Pop-Art-Pionier Rauschenberg ist tot: Die oberemotionale Revolution
Robert Rauschenberg versuchte sich in vielen Disziplinen, bis er eine Technik erfand, die alles vereinte: Das Montageprinzip, das alsbald von Andy Warhol vereinfacht wurde.
Zwei Erlebnisse des jungen Rauschenberg: Erstens, er sieht die Huntington Gallery in Pasadena, die Alten Meister, und schlagartig wird ihm bewusst, dass Maler zu sein ein Beruf sein könnte. Das hatte ihn vorher niemand wissen lassen. Und dann, wie er als müder Soldat zu seinen Eltern zurückkehrt, nur: Die Familie ist fortgezogen, hatte aber vergessen, es ihm mitzuteilen.
Da kommt also einer aus einem Kaff, einem bewohnten Ölfeld, am Rande von Texas, und einige Jahre später ist er ein Kunststar in New York. Sehr wenig spricht dafür, dass er von dort nach hier gelangt, dass er den Kanon begreift und zu brechen lernt plus die sozialen Techniken, um in der High Society der Sammler zu reüssieren. Später trifft er Janis Joplin, beide nun große Namen und irgendetwas muss man sich mitteilen, und da merken sie, sie sind beide aus Port Arthur. Es hilft, Joplins riesige weiße Verzweiflung im Ohr zu behalten, während man Robert Rauschenbergs Kunst Revue passieren lässt, denn Rauschenberg war der Verzweiflung entkommen. Wahrscheinlicher: er hatte sie überwunden.
Jeder amerikanische Künstler seiner Generation, der stilprägend werden sollte, musste auf die Europäer hören und dennoch ein stolzer Amerikaner bleiben. Kaum vorstellbar, dass Josef Albers die Rolle zufiel, Rauschenbergs erster großer Lehrer zu werden, ein Mann von Prinzipien, der seinen Schüler langfristig beeinflusste, weil er nicht lehrte, wie das Kunstwerk aussehen muss, sondern welche Technik man braucht, um überhaupt einmal anzufangen. Albers, der später so tat, als könne er sich an diesen Studenten - mit diesem Namen! - nicht erinnern, führte ihn den Kommilitonen als Schwachkopf vor, "This is the most stupid thing I have ever seen, I dunt even vant to know who did it." Die Frivolität des jungen Texaners fand der Lehrer aus Bottrop über alle Maßen provozierend. Und dennoch war das Black Mountain College, begonnen als Schule ohne Pflichten, eine pädagogische Enklave in North Carolina, der entscheidende Ort für Robert Rauschenberg. "Da war immerzu eine oberemotionale Revolution im Gang", fasste er später zusammen, "Leute auf der einen Seite oder der anderen, beim Frühstück also die halbe Studentenschaft aufgelöst in Tränen." Er blieb, zusammen mit seiner Freundin Susan Weil, zwei Semester, setzte sich im Juni 1949 mit ihr ab nach New York. Dann aber kehrte er - das durfte man - später nach Gutdünken ans College zurück, wo sich die Spur dieser einer gutbürgerlichen Ehe, trotz eines gemeinsamen Sohnes, verlor. Rauschenberg entdeckte Cage, den Zufall, die Negation, seine Neigung zu Männern. Eine Weile glaubte er, Fotograf werden und "ganz Amerika" aufnehmen zu müssen; dann übte er sich als Skulpturenbastler in Florenz; und kehrte schließlich getrieben, unerkannt, geschieden und arm nach New York zurück.
Was in den folgenden acht Jahren geschah, war vor kurzem zu sehen in einer wüsten Überblicksschau unter dem Titel "Combines", was die Verbindung von Malerei, Relief, Fundstück und Illumination meint, etwas, was später als "Installation" einen Gattungsnamen bekommen würde. Es war die damals ungesehene Fusion aus europäischer Collage und binnenamerikanischer Spinnerkunst, dekorativ verwoben durch gemalte Felder und tropfende Farbspuren, gesprengt durch erweiterte Rahmen, angebaute Möbel, bewohnt von ausgestopften Tieren, zusammengehalten von Schildern und Leitern. "Monogram" - ein ausgestopfter Geißbock mit einem Autoreifen um den Bauch, der auf einem liegenden "unfertigen" Bild zu stehen gekommen ist -, das war genau die Portion Ikonoklasmus, die New York brauchte, 1959, auf dem Höhepunkt der Kunstreligion nach Greenberg. Wäre Rauschenberg früh abgetreten wie Yves Klein, allein mit den "Kombinationen" wäre er Teil des Kanons geworden, den zu sprengen er sich vorgenommen hatte.
Angestoßen durch die "emotionale Revolution" am Black Mountain College, versuchte sich Rauschenberg als Performer, Tänzer, Kostüm- und Bühnenbildner - Malerei, Collage, Installation also als Teil eines Gesamtkunstwerks, das der Idee verpflichtet war, jedem Ding (und seiner Herkunft) gerecht zu werden, es hineinzunehmen in den Strudel figürlicher Darstellung, die nur auf Entgrenzung hinauslaufen konnte.
Umso erstaunlicher, dass er schließlich die Technik fand, um alles miteinander zu verschmelzen, nämlich Siebdruck und Malerei auf Leinwand, eine elegante Form der Collage, die weniger nach "gesucht" aussah als nach "gefunden". Dafür ließ er sich kleinformatige Siebe hoher Qualität vorbereiten, deren Motive er in Sekunden auf die Leinwand übertrug, in der Handhabung fast ein Stempel, in der Wirkung wie ein Zeitungsbild, das zum Leben erweckt wird. Elfmal taucht in seinem Werk das Porträt des tragischen Präsidenten auf, das in Kennedys Tod konservierte Versprechen eines "anderen" Amerika, begleitet von bläulichen Raumfahrtzitaten, der amerikanische Adler nur noch als Zaungast. Das Montageprinzip wurde alsbald von Andy Warhol vereinfacht und von James Rosenquist ausgebaut zum vollgültigen postmodernen Bilderbogen. Rauschenberg musste das Prinzip nicht mehr ändern, seine lockere Bildsprache war so gut wie patentiert. Es ließ sich in den Farbsiebdruck übertragen, taugte als Museumsposter und gelangte so in die WG-Flure und Uni-Sprechzimmer; einer der schwierigsten Künstler des 20. Jahrhunderts war Liebling der Massen geworden, Massen von Individualisten, natürlich.
Die Anfänge dieser Kunst sind der Loft-Gemeinschaft mit Jasper Johns geschuldet, einem Grübler aus dem Süden, der mit seinen rätselhaften Flaggen- und Zielscheibenmotiven zuerst entdeckt wurde. Sie waren ein produktives Duo, ein verschworenes Paar, und eigneten sich noch Jahrzehnte später für den Vergleich, der auf beide Werke das richtige Licht warf. Johns kam die Rolle des Künstlers zu, der das Problem erkennt und eine Lösung bietet, der niemals seinen Cool verliert, der in der Unzerstörbarkeit seiner eigenen Ikonografie selbst zur Ikone wird.
Rauschenberg war nicht cool, sondern hot. Er wusste kaum wie anfangen und schon gar nicht wie aufhören. Eine Zeichnung, die Willem de Kooning ihm geschenkt hatte, radierte er aus bis an die Grenze der Unkenntlichkeit, und ein Gemälde, das John Cage bei seiner Galerie gekauft hatte, übermalte er schwarz, als er die Wohnung des Komponisten nutzen durfte, während dieser auf Reisen war. Rauschenberg probierte alles aus, erkannte in jeder Lösung einen Rest von Unlösbarkeit und schaffte es in seinen besseren Werken, genau dieses auszudrücken, die Betrachter hineinzuziehen in den Prozess der Entstehung. Er war gewiss das Gegenteil von Jasper Johns, aber eines teilten sie: den Ernst im malerischen Prozess. Ja, sie hatten die Kraft, mit der Innerlichkeit des Abstrakten Expressionismus aufzuräumen, aber wussten gleichzeitig, was man von einer Farbspur lernen kann. Deshalb haben sie als Mittler zwischen der New York School und der Pop-Art überlebt, ja, es will fast scheinen, sie hätten rückwärts das eine und vorwärts das andere erfunden oder jedenfalls begreiflich gemacht.
Vor Rauschenbergs unbändiger Energie haben sich sogar die seinen gefürchtet. Unterwegs als technischer Direktor der Merce Cunningham Dance Company, stellte er die Akteure in den Schatten; fast kam es zum Bruch mit John Cage. Da aber hoben ihn, Sommer 1964, die Italiener auf ihre Schultern - wörtlich! - als Gewinner des Großen Preises in Venedig. In New York hatte der Händler Leo Castelli sein Talent erkannt. Rauschenberg ist dann doch noch ein richtiger bildender Künstler geworden, eine Retro pro Jahrzehnt. Man hätte sich nicht gewundert, wenn er nach Los Angeles gezogen wäre, als Sonnenschein der Kunstwelt, der er geworden war. Stattdessen sicherte er sich auf der Insel Captiva, vor der Küste Floridas, ein Grundstück, errichtete darauf sein Musteratelier und kaufte dann, Stück für Stück, die gesamte Insel, nicht um sie zu besitzen, sondern zu bewahren. Dort ist er am Montagabend mit 82 Jahren gestorben.
Der Name, Rauschenberg, war der seines Großvaters, eines Arztes aus Berlin, der eine Cherokee geheiratet hatte. Sein eigener Vater, Ernest Rauschenberg, nannte seinen am 22. Oktober 1925 in Port Arthur geborenen Sohn Milton. Aber so, wie der Sohn sich vom christlichen Fundamentalismus entfernte, mit dem Jagdgewehr danebenschoss und beim Angeln kein Glück hatte, überlebte er auch seinen eigenen Kindernamen. Als er sich am Kansas City Art Institute einschrieb, mit zwanzig, nannte er dem Schulsekretär als Vornamen "Bob". Später merkte er, dass dazu auch Robert gehörte. So kam es, dass die Welt einen Robert Rauschenberg kennen lernte, den er selbst erfunden hatte.
In Amerika geboren worden zu sein, galt noch nach dem Zweiten Weltkrieg als sicheres Zeichen, dass man es in der Kunst sehr weit nicht bringen werde. Rauschenberg war seine Position als Katalysator wohl bewusst. Die Kleinteiligkeit seiner Arbeit stammte aus der europäischen Collage, aber sein Zugriff auf die Dingwelt war gänzlich amerikanisch, konkret, konsumistisch: die Geschichte der Nation eine unendliche Kette aufgegebener Artefakte - und Ideen. "Im Vergleich sieht alle andere Kunst unecht aus", hat einer seiner Bewunderer einst gesagt. Das war eben Rauschenberg: nicht der Mann von Welt, der Diplomat, der gute Geist des Kunstbetriebs, der Multimillionär; sondern der Künstler als Macher. Er war einfach dichter dran.
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