Polnisches Wahldesaster: Gegen den Geist der Verfassung
Polen organisiert am Sonntag eine ungültige Präsidentenwahl. Das verrät einiges über den Zustand des politischen Systems.
So ist es auch in diesem Jahr: Am nächsten Sonntag findet in Polen die Präsidentschaftswahl statt. Wie immer seit rund 30 Jahren wurde die Wahlkampfstille ausgerufen, in der Polens Wähler und Wählerinnen Zeit und Muße haben, ihre bevorstehende Wahl noch einmal zu durchdenken.
Doch dieses Mal ist alles anders. Polens demokratische Wahlen, seit fast drei Jahrzehnten frei, gleich und geheim, sind nur mehr eine Farce. Sie sind Pseudowahlen. Denn das Ergebnis steht schon heute fest: Polens Präsidentschaftswahl vom Sonntag wird ungültig sein.
Beschlossen haben dies zwei Männer in den Hinterzimmern der Macht: Jarosław Kaczyński, 70, der Vorsitzende der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), und Jarosław Gowin, 58, der Vorsitzende der konservativen Porozumienie (Verständigung). Dessen Partei ist Mitglied der PiS-Fraktion im polnischen Abgeordnetenhaus, ihre Mitglieder bekleiden einige Ministerposten in der PiS-Regierung.
Die jarosławische Wahl-Nichtwahl
Drei Tage vor der Präsidentschaftswahl am Sonntag veröffentlichten die beiden ein lakonisches Vier-Sätze-Papier, in dem sie die Wahlen mal eben so verschoben.
Das Oberste Gericht werde „nach Ablauf des Termins am 10. Mai die nicht stattgefundenen Wahlen voraussichtlich zu ungültigen erklären“ heißt es da. Mit anderen Worten: In Polen werden nach dem Willen der beiden Jarosławs Wahlen ohne Wahlvolk stattfinden.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Keiner der rund 30 Millionen Wahlberechtigten erhält in letzter Sekunde die Briefwahlunterlagen, keiner wird seinen Wunschpräsidenten unter den zehn Kandidaten ankreuzen und keiner wird sein Wahlpaket mit den zwei Umschlägen in Briefkästen-Wahlurnen werfen, die eigens für die Briefwahl auf Polens Straßen aufgestellt werden sollten. Und diese jarosławische Wahl-Nichtwahl soll dann das Oberste Gericht Polens für „ungültig“ erklären.
Dass es sich hier um ein politisch bestelltes Urteil handelt, ist für jeden ersichtlich und spiegelt den völligen Verfall der polnischen Gerichtsbarkeit unter der PiS-Regierung seit 2015 wider.
Für politisch nicht genehme Urteile droht Richtern Disziplinarstrafe
2018 hatten Polens Nationalpopulisten am Obersten Gericht eine neue Kammer mit dem seltsamen Titel „Kammer für außerordentliche Kontrolle und öffentliche Angelegenheiten“ geschaffen und sie durch den ebenfalls neu geschaffenen und hochumstrittenen Landesjustizrat mit Richtern besetzen lassen, die als PiS-loyal gelten. In einem nächsten Schritt erhielt die Kammer 2019 dann die Aufgabe, über die Gültigkeit oder Ungültigkeit von Wahlen zu urteilen.
Theoretisch könnte das Gericht zwar das politisch bestellte Urteil verweigern und die Präsidentschaftswahl als „nicht stattgefunden“ klassifizieren, doch den Richtern drohen für politisch nicht genehme Urteile Disziplinarstrafen bis zur Amtsenthebung. Aber angenommen, dass die Obersten Richter das ehrabschneidende Urteil doch nicht fällen wollen, könnte das bereits vollständig auf Linie gebrachte Verfassungsgericht einspringen und das „richtige Urteil“ fällen.
Und dann könnte – wie von den beiden Jarosławs geplant – die Parlamentsvorsitzende Elżbieta Witek von der PiS ein neues Datum für die Präsidentschaftswahl festlegen, das den Machterhalt der PiS sichern könnte. Frühestmöglicher Termin wäre Samstag, 23. Mai, aber auch alle Sonntage im Juni und Anfang Juli kämen in Frage.
Schuld am Wahlvorbereitungsdesaster sind wie immer bei der PiS natürlich die anderen, dieses Mal die Oppositionsparteien und die zweite Kammer des Parlaments, der Senat. Anders als im Sejm, in dem die PiS die absolute Stimmenmehrheit hat und jedes gewünschte Gesetz im Turbotempo durchpeitschen kann, hat die Opposition im Senat eine hauchdünne Mehrheit von zwei Stimmen und stellt auch den Senatsvorsitzenden.
Ein „hartes Gespräch unter Männern“
Tatsächlich nahmen sich die Senatoren für die Beratung des Briefwahlgesetzes der PiS die ihnen gesetzlich zustehende Zeit von fast einem Monat. Dann verwarfen sie es am Dienstag vor der Wahl in Gänze. Normalerweise hätte der von der PiS kontrollierte Sejm den Senatsbeschluss sofort überstimmt, doch dieses Mal scherte der Juniorpartner in der PiS-Fraktion aus und beharrte auf eine Verschiebung der Wahl um bis zu zwei Jahre, was Gesundheit und Leben der WählerInnen in Coronazeiten schützen helfen sollte.
Nach einem „harten Gespräch unter Männern“ verkündeten Kaczyński und Gowin dann, dass sie eine Lösung für diese angeblich von der Opposition verschuldete Krise gefunden hätten, die „den Polen die Teilnahme an demokratischen Wahlen“ ermöglichen werde. Zugleich verpflichtete sich Gowin in der gemeinsamen Erklärung, seine Bedenken wegen der Coronapandemie fallen zu lassen und nun doch Wahlen zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterstützen.
Kein Wort darüber, dass das PiS-Briefwahlgesetz als Ganzes verfassungswidrig ist, da es nicht sechs Monate vor der nächsten Wahl verabschiedet wurde. Kein Wort auch darüber, dass die Wahl völlig legal verschoben werden könnte, wenn die Regierung den für solche Fälle in der Verfassung vorgesehenen Naturkatastrophenzustand ausrufen würde.
Es geht den Parteifunktionären Jarosław Kaczyński und Jarosław Gowin allein um den Machterhalt. Ein Garant für weitere vier Jahre Durchregieren wäre eine zweite Amtszeit von Andrzej Duda. Beim PiS-Verbot der Versammlungsfreiheit aufgrund der Coronakrise hatten die anderen Kandidaten keine Chance auf einen fairen Wahlkampf.
Duda, der Favorit
Duda war absoluter Favorit. Nach der PiS-Logik soll das möglichst so bleiben. Aus diesem Grund wird die PiS die Wahl nicht verfassungskonform um bis zu sechs Monate verschieben, da mit jedem Monat das Risiko steigt, dass ein anderer als Duda neuer Präsident Polens wird.
Polens Oppositionsparteien freuten sich über die Verschiebung der Wahl um wenige Wochen, statt sofort den Rücktritt dieser ständig das Recht brechenden Regierung zu fordern. Auch fast alle Medien in Polen verkündeten den erneuten Bruch aller Regeln des demokratischen Rechtsstaats als „gute Lösung“ oder auch als eine „Lösung, mit der alle gut leben können“. Das zeigt nur, wie sehr sich selbst Menschen, die sich für gute DemokratInnen halten, bereits an Rechtsbruch und Rechtschaos im PiS-Staat gewöhnt haben.
Aus der EU war in Polen nur ein verhaltenes „Wir sind weiterhin besorgt“ zu hören, allerdings mit dem seltsamen Hinweis auf die Post, die als Staatsunternehmen – entgegen Verfassung und Wahlgesetzbuch – die Wahlen durchführen sollte und zu diesem Zweck bei den Einwohnermeldeämtern Datensätze aus den Melderegistern anforderte.
Sicher ist das alles illegal, doch angesichts des Demokratieabbaus mit nun ersten Geisterwahlen und schon bekanntem Wahlausgang ist der von etlichen Oberbürgermeistern bereits angezeigte „Datenklau durch die Polnische Post“ wirklich nur noch ein Detail.
Die Uhr der Wahlkommission tickt
Nur Donald Tusk, Polens ehemaliger Premier, Ratsvorsitzender der EU und heute Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament, forderte seine Landsleute zum Boykott der Präsidentschaftswahl auf. Dem schlossen sich fast alle Ex-Präsidenten und viele Ex-Premiers Polens an, doch aus der EU blieb sie die einzige laut vernehmbare Stimme.
Mit der Geisterwahl am Sonntag zeigt die PiS zum ersten Mal ohne Maske, dass nicht nur diese Wahl ganz ohne demokratische Standards, ja sogar ohne das Wahlvolk auskommen kann, sondern auch die kommenden Parlamentswahlen im Jahr 2023. Denn was einmal durchgeht, wird auch bei zweiten Mal geschluckt. Die PiS muss die autokratische Kröte nur geschickt genug verpacken.
In Polens unabhängiger Wahlkommission tickt noch immer die Uhr und zählt die Tage, Stunden und Sekunden bis zum Wahlbeginn am Sonntag um 7 Uhr morgens runter. Doch am Ende des Countdowns steht nicht mehr das „Fest der Demokratie“, sondern die größte Wahlpleite, die Polens junge Demokratie je erlebt hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück