Polizeikessel rechtens: Lieber erst mal einsperren
Bei einer Demo nahm die Polizei massenhaft Leute präventiv in Gewahrsam. Für das Oberverwaltungsgericht ist das okay so.
Im konkreten Fall ging es um eine Anti-Repressions-Demonstration in der Bremer Innenstadt vor sieben Jahren, genauer gesagt, am 13. Dezember 2008. Die Demo war damals verboten worden, weil laut Polizei „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ mit einem „unfriedlichen Verlauf“ zu rechnen sei. Das Verbot hatte seinerzeit auch vor dem Oberverwaltungsgericht noch Bestand. Um dagegen zu protestieren, fanden sich etwa 300 DemonstrantInnen in der Innenstadt ein, rund 170 von ihnen wurden von der Polizei stundenlang eingekesselt und schließlich in Gewahrsam genommen. Bis 23 Uhr mussten sie in mitunter überfüllten Sammelzellen ausharren, ehe sie schließlich freigelassen wurden. Die Polizei hatte nämlich die Befürchtung, dass sie am Nachmittag im Viertel nochmals würden demonstrieren gehen - und wollte das verhindern. Juristen nennen das „Unterbindungsgewahrsam“. Der ist nur zulässig, wenn er „unerlässlich“ ist, um einen Rechtsbruch „von erheblichem Gewicht“ zu verhindern.
Die später Eingesperrten wollten sich solidarisch zu drei angeklagten Antifas zeigen, denen die Mitgliedschaft in der „militanten gruppe“ vorgeworfen wurde. In anderen Städten wurden Demos zugelassen - in Bremen nicht. Bereits kurz zuvor war es zu einer ähnlichen Massen-Ingewahrsamnahme gekommen: Dabei wurden über 230 Fußballfans präventiv eingesperrt.
Rechtsanwalt Jan Sürig, der zwei der Betroffenen vor dem OVG vertrat, hat nach eigenen Angaben „massenhaft“ Anträge auf sofortige Freilassung der Eingesperrten gestellt. Die seien aber alle „ignoriert“ worden. Zudem habe die Polizei „nicht einen der Betroffenen“ dem Gericht vorgeführt. Dabei hätte sie genau das tun müssen - und zwar „unverzüglich“, sagt Sürig: So regele es der Richtervorbehalt im Grundgesetz: „Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden.“ Das Amtsgericht hat aber erst spätabends überhaupt einen Beschluss gefasst, ohne dabei auf einzelne, seit dem Nachmittag eingesperrte Demonstranten namentlich Bezug zu nehmen. Ob der auch schon was über die Rechtmäßigkeit sagt, ist umstritten. Aus Sürigs Sicht handelte die Polizei „rechtswidrig“. Das OVG sieht das anders - und liefert die Erklärung in der schriftlichen Urteilsbegründung nach.
Sürig wirft der Bremer Justiz unterdessen „Betriebsblindheit“ vor und spricht im konkreten Fall von einem „juristischen Desaster“. Die mündliche Gerichtsverhandlung über das Demonstrationsverbot sei damals „ausschließlich polizeiöffentlich“ gewesen, sagt Sürig, in „paramilitärischer Art“ und mit „einer dreisten Lüge“ durchgezogen worden - um das Versammlungsverbot „durchzupeitschen“, wie Sürig das nennt. Einen solchen „Abgrund“ habe er in der Bremer Justiz „noch nie erlebt“.
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