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Polizei in Berlin„Wir haben Vertrauen verloren“

Der NSU-Skandal war eine „schmähliche Niederlage“, sagt Berlins Staatsschutzchef Oliver Stepien und will daraus Lehren für die Polizeiarbeit ziehen.

Nach dem NSU-Skandal: Das Image der Polizei ist angekratzt. Bild: dpa
Interview von Plutonia Plarre

taz: Herr Stepien, der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsauschusses im Bundestag umfasst 1.300 Seiten. Wie genau kennen Sie den Bericht?

Oliver Stepien: Ich habe ihn gelesen.

Was für ein Gefühl hatten Sie bei der Lektüre?

Es ist schwer, das in Worte zu fassen. Ich habe es als schmähliche Niederlage empfunden, was da passiert ist. Egal, wer welche Verantwortung oder Schuld für das Ermittlungsversagen hatte. Dass es uns als Sicherheitsbehörden nicht gelungen ist, früher einzugreifen, ist schmerzhaft.

Berlin war kein Tatland des NSU, aber mehrere V-Männer des LKA waren am braunen Terror-Trio relativ nah dran. In einem 44-seitigen Papier hat die Berliner Polizei jetzt umfangreiche Konsequenzen aus dem Versagen angekündigt. Viele Menschen glauben, das ist nur Makulatur.

Es ist nachvollziehbar, dass wir bei einem Teil der Gesellschaft Vertrauen verloren haben. Aber ich würde mir wünschen, dass wir eine Chance haben, es wiederzugewinnen.

Aber Sie verlieren das Vertrauen ja ständig neu.

Worauf wollen Sie hinaus?

Im Interview: Oliver Stepien

49, ist seit 2011 Abteilungsleiter des Staatsschutzes im Landeskriminalamt (LKA 5). Davor war er Leiter des Dezernats 54 - politisch motivierte Kriminalität Ausländer/Islamismus und im Bereich organisierte Kriminalität tätig.

Konkreter Fall: Am 18. September wird in einem Asylbewerberheim in Köpenick eine Scheibe eingeworfen. Die Polizei sagt noch am selben Tag, es gebe keinen politischen Tathintergrund. In dem „Konsequenzen-Papier“ heißt es aber: Die Polizei werde bei Ermittlungen keine voreiligen Schlüsse mehr ziehen.

Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das ansprechen. Der Vorgang ist Ausdruck für die dicken Bretter, die wir bohren müssen. Ich will Ihnen mal schildern, wie dieser Fall gelaufen ist: Gegen 21 Uhr war die Tat. Um 23 Uhr wurde der Dauerdienst des Staatsschutzes in Kenntnis gesetzt.

Ist das schnell?

23 Uhr ist frühzeitig. In der Vergangenheit wären wir vielleicht gar nicht in Kenntnis gesetzt worden, weil es geheißen hätte, das sei nichts für den Staatsschutz. Obwohl die Direktion 6 also eine Staatsschutz-Meldung initiiert und der Staatsschutz die Übernahme des Vorgangs angekündigt hatte, wurde der Vorgang in die Direktion 6 technisch abverfügt.

Was heißt das?

Der Vorgang wurde elektronisch einer Direktionsdienststelle zugewiesen statt dem Staatsschutz. Irgendjemand sagte dann den Kollegen von der Pressestelle: „Ich glaube nicht, dass da was ist.“ Daraus wurde dann: Polizei schließt politischen Hintergrund aus. Es ist also unsauber kommuniziert worden. Der Fall ist ein Superbeispiel, aus dem alle nur lernen können.

Wie ist der aktuelle Ermittlungsstand?

Bisher haben sich tatsächlich keine konkreten Hinweise auf eine rechte Motivation ergeben. Die Ursache dürfte – vorbehaltlich ausstehender Befragungen – möglicherweise eher im Bereich von unpolitischen Streitigkeiten unter Kindern oder Jugendlichen liegen. Gleichwohl verbleibt der Vorgang bis zum Abschluss der Ermittlungen beim zuständigen Dezernat 53 im Staatsschutz.

Polizisten sollen durch Aus- und Fortbildungen interkulturell sensibilisiert werden, lautet ein weiteres Vorhaben. Neu ist diese Idee nicht, oder?

In gewisser Weise doch. Wir versuchen die Fortbildung im Staatsschutz auf neue Füße zu stellen in unterschiedlichen Phasen und Modulen. Die modulartige Fortbildung besteht nicht nur aus Fachvorträgen von Polizisten für Polizisten. Die dritte Phase soll unter anderem von zivilgesellschaftlichen Organisationen gestaltet werden.

An wen genau denken Sie?

Wir haben bislang 16 Personen oder Institutionen angeschrieben. Es geht auch darum, die Erwartungshaltung aus dem politischen Raum und von Betroffenen, also den Opfern einer solchen Straftat, zu erfahren. Wenn es klappt, würden wir auch gern mit einem rechten Aussteiger sprechen.

Haben Sie auch bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) angefragt?

Die MBR wollen wir zu einem späteren Zeitpunkt einladen. Für die erste Umsetzung der Phase III Anfang 2015 ist eine Einladung an die Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ReachOut Berlin rausgegangen.

Gab es schon Rücklauf?

Acht Angeschriebene haben schon zugesagt, darunter auch ReachOut. Aber die Briefe sind noch nicht so lange raus, bezüglich weiterer Zusagen bin ich optimistisch. Diese Sachen sind wirklich neu. Wenn zum Beispiel ein Opfer einer fremdenfeindlich oder antisemitisch motivierten Straftat beschreibt, wie es ihm ergangen ist, dient das mit Sicherheit der Sensibilisierung und Förderung der interkulturellen Kompetenz.

Für welche Mitarbeiter in der Polizei sind diese Veranstaltungen gedacht?

Wir können das jeweils nur einem begrenzten Kreis öffnen – aber grundsätzlich sollte es für alle Interessierte gelten. Unabhängig davon gibt es den Strang Aus- und Fortbildung in der Landespolizeischule für den mittleren Dienst. Im Oktober wollen wir zusammen mit den Fachlehrern überlegen, wie die Konsequenzen im Zusammenhang mit dem NSU noch weiter in die Aus- und Fortbildung eingebracht werden können.

Was halten Sie von dem Eindruck, dass NGOs wie die MBR zum Teil deutlich besser über die rechtsextreme Szene informiert sind als der Staatsschutz?

Diesen Eindruck teile ich nicht. Auch zu Ermittlungsverfahren, die wir führen, wird uns mitunter vorgeworfen, dass die MBR Informationen hat, die wir nicht haben. Bei Einzelinformationen kann das mal zutreffen, beispielsweise wenn ältere Informationen uns nicht (mehr) vorliegen oder wir unsere Kenntnisse nicht so offen in die Ermittlungsverfahren einführen dürfen. Da sind wir dann froh, wenn jemand kommt und sagt: Die MBR hat dazu was veröffentlicht.

Sehen das alle Mitarbeiter im Dezernat 53 so wie Sie?

Ich habe hier nichts anderes erlebt. Einzelne Mitarbeiter mögen noch Berührungsängste haben, wenn ein Dossier oder Unterlagen von der MBR oder wem auch immer vorgelegt werden. Wir versuchen zu vermitteln, dass man keine Angst haben darf vor neuen Dingen. Dass das für uns Erkenntnisse sind wie andere Erkenntnisquellen auch.

Kommen wir zur Fehlerkultur – noch so ein Begriff aus den „Konsequenzen“. Was ist damit gemeint?

Die zentrale Konsequenz aus dem NSU ist, dass wir sicherstellen, in Richtung rechts zu ermitteln, wenn es angezeigt ist. Der Staatsschutz kann nicht alle Ermittlungsverfahren der Berliner Polizei bearbeiten. Das leuchtet jedem ein. Falsch wäre aber auch, wenn wir nur das bearbeiten, wo wir sicher zuständig sind. Es gilt den Punkt dazwischen zu finden. Der Fall Burak B. ist da so ein Bespiel.

Der 22-jährige Neuköllner ist im April 2012 an einer Bushaltestelle erschossen worden. Bis heute fehlt vom Täter jede Spur. Freunde und Angehörige vermuten die Täter im rechtsradikalen Milieu.

Nach meinem Stand gibt es keinen Anhaltspunkt auf politisch motivierte Kriminalität. Man kann es aber insofern auch nicht ausschließen, weil man gar nicht weiß, wer der Täter ist.

Was heißt das nun für die Ermittlungen?

Die Mordkommission führt im Fall Burak B. die Ermittlungen, aber es gibt einen früher nicht da gewesenen engeren Informationsaustausch mit dem Staatsschutz zum einzelnen Stand der Ermittlungen. Wir gucken uns immer wieder wesentliche Teile der Akten mit an. Das hat natürlich auch zu tun mit Fehlerkultur.

Da sind die Kollegen empfindlich?

Wenn eine andere Dienstelle kommt und sagt, da gucken wir noch mal drauf, bedarf das erst mal einer geeigneten Kommunikation.

Das haben Sie aber freundlich ausgedrückt.

Das ist natürlich ein potenzielles Konfliktfeld. Der Kollege wird eventuell nicht gerne kritisiert vom Kollegen. Es geht aber nicht um Kritik oder Kontrolle, sondern um einen gemeinsamen Mehrwert. Mittlerweile nehmen diesen Austausch alle Beteiligten sehr gerne an.

Fazit: Alles wird gut?

Es gibt über 20.000 Mitarbeiter bei der Polizei. Ich sage nicht, ab morgen wird alles gut, dazu bin ich zu lange in dieser Behörde. Man muss sich den Problemen stellen, sich ständig entwickeln. Aber wir würden uns auch freuen, wenn die vorhandenen Erfolge ein wenig mehr gewürdigt würden. Darüber wird relativ wenig berichtet.

Was haben Sie denn zu vermelden?

Allein in diesem Jahr hat das für rechtsextremistische Straftaten zuständige Dezernat 17 Strafbefehle und 31 Urteile erwirkt, circa 50 Durchsuchungen durchgeführt und 60 Haftbefehle vollstreckt. Das Thema Flüchtlingsheime ist für die rechte Szene ein Fokussionsthema, auch für Gewalttaten. Die Polizei macht da eine Menge, auch in Hellersdorf. Wenn ein israelischer Staatsbürger – der mutmaßlich aus antisemitischen Gründen Opfer einer gefährlichen Körperverletzung wurde – uns ein Dankschreiben schickt, weil wir das zu seiner Überraschung in relativ kurzer Zeit aufklären konnten, werten wir das auch als Beleg erfolgreicher Arbeit.

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