Popkomm-Interview: "Berlin ist jetzt gelernt"

Als Standort für die Popkomm hat sich die Stadt etabliert, sagt Musikproduzent Tim Renner. Es gebe "viele ungewöhnliche Spielorte und ein juveniles Publikum". Und im Livespielen liege die Zukunft.

taz: Herr Renner, wie geht es der Berliner Musikbranche?

Tim Renner: Ich würde sie nicht als gesund bezeichnen, aber sie ist auch nicht unheilbar krank.

Aha.

Nicht gesund heißt: Die großen Firmen haben noch keine sichtbaren Lösungswege beschritten, die die gesamte Branche wieder in Schwung bringen könnten. Der Durchhaltewillen der kleinen Labels ist zwar beachtlich, sie haben es aber sichtlich schwer, zu überleben - manche guten und wichtigen Labels sind in Berlin schon verschwunden.

Woran haperts?

Viele kleine Firmen sind längst zu einem Flatrate-Modell bereit, wie es in Japan und Südkorea gang und gäbe ist. Dort können die Kunden das gesamte Repertoire aller Anbieter herunterladen und bezahlen dafür Gebühren für eine Flatrate, die zu den monatlichen Gebühren des DSL-Anschluss addiert werden. Ein solches Angebot würde sicherlich auch auf dem deutschen Musikmarkt für enorme Bewegung sorgen - wenn alle mitziehen. Die Majors trauen sich aber nicht. Dabei würden sie allein schon mit den Telekommunikationsbetreibern sicher Vorschüsse aushandeln können, die nicht weit von ihren heutigen Onlineumsätzen entfernt wären.

Zum fünften Mal findet die Popkomm in Berlin statt. Inwiefern bringt die Messe der hiesigen Musikbranche etwas?

Mit der Digitalisierung geht eine Internationalisierung einher. Plötzlich machen die Labels mit ihren Produkten nicht mehr vor der Landesgrenze halt. Die Popkomm ist ein Anlass, der sehr viele Leute aus der internationalen Musikwirtschaft gezielt in die Stadt bringt. Das sind Zusatzmärkte, die auch dem lokalen Musikmarkt zugutekommen.

Wenn sich der Musikmarkt so internationalisiert, ist dann nicht auch der Standort der Popkomm beliebig?

Natürlich ist es für eine Musikmesse nicht spielentscheidend, wo sie stattfindet. Sie braucht nur einen Ort, an dem man gerne zusammenkommt. Berlin macht vielen Musikschaffenden Spaß. Und der Reiz, in anstrengenden Zeiten sein Geld zusammenzusammeln und ein Ticket nach Berlin zu kaufen, ist eben größer, als wenn der Ort Köln heißt.

Aber ähnlich wie die Modemesse Bread & Butter könnte die Popkomm ohne Weiteres demnächst auch in Barcelona stattfinden?

Innerhalb Deutschlands hat Berlin sicherlich keine Konkurrenz. Und ich glaube auch, dass Köln von Anfang an kein geeigneter Standort war. Aber im europäischen oder gar globalen Vergleich gibt es natürlich auch andere spannende Orte. Ich halte dies aber derzeit nicht für wahrscheinlich. Berlin ist jetzt gelernt und es gibt keinen Grund, warum sich die Popkomm wegbewegen sollte.

Trotz der steigenden Zahl von legalen Musikdownloads aus dem Internet bleibt die Situation für die Musikbranche schwierig. Lohnt sich eine solche Messe noch?

Die Musikbranche hat sich in der Tat mehr zu einer Livebranche entwickelt. In diesem Bereich liegen die großen Umsatzentwicklungen - nicht bei der CD. Bedauerlicherweise verdienen die meisten Labels dabei nicht mit. Berlin aber ist gut aufgestellt, denn die Stadt deckt zwei Faktoren ab, die für das Livegeschäft wichtig sind: sehr viele ungewöhnliche Spielorte und ein juveniles Publikum, das zudem noch international geprägt ist.

Das heißt, auch die jüngst eröffnete umstrittene Arena am Ostbahnhof trägt dazu bei?

Diese amerikanische Arena braucht man sicherlich nicht als Flagship des Berliner Live Business; das lebt eher aus der Vielfalt der Clubs heraus. Sie schadet aber auch nicht.

Welche Folgen haben die veränderten Marktbedingungen für Nachwuchsmusiker?

Ein Nachwuchsmusiker hat heute den großen Vorteil, dass er dank des Internets leichter in den Markt hineinkommt. Sein großer Nachteil: Der musikalische Mittelstand bricht weg. Wir haben eine große Zahl von Künstlern, die sich zwar artikulieren, aber weit davon entfernt sind, von ihrer Kunst leben zu können. Finanzpartner in Form von Labels, die helfen, den Sprung von 5 auf 50.000 Alben zu machen, gibt es kaum noch.

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