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Pop"Ich bin ein Überlebender"

Marc Almond liebt noch immer Pomp und Glamour. Zu seinem 50. Geburtstag huldigt er auf CD Klassikern wie Frank Sinatra und Dusty Springfield.

Galt mal als wahnsinnig revolutionär: Marc Almond Bild: dpa

Fein und frisch empfängt er in der Hotelsuite. Die Figur schmal, die Klamotten eher dunkel, die Augen mit zarten Kajalstrichen zu dem Bild gemalt, das sein Publikum sich von ihm seit den frühen 80ern machen soll: Marc Almond sieht immer noch aus, als suche er die Geheimformel für ein charakterlich auskömmliches Leben aus Härte und Sehnsucht, Zartheit und Coolness. 50 wird er in ein paar Tagen, ein Übriggebliebener aus einer Zeit, die in seiner Heimat von Margaret Thatcher regiert wurde und Old England durchmischte.

Das ist Marc Almond

Geboren: 9. Juli 1958 in Southport, Lancashire, England

Beruf: Musiker, Entertainer

Karriere: 1980 Gründung der Elektroband Soft Cell (mit David Bell), 1982 Mitglied der Band Psychic TV, später eine Fülle von Solo- und Gruppenprojekten, auch Duette (u. a. mit Gene Pitney, Siouxsie Sioux, Nina Hagen, Jimmy Somerville und Rosenstolz).

Größter Hit: "Somethingss Gotten Hold Of My Heart" (Nummer 1 in UK 1988, Coverversion des Gene-Pitney-Klassiker aus den Sechzigern)

Idole: Dusty Springfield, Cilla Black, Frank Sinatra

Second Life: Seit dem 17. Oktober 2004 nach einem Motorradunfall

CD: "Stardom Road", Sanctuary/Rough Trade

Opposition? Almond sagt: "Wir alle, die wir nach London gingen, waren dagegen. Gegen alles. Die Spießer. Den Rock. Thatcher. Die Gewerkschaften. Ordentliche Vorgärten. Nachbarn, die dir vorschreiben wollten, was englisch ist und was nicht. Ich liebte Rosenhecken in meiner Kindheit sehr, aber es war nicht auszuhalten, ich musste dieses Paradies verlassen." Und wofür war diese Szene? "Für sich selbst. Das bessere Leben. Und bessere Gefühle." Die Hölle britischer Schicklichkeit, nein, findet Almond, "die mussten wir neu erfinden".

Marc Almond hat das seine zu dieser Neuerfindung beigetragen. Zu dem, was London wieder cool machte, England vom Muff der Beatles, der Musik der politisch Korrekten, wenigstens leicht entlüftete. Mit David Bell gründete er Soft Cell - und der Name steht für die Idee, mit dem ganzen Bombast des Rock der 70er aufzuräumen. Dafür mit elektronisch generierten Klängen - mit, wenn man so will, neoliberal entschlackter Produktionsweise - dem Spuk des Authentischen ein Ende zu bereiten.

Mit Computern ließ sich viel besser Sound erzeugen. Für Almond selbst, einen bockigen Junge, der seit frühesten Kindertagen immer sehr eigene Vorstellungen vom Guten, Wahren & Eigenen hatte, hieß das, den Minimalismus des Wave mit Fantasien von orchestraler Höhe zu kreuzen. Bloß jedenfalls keine Pseudoorchester wie The Who, wie später Genesis oder andere Rockbands, die vornehmlich Lärm machten und der Welt ihre Besserungsvorschläge grölend unterbreiteten.

Almond sagte schon damals: "Wenn man 50 Geigen einsetzen will, nehme ich doch lieber gleich 500." Wie im Gene-Pitney-Glamour-Klassiker "Somethings Gotten Hold Of My Heart" - eine tiefe Verneigung vor dem Mut, die verletzte Seele in einem Lied preiszugeben, zu bekennen, und das als Mann, verwundet zu sein, kaum weiterleben zu können nach dem Kummer mit einer Liebe.

Das waren die Songs, die Marc Almond liebte, wie auch jene von Dusty Springfield, der Königin der Londoner Coolness der mittleren Sechziger, der Dame unter vielen Mädchen des Beat, hießen sie nun Sandie Shaw oder Lulu, Mary Hopkin oder Marianne Faithful: "Dusty", sagt Almond, "hat sich niemals darum geschert, ob es cool ist, was sie macht. Ihr Radar war nur darauf gerichtet, bloß nichts nachzumachen." Ebendas hat der Brite nun gemacht, auf seinem ersten Album nach seinem schweren, beinahe tödlichen Motorradunfall vor zweieinhalb Jahren. Tagelang im Koma, unsicher, ob er je wieder gesund werden könne, wieder aufgewacht.

Almond sitzt in einem Berliner Hotel am Potsdamer Platz, wie eingegossen in einen mächtigen Sessel aus anthrazitfarbenem Leder, und parliert: "Oh nein, ich kann noch nicht wieder auf Tour gehen. Ich bin glücklich, diese CD geschafft zu haben, aber ich muss sagen, das Risiko, vielleicht auf der Bühne schwindlig zu werden, ist mir zu groß." Immerhin, Kollegen gibt er hin und wieder Gastspiele, seinem Freund Antony Hegarty (von Antony & The Johnsons) war er zu Diensten - und der hat auf Almonds neuer CD mitgemacht, wie auch Sarah Cracknell von St. Etienne, die mit Almond Dusty Springfields "I Close My Eyes" singt: "Alle Lieder auf dieser CD, außer einem, sind von anderen schon gesungen worden - aber ich bin als Komponist und Texter ja nie der Begabteste gewesen" - sein Talent war die Show, das Dasein unter Scheinwerfern, die Darstellung in eigener Sache vor aller Öffentlichkeit.

Stoff für diese Performances auszusuchen fiel ihm leicht. Gene Pitney, andere Cover, Duette einst mit Nina Hagen und Rosenstolz, den Celebrities eines Pops, die im besten Sinne queer waren, geschlechtlich nicht indifferent, auf alle Fälle aber mit den Geschlechtsrollen spielend, das war und ist seine Welt. Aber auf die Idee, einen Klassiker neu einzuspielen, den der deutsche Komponist Bert Kaempfert schrieb und den Frank Sinatra genial interpretiere, "Strangers In The Night" nämlich, musste Almond auch erst mal kommen. "Ich möchte den Sound Kaempferts schon in meiner Kindheit. Diese Weiche, Elegante und absolut Unangestrengte. Aber schon als ich den Text vor Jahren hörte, war mir plötzlich nicht mehr klar, warum er vor allem von Heterosexuellen gern gehört wird." Fremde in der Nacht, zwei Einsame nach Sonnenuntergang, Hoffnung, die Suche, das Herantasten, die Verführung, die Melancholie - das alles, so Almond jetzt, "war doch aus meiner Welt, das ist doch ein Text für Schwule, die verstehen ihn doch auf Anhieb".

Almond will nicht missverstanden werden, die entsprechende Frage beantwortet er korrekt: "Nein, ich bin kein homosexueller Künstler. Meine Themen gehen alle an, und meine Geschichten sind Geschichten von allen. Aber ich bin schwul, und der Unterschied zu vielen Showkollegen von mir ist vielleicht, dass ich nie so tun wollte, als sei ich es nicht." Die Umstände der Zeit haben es ihm natürlich auch leichter gemacht, das räumt er ein, klar, Marc Almond ist nicht politisch blöde. "Anfang der Achtziger war London doch voll von allen, die es in ihren Provinzen nicht ausgehalten haben. Und die eine andere Musik wollten, die sich in Clubs fanden und Szenen. Draußen tobte Thatcher - und wir machten unser eigenes Ding."

Fünf Jahre nach der Erfindung von Soft Cell, Annie Lennox und Boy George, Jimmy Somerville oder Alison Moyet, die Ausläufer des Punk im Wave vereint, allesamt gegen das verhasste Regime der britischen Premierministerin, hatten es die anderen - und Tony Blair - endlich geschafft. Almond sagt, auf der Stelle war der ganze Szenespaß nur noch ein halber, "gegen etwas zu sein schweißt alle zusammen, aber wenn dann die Opposition dran ist, Leute, die wir gut fanden, liegt man erstmal flach und denkt, die Welt ist immer noch gleich gut oder schlecht".

Immerhin, Almond hatte sich in die Archive des Post-Rock-Pop eingeschrieben, er brauchte keinen Rang mehr, er hatte ihn längst. Ist er froh, dass Blair endlich selbst Geschichte sein wird? "Man ist in den letzten Jahren doch ziemlich erstickt an diesem Gutmenschentum, an diesem Würgegriff, der da heißt, wenn man nicht spurt, kommen die Konservativen und nehmen uns das Spielzeug wieder weg." Jetzt können sich Homosexuelle heiraten, sogar ein ewig als schwuler Mann unerkennbar sein wollender wie Elton John hat sich aufs Standesamt gewagt. "Nicht meine Sache, aber ich fand das gut. Rechte sind Rechte, überhaupt keine Frage. Aber ich bin aufgewachsen mit der Fantasie, dass man nicht heiraten muss, wenn man schwul ist." Sagts und beteuert ohne hörbaren Atmer gleich darauf, "dass es gut ist, nicht mehr nur als Heimliche zu leben". 50 Jahre guckt er nun auf sein Leben zurück, wie er seinen Geburtstag feiern werde, wisse er nicht, "nur dass ich dankbar sein werde, diesen schlimmen Unfall überlebt zu haben". Berührt mit dem Daumen leicht seine Nase, grübelt mit nach unten gesenktem Kopf ein, zwei, drei Sekunden und fügt an: "Ja, ich würde sagen, ich bin ein Überlebender, meiner eigenen Legende, meines Kults und eines Lebens, das immer triumphal sein sollte, wenn man schon dauernd an schmutzigen Orten nach dem Glück sucht." Das nun sei alles gewöhnlicher geworden, unspektakulärer: "Ich schätze, daran muss ich mich gewöhnen. Älter zu werden und nicht mehr so besonders zu sein. Das Leben zu genießen und die Liebe weiter für möglich zu halten. Ich für mich bin besonders, ja, das finde ich."

So viel steht fest: Dieser Mann wirkt absolut kräftig. Und grazil, irgendwie. Der hat überlebt. Weil er sein Ding machte vielleicht. Seine CD mag kein Meilenstein der Popgeschichte sein, aber sein "Strangers In The Night" ist die beste Version eines Sinatra-Titels, der je gecovert wurde. Scheu die Intonation, couragiert das Arrangement - und Almond ist wieder ganz der Alte. Warum herzüberquellende Gefühle für sich behalten, wenns auch anders geht? Warum nur 50 Geigen spielen lassen, wenn der Computer auch 5.000 hergibt?

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