Porträt Sheila Watt-Cloutier: Das Recht auf Kälte
Die „Mutter der Inuit-Umweltbewegung“ kämpft gegen die Arktis-Zerstörung. Nun wird Watt-Cloutier mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.
Als „Mutter der Umweltbewegung der Inuit“ und „Anwältin für ihr Volk“ hatten RednerInnen die Aktivistin damals bezeichnet. Sie ist die international bekannteste Repräsentantin der Inuit der letzten beiden Jahrzehnten und wurde mehrmals auf der Top-Ten-Liste der auflagenstärksten kanadischen Tageszeitung The Globe and Mail als eine der „wichtigsten Kanadier“ geführt.
Geboren 1953 in Kuujjuaq im Norden der kanadischen Provinz Quebec, „verbrachte ich meine ersten zehn Lebensjahre vorwiegend auf dem Hundeschlitten“, pflegt Watt-Cloutier ihre Kindheit zu beschreiben. Nach einem Pädagogik- und Soziologiestudium an der Universität Montreal engagierte sie sich seit Ende der achtziger Jahre für eine Verbesserung der Krankenfürsorge und des Bildungswesens der Inuit-Bevölkerung.
1995 wurde sie zur Vorsitzenden des kanadischen Zweigs der „Inuit Circumpolar Conference“ (ICC) gewählt, einer NGO die rund 150.000 Inuit repräsentiert, die in Russland, Kanada, den USA und auf Grönland leben. Internationale Aufmerksamkeit erregte sie, als sie als Sprecherin der Inuit bei der Konferenz in Stockholm auftrat, welche 2001 die Konvention zum Verbot persistenter organischer Schadstoffe (“Dreckiges Dutzend“) verabschiedete.
Dort schilderte sie eindringlich, wie beispielsweise PCB und DDT sich gerade in der traditionellen Nahrung der Inuit angereichert hätten. Zusammen mit Schwermetallen, die Beutetiere vergifteten und damit ausgerechnet die Gesundheit von Menschen bedrohten, welche für die Freisetzung dieser Umweltgifte in keinster Weise verantwortlich sind. Von 2002 bis 2006 war sie ICC-Präsidentin.
Blutiger Ernst
Die Folgen der Klimaveränderung und deren durchgreifende Auswirkungen auf die Lebenssituation und die Kultur der UreinwohnerInnen der Arktis sind ihre Hauptthemen. 2005, anlässlich der Verleihung des von dem norwegischen Schriftsteller Jostein Gaarder gestifteten „Sofie-Preises“, warnte sie: „Es scheint unser Schicksal zu sein, dass wir eine Art Alarmglocke für den Rest der Welt sind. Für den Globus stellen die Klimaveränderungen eine künftige Gefahr dar. Doch für uns, die wir in den arktischen Gebieten leben, ist es bereits blutiger Ernst.“
Sie befürchte, dass die Kultur der Inuit zusammen mit dem Eis ganz verschwinden könne: „Aber Eis und Schnee repräsentieren Leben. Die Arktis ist keine Wildnis, sie ist unser Zuhause. Zusammen mit dem Auftauen des Permafrosts brechen jetzt dort nicht nur die Häuser und Strassen ein. Unsere gesamte Gesellschaft bricht auseinander.“
Als machtloses Opfer sieht sie sich und ihr Volk aber nicht: „Das bin ich schon meinem Enkelsohn schuldig.“ Mit der Begründung, „die Zerstörung unserer Lebensumwelt ist direkte Folge des Konsums in der reichen Welt“, brachte Watt-Cloutier 2005 zusammen mit 62 anderen Inuit bei der Inter-Amerikanischen Kommission für Menschenrechte eine Petition ein, welche die USA wegen ihres starken Beitrags zur Klimaerwärmung der Verletzung von Menschenrechten anklagte.
Kollektiven Rechte
Auch wenn die Petition kein Gehör fand, so habe doch die damalige Debatte die kollektiven Rechte der indigenen Völker und die unbestreitbare Verbindung zwischen Klimawandel und Menschenrechten auf die Agenda gesetzt, betont die „Right Livelihood“-Stiftung.
In den vergangenen Jahren arbeitete Watt-Cloutier als Universitätslehrerin, wurde mit 16 Ehrendoktortiteln und zahlreichen Preisen und Auszeichnungen gewürdigt, darunter dem der „Umweltheldin“ durch das US-Nachrichtenmagazin Time. Sie war für den Friedensnobelpreis nominiert, absolvierte unzählige Vortragsreisen und sprach auf der Weltklimakonferenz 2009 in Kopenhagen.
Im März veröffentlichte sie das Buch „The right to be Cold“ über ihr Leben, in dem geschildert wird, wie sich die Welt der Inuit geändert hat und wie sie die Arktis und damit den ganzen Planeten schützen möchte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!