Image Berlins als junge, kreative Metropole dann zur Staffage wird, wenn es nur noch kommerzielle Orte für diese Jungen und Kreativen gibt. Die Berliner Mischung ist ja auch das - das Nebeneinander von Kommerz und Subkultur. Da hat die Zürcherin Lüscher dem Lübecker Stimmann doch etwas voraus.
Mit einem freilich hat sich Regula Lüscher abfinden müssen, bevor sie von der Limmatt an die Spree kam - der Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses. "Mit meinem Schweizer Hintergrund war für mich Rekonstruktion nie ein Thema", sagt sie, "die Schweizer Städte sind nicht zerstört, so dass dort genug Raum für moderne Architektur ist." In ihrem ersten Jahr als Berliner Senatsbaudirektiorin habe sie aber gelernt, dass es da auch andere Meinungen gibt - "gerade in einer Stadt, in der so viel an historischer Substanz verloren ging."
Als Kapitulation einer Schlossgegnerin will sie diesen Lernprozess allerdings nicht verstanden wissen. Eher als Hinweis auf die Herausforderung, die der Architektenwettbewerb für das Humboldt-Forum bedeutet. "Wir stehen vor der Aufgabe, zu zeigen, dass es neben der Rekonstruktion auch eine zeitgenössische Architektur für einen Museumsbau des 21. Jahrhunderts geben kann", ist Lüscher überzeugt. Dass man das auch als Drohung verstehen kann, zeigt der Umstand, dass sie auch in dieser Jury sitzen wird.
Bleibt bei allem die Frage, ob es für den Dialog, den Lüscher dem Berliner Architekturgeschehen verpassen will, überhaupt ein solches Amt braucht - immerhin ist Lüscher neben Hella Dunger-Löper und Maria Krautzberger die dritte Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Die Antwort auf diese Frage ist für Lüscher auch Anlass für Kritik an den Berliner Verhältnissen. "In Zürich würde man diesen Dialog jenseits der Politik führen. In Berlin dagegen braucht es ein politisches Amt, weil man sonst nicht gehört würde."
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