Porträt Sigmar Gabriel: Tribun ohne Volk
SPD-Chef Gabriel könnte zufrieden sein. Seine Partei streitet nicht mehr so oft, bald könnte es wieder zum Regieren im Bund reichen. Aber: Kaum einer will ihn als Kanzler.
BERLIN taz | Kurz bevor er alle Türen hinter sich schließt, um einen der wichtigsten Momente seiner Karriere vorzubereiten, ist Sigmar Gabriel noch einmal ausgelassen. Er betritt das Restaurant Antica Lasagneria in Berlin-Mitte, die Blicke sind auf ihn gerichtet. An einer langen Tafel haben sich die bayerischen SPD-Bundestagsabgeordneten und einige Journalisten versammelt, es gibt Sekt; hier feiern Sozialdemokraten bei Gans und Rindercarpaccio den zarten Aufschwung dieses Herbstes.
Es ist der Dienstag dieser Woche, die Bayern glauben an den Machtwechsel 2013. "Lieber Sigmar, wir sind beflügelt", sagt der Abgeordnete Martin Burkert. "Ist ja nicht so gut, wenn man beflügelt ist in der SPD", flachst Gabriel zurück, Parteiflügel bereiten einem SPD-Chef viel Arbeit. Man klopft einander auf die Schulter, es wird gelacht.
Die Laune in der SPD ist bestens vor dem Bundesparteitag, nicht nur bei den bayerischen Politikern. Auch Parteichef Gabriel ist in diesen Wochen oft entspannt anzutreffen. Die Dinge laufen gut. Die Umfrageergebnisse für die SPD stabilisieren sich bei 30 Prozent, der Höhenflug der Grünen ist erst mal beendet, die schwarz-gelbe Regierung kämpft mit Europa und sich selbst.
Vor allem aber ist es in der SPD ruhig. Zwei Jahre nachdem Gabriel die Partei übernommen hat, kommen nur selten Querschüsse aus den eigenen Reihen, die Basis ist versöhnt, die schwierigen inhaltlichen Punkte sind aufgearbeitet. Hartz IV, die Rente mit 67, ein neues Steuerkonzept: überall ist die SPD programmatisch ein Stück nach links gerückt. Und mit Peer Steinbrück hat sie auch noch jemanden, der bei der Bevölkerung gut ankommt und den viele Medien als Kanzlerkandidaten sehen.
Nur 11 Prozent Zustimmung
Und an dieser Stelle beginnt zugleich Sigmar Gabriels Problem. Denn natürlich freut sich der Parteichef offiziell darüber, dass die SPD mit Steinbrück jemanden hat, der über den Parteimuff hinaus beliebt ist. Aber Gabriel hat zwei Jahre Arbeit in der Sozialdemokratie hinter sich, und trotzdem ist er unbeliebt. Nur 11 Prozent wollen ihn laut einer Umfrage des Emnid-Instituts als Kanzlerkandidaten, noch weniger als Klaus Wowereit, obwohl der Berliner Bürgermeister gar nicht im Rennen ist.
Die Frage nach Gabriels Beliebtheit kann Deutschland verändern. Denn sie entscheidet über die Kanzlerkandidatur der SPD. Und damit vielleicht über die Person, die Deutschland ab 2013 regiert. Wie geht jemand, dessen Beruf es ist, gewählt zu werden, damit um, dass die Bevölkerung ihn nicht mag?
Sigmar Gabriel reagiert darauf mit einer Mischung aus Fleiß, Nüchternheit und Trotz. Der fleißige Sigmar Gabriel besucht an einem Donnerstag im November die Kulturbrauerei in Berlin-Prenzlauer Berg. Vor der Tür des Veranstaltungshauses "Palais" dreht sich das Kinderkarussell des Weihnachtsmarkts, drinnen hat die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung Gabriel zur Diskussion mit Occupy-Aktivisten eingeladen.
Untypisch selbstkritisch
Im Gebäude sitzt er als Chef der ältesten deutschen Partei in einer Runde, die von Parteien wenig hält. Er trägt Krawatte, die anderen tragen Halstuch oder Wollmütze. Eine spanische Aktivistin sagt: "Bei mir zu Hause wollen die Demonstranten nur noch, dass alle Politiker verschwinden." Im Publikum lassen einige die Hände über dem Kopf kreiseln, das Zeichen für Zustimmung.
"Das ist hier nicht anders", sagt Gabriel. Die Runde nickt. Es sind diese untypischen, selbstkritischen Sätze, die bei den jungen Leuten Eindruck machen. "Es gibt kaum eine Runde, die er nicht für sich gewinnen kann", sagt ein Bundestagsabgeordneter, "er kommt an."
Am Ende verbrüdern sich die ungleichen Gesprächspartner. Ein Berliner Demonstrant lädt Gabriel zum Gespräch ein. "Ich gebe Ihnen mal meine Handynummer", sagt Gabriel. Der verdutzte Student schreibt sie in seinen Block. So nah können sich Aktivisten und Sozialdemokraten kommen.
Das ändert nichts daran, dass die Veranstaltung ein echter PR-Flop war. Kaum ein Medium hat berichtet. Gabriel hat auch nicht besonders viel gesagt, in den zwei Stunden hat er sich zurückgenommen und viel gefragt.
Aber Gabriel, der Fleißige, macht diese Termine trotzdem. Denn er weiß, dass er im persönlichen Kontakt Menschen das Gefühl geben kann, dass er sich für ihre Anliegen interessiert. Anders als in Fernsehen und Radio, da kommt er überheblich und patzig rüber. Er ist in diesem Punkt das Gegenteil von Peer Steinbrück. Er will auf der Straße die Leute davon überzeugen, dass die 11 Prozent Zustimmung für ihn zu wenig sind. Egal, ob er sich mit Gewerkschaftern, Facharbeiterinnen oder Aktivisten trifft.
Das Problem ist, dass er als Parteichef fast jeden Tag einen Termin hat und sehr viele interessante Dinge sieht und hört.
Gabriels Interesse oft unglaubwürdig
Im Sommer vergangenen Jahres saß Gabriel auf seiner Sommerreise in einer Berufsschule in Dessau-Roßlau, vor ihm klagte eine alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerin, sie werde durch Bürokratie an einer Umschulung gehindert. Gabriel war beeindruckt und forderte später auf dem Parteitag, da müsse man sich doch drum kümmern. Doch auch nach Wochen war nichts geschehen - bis die Süddeutsche Zeitung über den Fall berichtete.
Solche Ereignisse machen Gabriels Interesse unglaubwürdig. Sie befördern ein Image, dass er gern loswerden würde: das des unzuverlässigen, unberechenbaren Politikers. Für eine Kanzlerkandidatur ist das eine bedeutende Frage. Wie würde ein Kanzler Gabriel regieren? Was wäre ihm wichtig? Immer das, was er am Vortag gehört hat? Für jemanden mit Ambitionen auf eine staatstragende Rolle ist das fatal.
Gabriel nervt es, dass ihm immer Sprunghaftigkeit unterstellt wird. Er sieht sich selbst nicht so. Er denkt sich, er kann machen, was er will: diesen Ruf wird er nicht mehr los. "Aber es stimmt halt auch", sagt einer aus dem Bundestag. Wenn Gabriel am Wochenende etwas Spannendes erlebt, könne man wetten, "dass er am Montag in den Parteigremien davon erzählt". Und in der Folgewoche geht es so weiter.
Als Teenager hat Gabriel in Goslar im Verein getanzt, er galt als sehr talentiert. Es gibt da diese Szene aus einem Turnier, als sich die Paare auf den Füßen standen, sein Tanzlehrer erzählte sie mal. Gabriel machte mitten im Gewühl eine blitzschnelle unerwartete Drehung und hatte mit seiner Partnerin die Halle für sich. Das Paar konnte glänzen.
Gabriel ist ein Instinktmensch, das hat ihm oft auch politisch genutzt. Aber zu viele überraschende Drehungen machen eben auch schwindlig. Der nüchterne Gabriel kalkuliert, geht Szenarien durch, macht sich nicht verrückt. Er rechnet sich aus, dass allein die Beliebtheitswerte wahrscheinlich doch nicht über die Kanzlerkandidatur entscheiden. Die niedrigen Werte seien "nicht schlimm", sagt er. "Man darf selber nicht unsicher werden."
Kurt Beck weiß, wovon er spricht
Aber ist es wirklich so einfach? "Wer sagt, dass es einem nichts ausmacht, unbeliebt zu sein, ist entweder ein kalter Fisch", sagt Exparteichef Kurt Beck, "oder er lügt." Beck weiß, wovon er spricht. Er selbst ist 2008 als SPD-Parteichef letztlich mangels Beliebtheit gescheitert. Muss sich sein Nachfolger ändern? "Er soll so bleiben, wie er ist", sagt Beck.
Sigmar Gabriel spekuliert darauf, dass Peer Steinbrück, ist er erst Kanzlerkandidat, seinen vielleicht größten Trumpf verlieren könnte: die zur Schau gestellte Distanz zur SPD, die "Schnodderigkeit", wie sie es in Gabriels Umfeld nennen. Vor nur zwei Jahren hat Steinbrück alle Ämter abgegeben und mit der eigenen Partei abgerechnet.
Aber ein Kanzlerkandidat kann kein Antipolitiker sein. Steinbrück wäre Teil der Maschine SPD. In Gabriels Lager wissen sie außerdem: Ob Steinbrück in einem Jahr noch so beliebt ist wie jetzt, ist nicht ausgemacht. Erst dann wird aber die Kanzlerkandidatenfrage entschieden.
Und Steinmeier? Auch der wird wahrscheinlich immer beliebter bleiben als Gabriel. "Steinmeier und Steinbrück hatten ein klassisches Ressort im Zentrum der großen Koalition", sagt Gabriels Vertrauter, der thüringische Wirtschaftsminister Matthias Machnig.
In Gabriels Umfeld lautet die Rechnung: Popularität ist nicht alles, es kommt auch darauf an, wie man wahlkämpfen kann. Angela Merkel sei schließlich auch nicht beliebt gewesen, bevor sie zur Kanzlerin gewählt wurde, streuen seine Vertrauten. Steinmeier dagegen schon, habe aber eben nur 23 Prozent bei der Bundestagswahl bekommen. "Die Leute wählen Parteien", heißt es dann.
Der nüchterne Gabriel weiß auch, dass er an seiner Außenwirkung wenig ändern kann. Er weiß, dass er für die Attacke zuständig ist, auch weil sich Steinmeier so zurückhält. "Ich bin Parteichef, kein Diplomat", sagt er.
Der größte Draufhauer
Das sei gerade sein Problem, sagt Klaus-Peter Schöppner: "Gabriel gilt als der größte Draufhauer", so der Meinungsforscher vom Emnid-Institut, "aber die Leute wünschen sich Politiker, die kooperieren können."
Manchmal wird gegen die Konkurrenten auch gestichelt, dann ist der trotzige Gabriel am Werk. An einem Montag im Frühherbst tagte der Parteivorstand im Willy-Brandt-Haus, zuvor hatte die Parteilinke eine Kanzlerkandidatur Steinbrücks öffentlich kritisiert. Die Rüge des Chefs für die Kritiker fiel spärlich aus: "Ich bitte, das zu unterlassen", sagte er knapp. "Eine echte Zurechtweisung sieht anders aus", berichtet ein Teilnehmer.
Gabriel weiß, dass Peer Steinbrück auf dem Parteitag wahrscheinlich etwas hinnehmen muss, was der ehemalige Finanzminister nie wollte: die Abschaffung der Abgeltungssteuer, eine Forderung der Parteilinken. Dann würden Kapitalerträge statt mit günstigen 25 Prozent wieder abhängig vom Einkommen versteuert werden. Gabriel wird das wohl durchgehen lassen. Ein kleiner politischer Kniff des trotzigen Parteichefs.
Am Tag nach dem Treffen mit den Occupy-Aktivisten denkt Gabriel über den Parteitag nach. Er sagt: "Das Signal des Parteitags muss sein: Die SPD ist geeint und geschlossen. Die Leute müssen verstehen - die Partei kann es." Da spricht der Mann, der seine Verantwortung für die Partei betont, es ist eine seiner Lieblingsrollen vor dem Parteitag. Die eigenen Ambitionen sollen im Hintergrund verschwinden.
Und dann kommt ihm noch ein Satz eines seiner Vorgänger als Parteichef in den Sinn. "Franz Müntefering hat mal gesagt: Der Boden ist festgetrampelt - jetzt müssen wir abspringen. So ist es auch bei der SPD vor diesem Parteitag." Und auch für Gabriel selbst. Das sagt er nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil