■ Kolumne: Pop-Mutanten
Manchmal möchte man es ja den Amis gleichtun und Verschwörungsthe-orien aushecken. Ich finde zwar, daß die Vergangenheit gezeigt hat, daß Politiker, Polizisten, Geheimdienstler oder Mad Scientists nervlich viel zu labil sind, um auch nur irgendeinen bösen Gedanken, geschweige denn weltbewegende Entdeckungen für sich zu behalten. Aber könnte es nicht doch sein, daß die Bio-Techniker in ihren teuflischen Genlabors einige Schritte weiter sind, als es uns die „Hamburg & Wissen“-Seite der Mopo glauben machen will?
Das Auftauchen von Natalie Imbruglia legt diesen Gedanken nahe. Denn wenn sich irgendwann die Marketingleiter der weltumspannenden Tonträgerkonzerne auf einem Treffen zusammengesetzt hätten, um sich zu überlegen, wie der ideale „Artist“aussähe – nichts anderes als sie wäre dabei herausgekommen.
Sie sieht toll aus, hat eine groooße Stimme, als TV-Star in Australien schon ersten Ruhm (und Erfahrung im Umgang damit) sammeln können und schreibt Songs, die genau in die seit Alanis Morissette bestens erschlossene Marketing-Nische „Psycho Girlie“passen.
Als würde das nicht schon reichen, ist Natalie Imbruglia ehrgeizig und karrierebewußt (und infolgedessen freundlich zu Journalisten, Plattenfirmen-Angestellten und semi-prominenten Preisverleihern) und betritt kein künstlerisches Neuland, was einige Menschen womöglich in Erklärungsnöte bringen könnte. Von dieser Frau werden wir ganz sicher noch viel (womöglich zuviel) hören.
Nun zurück zu den bösen Bio-Technikern. Vorausgesetzt, es waren tatsächlich diese Schurken, die uns Natalie Imbruglia beschert haben (und nicht etwa eine Laune des Zufalls), was kommt dann wohl noch alles auf uns zu?
Was die deutsche Tonträgerindustrie als nächstes ordern würde, kann man sich ungefähr vorstellen: eine Boygroup aus lauter vierzehnjährigen Tenören, die Musik wie Rammstein macht; eine knabenhafte Asiatin, die bekannte Opernarien mit Tina-Turner-Organ röhrt; ein furchterregender B-Boy aus Steilshoop, der deutsche Rap-Hits auf der Panflöte bläst.
Was fehlt noch? Na, klar: ein Modell für die Millionen von „Indie“-Käufern! Also: Ein gemischtes Duo sollte es sein, er programmiert die übliche Mixtur aus flotten Drum'n'Bass-Rhythmen und Vangelis-artigen Moll-Synthesizer-Klangwällen, angereichert mit ein paar „Melancholie“schreienden Samples (gestopfte Trompete in Moll oder ähnliches) und ein paar sofort erkennbaren Kraut-Rock- oder Ennio-Morricone-Samples, dazu bläst er ein heißes Free-Jazz-Horn. Sie ist eine echte Power-Braut, aber natürlich verletzlich und irgendwie auch rätselhaft, singt mit unendlich viel Soul vulgär-feministische und -marxistische Phrasen und reißt in Interviews so richtig schön das Maul auf, während er meistens schweigt und nur auflebt, wenn er über seine Geräte ausgefragt wird.
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