piwik no script img

Polizeigesetze auf dem PrüfstandImmer diese Fußballfans

Das Public Viewing bei der Fußball-WM sorgte für mehr Platzverweise als die Maikrawalle im Schanzenviertel. Linksfraktion fordert liberaleres Polizeigesetz.

Sommer der Gewalt: Beim Fußballgucken 2006 gab es mehr Platzverweise als am 1. Mai in der Schanze. Bild: dpa

Der WM-Sommer 2006 war kein "Sommer unter Freunden", es war der Sommer der Gewalt. Zumindest auf dem Heiligengeistfeld: Allein beim Public Viewing wurden dort von der Polizei 727 Aufenthaltsverbote ausgesprochen.

Das ist fast ein Viertel aller Platzverweise, die von Mitte 2005 bis zum 2. Mai 2011 in sogenannten "Gefahrengebieten" in der Hansestadt ausgesprochen wurden - und sogar mehr als bei den Maikrawallen vor der Roten Flora im Schanzenviertel (siehe Kasten).

Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Große Anfrage der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft hervor. Die Polizei würde "weit im Vorfeld einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung Eingriffe in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger durchführen", kritisiert die innenpolitische Sprecherin der Linken, Christiane Schneider. Bei einer Novellierung der Polizeigesetze müsse dies "dringend geändert werden".

Für die Verhängung eines Aufenthaltsverbots reicht selbst nach Polizeieinschätzung "die Verhütung von Ordnungswidrigkeiten oder die Abwehr einer sonstigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht aus". Voraussetzung sei vielmehr "eine begründbare Erwartung, dass eine Straftat begangen werden soll", heißt es in der Senatsantwort. Zudem müssten "Erkenntnisse" vorliegen, "dass die betroffene Person eine Straftat an einem bestimmten Ort begehen wird".

Wie die Polizei solche Erkenntnisse gewinnen konnte, bleibt offen. Schneider spricht deshalb von Verschleierung mittels "kaskadenförmiger Verweisungsketten", die eine nachträgliche Aufklärung nahezu unmöglich machten.

Platzverweise

Von 2005 bis 2011 hat die Polizei nach Angaben des Senats in "allgemeinen Gefahrengebieten" 2.832 Platzverweise und Aufenthaltsverbote ausgesprochen. Davon entfielen auf:

Wasserturm Schanzenpark: 4

G8-Gipfel 2007: 110

Schanzenfest 2010: 21

Maikrawalle Schanzenviertel 2011: 568

Public Viewing Fußball-WM 2006 Heiligengeistfeld: 727

Public Viewing Fußball-WM 2006 andere Orte: 72

Amüsierviertel Reeperbahn/

St. Pauli: 1.212

Sonstiges: 118

Im Jahr 2005 hatte die CDU-Alleinregierung unter Federführung von Justizsenator Roger Kusch das nach eigener Einschätzung "schärfste Polizeigesetz Deutschlands" durchgesetzt.

Inzwischen haben mehrere Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts deutlich gemacht, dass eine Reihe von Normen des "Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung" (SOG) wie auch des "Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei" (PolDVG) in Teilen verfassungswidrig sind. Deshalb steht nach Ansicht aller Fraktionen in der Bürgerschaft eine Liberalisierung dieser Gesetze an. Der SPD-Senat wurde aufgefordert, bis Ende Oktober einen neuen Gesetzesvorschlag vorzulegen.

Nach Auffassung der Rechtsanwältin Ulrike Donat in einem Gutachten für die Linke müsse ein neues Polizeigesetz für "Normenklarheit" sorgen, um den Grundrechtsschutz der Betroffenen zu wahren. Auch sollten Aufenthaltsverbote einen "konkreten Gefahrenverdacht" voraussetzen.

Zudem müssten richterliche Erlaubnisse eingeholt und die Aufsichtsrechte des Parlaments gestärkt werden, fordert Schneider. Anders als in Bremen unterliegt dieses polizeiliche Vorgehen in Hamburg keiner Kontrolle durch einen Ausschuss der Bürgerschaft.

Auch die Begründungen für die Platzverweise beim Public Viewing auf dem Heiligengeistfeld 2006 bleiben im Unklaren. Was auch immer befürchtet worden sein mag - eine Auswertung der Vorgänge, antwortet der Senat, sei "nicht zu leisten".

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • RS
    Reiner Schuhmacher

    Als gäbe es keine Hamburger Verfassung und kein Hamburgisches Verfassungsagericht.

    Als gäbe es keine Remonstrationpflicht, die auch den

    rangniedrigsten Polizeibeamten verpflichtet, bei Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit seiner Maßnahmen zu verweigern.

    Was soll die Verharmlosung mit Begriffen wie "rechtswidrig". Es handelt sich hier um Straftaten, begangen von Polizeibeamten.

    Wieso dürfen Bürger Polizeibeamte, die vermummt Straftaten begehen, nicht gem. § 127 StPO festnehmen?

  • RS
    Reiner Schuhmacher

    Als gäbe es keine Hamburger Verfassung und kein Hamburgisches Verfassungsagericht.

    Als gäbe es keine Remonstrationpflicht, die auch den

    rangniedrigsten Polizeibeamten verpflichtet, bei Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit seiner Maßnahmen zu verweigern.

    Was soll die Verharmlosung mit Begriffen wie "rechtswidrig". Es handelt sich hier um Straftaten, begangen von Polizeibeamten.

    Wieso dürfen Bürger Polizeibeamte, die vermummt Straftaten begehen, nicht gem. § 127 StPO festnehmen?