Polnischer Karikaturist über Europa: "Gott wäre ein passabler Beruf für mich"
Zwischen Minderwertigkeit und Größenwahn: der polnische Karikaturist Andrzej Mleczko über die Polen, ihre Nachbarn, den speziellen Humor der Europäer – und die Kaczynski-Ära.
taz: Herr Mleczko, während sich in Europa alle um Griechenland, den Euro und überhaupt die EU sorgen, platzen die Polen geradezu vor Glück. Wie erklären Sie diesen Optimismus?
Andrzej Mleczko: Wir haben von der Krise nicht allzu viel mitbekommen. Unsere Politiker haben von Anfang an die Weichen richtig gestellt. So eine Tragödie wie in Griechenland haben wir hier nicht. Es geht die ganze Zeit bergauf.
Bei den Deutschen auch. Dennoch sind sie missmutig.
Das ist der Fluch des Reichtums.
Früher klagten und jammerten die Polen in einem fort. Warum sind sie heute so glücklich?
Dies hat mich auch verwundert. Es ist schwer, heute etwas Allgemeingültiges über die Polen zu sagen. Früher, insbesondere in der Zeit des Kommunismus, habe ich gedacht, dass ich genau weiß, wie die Mehrheit der Polen denkt und fühlt. Doch je älter ich werde, desto öfter wundere ich mich, zum Beispiel darüber, dass die Polen so glücklich sind, zumindest laut Umfragen, oder dass 30 Prozent immer noch die rechtsnationale Partei Recht und Gerechtigkeit wählen wollen.
Einem Stereotyp zufolge sind aber Satiriker eher traurig.
Hier kommen Charakter und Talent zusammen: Man kann lustig sein und traurige Dinge tun, man kann traurig sein und lustige Dinge tun. Man kann auch lustig sein und lustige Dinge tun oder traurig sein und traurige Dinge tun. Jede Kombination kommt in Frage. Ich bin ein Pessimist, der sich über diese Welt lustig macht.
Jahrgang 1949, polnischer Karikaturist und Satiriker, studierte in Krakau Architektur und debütierte 1971 als satirischer Zeichner in der Studentenzeitschrift Student. Seither publizierte er weit über 20.000 Karikaturen, Grafiken, Plakate sowie mehrere Bücher. 1983 gründete er eine eigene Galerie in Krakau, im Jahr 2000 eine weitere in Warschau. Seine Arbeiten wurden in über 100 Einzelausstellungen im In- und Ausland gezeigt, er selbst mehrfach als Satiriker ausgezeichnet. Mleczko ist der Hauskarikaturist des renommierten polnischen Nachrichtenmagazins Polityka.
Fühlen Sie sich daheim im "gemeinsamen Haus Europa"?
Ich bin ein großer Europa-Enthusiast. Die Idee eines Europas der Regionen sagt mir am meisten zu. In Polen ist das immer noch eine Art Gotteslästerung, aber allein schon das Wort "Nation" weckt in mir eher Misstrauen denn Begeisterung. Es wäre fantastisch, wenn es gelänge, die nationalen Teilungen in der EU auf ein Minimum zu begrenzen, wenn es so etwas wie die Vereinigten Staaten von Europa geben würde.
Reisen Sie viel in Europa?
Ich bin zum ersten Mal ins Ausland gefahren, als ich 28 Jahre alt war. Meine Tochter hat in diesem Alter schon ganz Europa gesehen. "Viel" ist also relativ . Aber die wichtigsten Länder Europas kenne ich.
Als Satiriker nehmen Sie die Polen mit freundlich-bissiger Distanz aufs Korn. Wie genau?
Richtig müsste es heißen "Ich bemühe mich um eine freundliche Distanz". Aber es ist schon so, dass mir das nicht immer gelingt und manchmal das Blut hochkocht. Wir können eben nicht aus unserer Haut; aus der Kindheit, die uns geprägt hat; aus dem Moralkodex und der Weltsicht, die in unserem Land vorherrschen. Ich versuche, die Welt von oben zu betrachten.
Von oben?
Von oben! Schon als Kind wollte ich nicht Lokomotivführer oder Feuerwehrmann werden, sondern Weltenlenker. "Gott", dachte ich, wäre ein passabler Beruf für mich. Ein bisschen hänge ich diesem Größenwahn bis heute an.
War die Kaczynski-Ära eine goldene Zeit für Sie? Damals zeichneten Sie den Chef einer Karikaturisten-Gewerkschaft, der in den Hörer brüllte: "Wir müssen Satiriker aus China und der Ukraine ins Land holen. Alleine schaffen wir es nicht mehr!"
Die damalige Zeit war Realsatire pur. In Wirklichkeit brauche ich weder Kaczynski noch die Liga der polnischen Familien, um ein gutes Cartoon zeichnen zu können. Auch Langeweile kann ein Thema sein. Mich interessiert das Absurde im Alltag.
Als dann im Ausland Witze über Polen kursierten, fanden Polens Politiker das gar nicht komisch.
Aber wir Bürger haben uns köstlich amüsiert. Die Kartoffel wurde plötzlich zu einer Staatsaffäre. Wenn man mit dem Komplex lebt, als kleines Land vom Ausland nicht ernst genommen zu werden, fühlt man sich schnell beleidigt. Aber diese Zeit ist vorbei. Das heißt, manchmal schwanken die Polen noch, ob sie eher den Minderwertigkeitskomplex oder den des Größenwahns kultivieren sollen. Andererseits sind wir ja seit kurzem ein glückliches Volk.
Der britische Humor, sagt man, ist schwarz, der tschechische eher absurd, der deutsche und polnische hingegen eher etwas grob. Gibt es so etwas wie einen europäischen Humor?
Die europäische Kultur wird durch viele gemeinsame Elemente zusammengehalten, die die Mentalität und auch den Humor prägen. Ich will jetzt hier nicht zu wenig patriotisch erscheinen, aber Kerneuropa wurde von den Römern und Karl dem Großen geschaffen. Es ist wirklich bedauerlich, dass sich weder Cäsar noch ein anderer römischer Kaiser in unsere Ecke vergaloppiert hat. Aber auch so sind wir enger mit der Toskana und der Provence verbunden als mit Alabama oder Virginia. Ganz zu schweigen von China oder den arabischen Ländern.
Worüber in der EU lässt sich gut spotten?
Je weiter die europäische Integration voranschreitet, desto mehr gemeinsame Themen werden wir haben. Das größte Problem in Europa ist zurzeit aber nicht die Wirtschaftskrise. Vielmehr haben die europäischen Demokratien den Weg in den Populismus angetreten Das ist eine Sackgasse. Die Medien tragen einen Großteil der Schuld an dieser Entwicklung.
Warum?
Sie biedern sich den Dümmsten an.
Und die Politiker?
Sie machen das Spiel mit. In Polen ist das gut zu beobachten. Anfangs haben Autoritäten wie Tadeusz Mazowiecki, Bronislaw Geremek und Leszek Balcerowicz das Land regiert. Doch dann kamen immer öfter Menschen an die Macht, die mit Ach und Krach die Volksschule absolviert haben.
Das ist eben der Wille des Volkes.
Wer Auto fahren will, muss eine Führerscheinprüfung bestehen. Warum sollte ein künftiger Politiker, der das Land regieren will, nicht auch einen einfachen Test bestehen? Fragen könnten sein: Welche Aufgaben hat der Premier, welche der Präsident und womit beschäftigen sich Sejm und Senat? Zur Wahl stellen dürften sich nur diejenigen, die diesen Test bestanden haben.
Lassen Sie sich von der Politik inspirieren, oder haben Sie ununterbrochen Geistesblitze, die Sie dann umsetzen?
Ich brauche eine bestimmte Atmosphäre zum Arbeiten. Soweit ich weiß, hat Hemingway nur im Stehen geschrieben, Proust wohl am liebsten im Bett. Ich brauche absolute Einsamkeit. Es darf niemand im Haus sein. Der Schreibtisch muss aufgeräumt sein, alles an seinem Platz. So wie bei den Deutschen. Wenn das polnische Fernsehen zu mir kommt, schaffe ich vorher immer ein künstlerisches Chaos. Als dann einmal das deutsche kam, dachte ich, das sei nicht nötig und beließ alles an seinem Platz. Die kamen rein, wunderten sich und murmelten nur immer wieder "Ordnung, Ordnung, Ordnung". Vielleicht dachten sie, ich hätte für sie aufgeräumt?
Sie sitzen am Tisch, das weiße Blatt vor sich?
Wichtig ist allein der Effekt. Manchmal arbeite ich eine Zeichnung 30 Mal um. Aber alle denken, ich hätte sie in fünf Minuten gemalt. Es muss leicht wirken. Es gibt nichts Schlimmeres in der Kunst, als wenn man ihr den Schweiß des Künstlers ansieht.
Entsteht die Pointe auch im Schweiße Ihres Angesichts?
Ganz im Gegenteil. Das ist der schönste Moment im ganzen Schaffensprozess. Eine Art Blitz, der mich durchfährt. Ein Orgasmus. Ich liebe diesen Moment. Plötzlich verbinden sich die Neuronen im Kopf und verströmen ein unglaubliches Gefühl des Glücks. Dafür lebe ich – unter anderem.
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