Polizeispitzel in Hamburgs linker Szene: Schnüffelei im Trägerverein
Maria B. hatte Einblick ins Finanzwesen linker Gruppen. Das überschreitet einen Einsatz zur Gefahrenabwehr, wie ihn das LKA behauptet.
Anhand ihrer Ergebnisse wird deutlich, dass die Polizistin unter ihrer Tarnidentität als „Maria Block“ noch stärker in die Szene involviert war, als bisher bekannt war. Und dass sie tiefe Einblicke in Personalien, Finanzen und Organisationsstrukturen linker Projekte hatte. Der Infoladen Wilhelmsburg, ein Anlaufs- und Informationsort für linke Stadtteilpolitik im Hamburger Süden, hat eine umfassende Dokumentation von B.s Eindringen in die dortigen Strukturen vorgelegt.
Hatte es bisher so ausgesehen, als sei die antirassistische Szene um die in den 80er Jahren besetzte Hafenstraße das Hauptziel ihres Einsatzes gewesen, so zeigt sich nun, wie sehr das LKA auch an linker Stadtpolitik und der gentrifizierungskritischen „Recht auf Stadt“-Bewegung interessiert war.
Maria B. war nicht nur über 15 Monate zahlendes Mitglied im Trägerverein des Wilhelmsburger Infoladens, sie beteiligte sich auch aktiv am Ausbau des Projekts: Die Beamtin half dabei, Finanzierungskonzepte zu erstellen, eine eventuelle Gemeinnützigkeit des Trägervereins zu prüfen und Fördergelder zu beantragen. So erlangte sie tiefen Einblick in den Spenden- und UnterstützerInnenkreis. Auch nach außen vertrat sie den Infoladen und erfragte als Delegierte Informationen über die Finanzierungsstruktur anderer linker Projekte.
Besonderes Interesse am Protest gegen Großprojekt IBA
Besonders interessiert hat das LKA offenbar vor allem der Protest gegen das millionenschwere Großprojekt IBA, die Internationale Bauausstellung, die 2013 in Wilhelmsburg stattgefunden und wesentlich zur Aufwertung des Stadtteils beigetragen hatte. Die AktivistInnen schreiben dazu: „Maria äußerte während ihrer Arbeit im Infoladen und privat Interesse an vielfältigen Themenfeldern linksradikaler Politik, aber insbesondere am Thema Stadtentwicklung und Gentrifizierungs-Kritik, sowie sich entwickelnder Anti-IBA-Proteste.“
Immer wieder habe sie versucht, AktivistInnen dazu zu bringen, sich zur IBA zu positionieren – und auch Stellungnahmen zu anderen an der IBA beteiligten AkteurInnen, wie beispielsweise der städtischen Baugenossenschaft SAGA, zu provozieren. In einer E-Mail an den Infoladen-Verteiler schrieb B. im Dezember 2009: „Für mich stellt sich jetzt die Frage, ob wir sie [kostenlose Räume der SAGA; Anm. d. Redaktion] nutzen sollten, können, wollen??? Denn natürlich wird sich das dann die tolle SAGA GWG auf ihren Zettel schreiben und so werden wir vielleicht noch mehr Teil der ‚tollen‘ Stadtentwicklung sein. Also gebt mal bitte eure Meinung dazu ab.“
Bemerkenswert ist das vor allem vor dem Hintergrund der wenig später erteilten Kündigung der vom Infoladen gemieteten Räume durch die SAGA. „Völlig aus dem Nichts“ habe den Infoladen Ende November die erste Abmahnung erreicht, sagte ein Aktivist gegenüber der taz.nord. Das Mietverhältnis sei bis dahin immer sehr gut gewesen, daher habe man sich gewundert. Als offizielle Begründung hatte die SAGA auf der Hauswand angebrachte Sticker und Poster angegeben, die die AktivistInnen daraufhin entfernten.
Die inoffizielle Begründung habe ein SAGA-Mitarbeiter in einem persönlichen Gespräch geäußert: Die kritische Haltung des Infoladens zur IBA. „Woher die SAGA davon wusste, war allen damals ein ziemliches Rätsel“, so der Aktivist. Man habe die Ablehnung der IBA zwar nicht verheimlicht, aber sich auch nicht öffentlich positioniert. Im März 2010 kündigte die SAGA das Mietverhältnis.
Fragwürdig bleibt die Dimension des Einsatzes der verdeckten Ermittlerin – nach Angaben des LKA war Maria B. zur Gefahrenabwehr in der linken Szene eingesetzt. Das Ausforschen finanzieller Strukturen sowie der Spenden- und UnterstützerInnenszene im Stadtteil dürfte damit allerdings kaum zu rechtfertigen sein. „Ihre Arbeit scheint hier eher dem zu entsprechen, was gemeinhin dem Aufgabenfeld des Verfassungsschutzes entspricht“, schreiben die Betroffenen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid