Politologe übers Kräfteverhältnis in Ägypten: "Die Armee hilft uns"
Noch spielt das Militär eine wichtige Rolle. Aber auch das wird sich erledigen, meint der Politologe Amr Hamzawy, der am Tahrir-Platz protestierte. An eine islamistische Wende glaubt er nicht.
taz: Herr Hamzawy, wie fühlt sich Kairo an diesem Tag an?
Amr Hamzawy: Ich stehe auf dem Tahrir-Platz, und es ist wirklich beindruckend. Ich habe Tränen in den Augen. "Tahrir" heißt ja "Befreiung", und dieser Platz ist tatsächlich zu einem befreiten Platz geworden, auf dem die Ägypterinnen und Ägypter basisdemokratisch über die Zukunft des Landes diskutieren. Sie machen deutlich: Wir sind friedlich und werden nicht den Präsidentenpalast stürmen. Aber wir werden bleiben, bis das Regime von Husni Mubarak unsere legitimen Forderungen verwirklicht hat. Und alle sind zuversichtlich, dass dies passieren wird.
Was ist das Besondere an dieser Bewegung?
AMR HAMZAWY, 43, in Kairo geboren, Politologe. Er promovierte an der FU Berlin und ist Forschungsdirektor des Carnegie Middle East Centers, Beirut. Er hält sich in Kairo auf.
Die ganze Gesellschaft, Arme, Reiche und Mittelschicht, Junge und Alte, Männer und Frauen sind auf der Straße. Aber nicht aus ideologischen Gründen. Und es ist auch keine antiwestliche, antiamerikanische oder antiisraelische Propaganda zu hören. Die Menschen sind hier, weil sie die Zukunft demokratisch gestalten wollen - und sozial. Auch das ist neu: dass soziale und politische Themen zusammen verhandelt werden.
Wie das Ganze ausgeht, hängt nicht zuletzt vom Militär ab. Wo steht die Armee gegenwärtig?
Sie macht zweierlei: Sie schützt die Massen vor Gewalt und Plünderungen. Und sie schützt zwar noch das Regime, aber nicht Mubarak. Denn das war ein riesiger Schritt nach vorn, dass die Armee am Montag erklärt hat, dass sie die legitimen Forderungen der Ägypter unterstützt und nicht auf die Demonstranten schießen wird. Die Menschen wissen jetzt: Die Armee sorgt für Sicherheit und wird uns bei der Demokratisierung helfen.
Erfordert eine Demokratisierung Ägyptens nicht auch die Entmachtung des Militärs?
Darauf wird es hinauslaufen. Seit 1952 war die Armee der wichtigste Machtfaktor. Das wird, nach einer Phase des Übergangs, nicht mehr der Fall sein. Vielleicht wird sie versuchen, noch mal jemanden ins Rennen zu schicken, möglicherweise den neuen Vizepräsidenten Omar Suleiman. Aber die Grundlagen des politischen Systems werden andere sein. Mit dem Regieren bis ans Lebensende ist es vorbei.
Aber warum sollten die Militärs freiwillig ihre Macht aufgeben?
Die Menschen sind nicht deshalb auf der Straße, um am Ende wieder von einem General regiert zu werden. Das sehen auch die Militärs. Und sie agieren wirklich nicht im politischen Sinne.
Da Sie eine Restauration der alten Verhältnisse ausschließen - in welchem Zusammenhang wird man Ägypten und Tunesien 2011 später einmal stellen: Iran 1979 oder Osteuropa 1989?
Dieses Gerede, dass der Aufstand in Ägypten eine islamistische Wende nehmen könnte, ist völlig haltlos. Davon bemerkt man nichts auf der Straße. Dort aber steht die schweigende Mehrheit, von der wir wussten, dass es sie gibt und die sich zuvor nicht in die Politik eingemischt hat.
Die Muslimbruderschaft spielt keine Rolle?
Sie hat zwar zu dem Aufstand beigetragen, aber nicht in einer tragenden Rolle. Viel wichtiger sind die Netzwerke der jungen Ägypter. Und die Forderungen, die an die Adresse des Regimes und des Militärs gestellt werden, sind keine islamistischen. Die Bürger haben den Traum eines demokratischen, besseren Ägyptens, so wie die demokratischen Bürgerbewegungen in Osteuropa oder Südamerika.
Von koptischen Ägyptern ist durchaus die Furcht zu hören, die Muslimbruderschaft könnte doch die Macht übernehmen.
Die Muslimbruderschaft ist eine politische Kraft im Land und kann sich am demokratischen Wettbewerb beteiligen - aber unter demokratischen Bedingungen. Dazu gehört der zivile Charakter von Staat und Gesellschaft. Und dazu gehört, dass alle Ägypterinnen und Ägypter, ob muslimisch oder christlich, dieselben Rechte haben, auch das Recht, für alle öffentlichen Ämter zu kandidieren.
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