Polizisten im Rotlichtmilieu: Der fallengelassene Agent
Ein ehemaliger Polizeispitzel erhebt schwere Vorwürfe gegen die Polizeidirektion Hannover. Er sei abgeschaltet worden, weil er auch über Polizisten und Staatsanwälte berichtet hatte.
HANNOVER taz | Das Niedersächsische Oberlandesgericht in Lüneburg entschied am Donnerstag über die Klage eines Kriminalbeamten gegen seinen Dienstherrn, die Polizeidirektion Hannover.
Die Behörde hatte dem Beamten untersagt, mit einem abgeschalteten Polizeispitzel weiterhin Kontakt zu halten. Der Beamte hatte gegen diese Kontaktsperre verstoßen und war deswegen mit einer Disziplinarstrafe belegt worden. Dagegen wehrte er sich vor Gericht.
Der abgeschaltete Polizeiagent war nicht im Saal, aber dennoch unter seinem früheren Decknamen präsent: "G 06". Es handelt sich um einen etwa 60-Jährigen, der von 1997 bis 2003 als "Vertrauensperson (VP)" im Raum Hannover für Polizeibehörden tätig war, davon drei Jahre für die Polizeidirektion Hannover. Sein "VP-Führer", behördeninterner Deckname "Eddy", trat am Donnerstag als Kläger gegen seinen Dienstherrn auf.
Der Hintergrund dieses seltsamen Verfahrens wurde nicht im Gerichtssaal, sondern allenfalls auf dem Flur erörtert. Deshalb sprach die taz mit "G 06" über sein Leben als Polizeiagent.
Damals hatte er viele Freunde und Bekannte im Rotlichtmilieu Hannovers und unter den Hells Angels. Bei ihnen hatte er sich als Mitbesitzer von Bordellbetrieben ausgegeben und Leute aus dieser Szene an die Polizei verraten, wenn ihm Verdachtsmomente zu Ohren kamen.
Seine Hinweise hätten zu vielen Verurteilungen geführt, sagt "G 06". Sein Pech sei gewesen: Er habe auch Informationen geliefert, die die Strafverfolgungsbehörden in Verlegenheit brachten.
So konnte er schon 2001 davon berichten, dass ein großer Bordellbetreiber aus Hannover Frauen lieferte für Parties, an denen Top-Manager und Betriebsräte des Volkswagen-Konzerns teilnahmen. Er habe auch den Betriebsrat gekannt, der als Verbindungsmann zwischen Bordellbetreibern des Hannoverschen Steintorviertels und dem VW-Konzern fungierte, sagt "G 06".
Er habe von groß angelegten Diebstählen im Werk, von Drogenhandel und Prostitution in der Eisengießerei des Stöckener VW-Werks berichtet, musste aber feststellen, dass die Polizei bald keine Details von VW mehr wissen wollte. Sie habe auch nicht weiterermittelt, sondern seine Hinweise einfach an den Konzern weitergereicht. Einer seiner VP-Führer habe die für Sicherheit zuständigen Manager des Konzerns ins Bild setzen müssen.
Den Behörden, vermutet "G 06", war es damals wichtiger, den guten Ruf des Weltkonzerns zu schützen, als ihre Pflicht zu tun. Genützt hat es nichts, denn 2005 kamen die Sexparties bei Volkswagen doch ans Tageslicht. Die "VW-Affäre" war monatelang in den Schlagzeilen,Manager und Betriebsräte wurden verurteilt.
"G 06" will seinen "VP-Führern" ferner über Polizisten berichtet haben, die in einem Bordell mit illegal dort lebenden Prostituierten Verkehr hatten und über Staatsanwälte, die sich, notdürftig gedeckt von dienstlichen Aufträgen, im Rotlichtmilieu verstrickten.
Solche Informationen hätten ihn die Existenz gekostet, glaubt "G 06" heute. Staatsanwälte erhoben 2004 schwere Vorwürfe gegen ihn: Vergewaltigung und Menschenhandel. "G 06" sieht die Anklage als Racheakt von Staatsanwälten, die er in den Bordellen ein- und ausgehen sah.
Das Verfahren gegen ihn führte zu keiner Verurteilung. Vom Vorwurf der Vergewaltigung wurde er freigesprochen. Das Verfahren wegen Menschenhandels wurde gegen Auflagen eingestellt. Aber "G 06" war durch die Ermittlungen und das öffentliche Gerichtsverfahren enttarnt und wurde abgeschaltet.
Er verlor sein Einkommen und ist seitdem auf Hartz IV angewiesen. Mehrmals musste er umziehen, weil er die Rache seiner früheren Bekannten aus dem Rotlichtmilieu und der Rockerszene fürchtet. Heute lebt er unter falschem Namen in einer Gegend, in der ihn niemand kennt. Er protestiert bei Polizeibehörden, sucht den Kontakt mit Journalisten und Politikern.
Er will rehabilitiert werden und seine Lebensumstände verbessern. In den Medien fand sein Absturz wenig Widerhall. Nur der Weser-Kurier berichtete ausführlich. Er habe zu genau hingeschaut, wo Rotlicht, organisierte Kriminalität und die feine Gesellschaft sich berühren, sagt "G 06". Er sei auch noch unvorsichtig genug gewesen, darüber zu berichten. "Wenn ich das nicht getan hätte, wäre ich noch heute für die Polizei in Hannover tätig."
"Eddy" und andere Polizeibeamte, die zuvor mit "G 06" Verbindung gehalten hatten, protestierten intern gegen die Abschaltung ihres Spitzels. Sie wurden in andere Positionen versetzt und im März 2005 verbot ihnen der stellvertretende Polizeipräsident jeglichen Kontakt mit "G 06".
Zur Begründung verwies er nebulös auf die "Sensibilität der Lage". Die Behörde wollte aber auch wissen, ob ihre Beamten gehorsam sind und wertete Telefondaten aus, zumindest bei "Eddys" Dienstapparat. Sie fand vier Telefongespräche mit dem abgeschalteten Agenten und bestrafte "Eddy". Er sollte sechs Monate lang auf fünf Prozent seines Gehalts verzichten. Er legte Widerspruch ein, erfolglos. Dann klagte er vor dem Verwaltungsgericht Hannover, das die Strafe billigte.
Doch die zweite Instanz, das Oberverwaltungsgericht, hob die Disziplinarstrafe auf, sie sei ungerechtfertigt hart. Das Gericht hielt dem Beamten zu Gute, er habe das so vage begründete Kontaktverbot wohl nur fahrlässig außer Acht gelassen.
Die Polizeidirektion Hannover wollte zu den Vorwürfen ihres früheren Agenten "G 06" nicht Stellung nehmen.
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