Politologe über die Globalisierungskritiker: Ach, Attacis!
Ende Mai findet in Berlin ein großer Attac-Kongress statt. Die eingetragene Marke der Globalisierungskritik sieht alt aus, sie ist in den Mainstream eingegangen.
S eit seiner Gründung im Jahr 2000 gilt Attac Deutschland in Medien und Forschung als ein herausragender Akteur der globalisierungskritischen Bewegung. Dies hängt sicherlich auch noch mit dem - mittlerweile etwas verblassten - Nimbus zusammen, den viele Medien der Organisation während und kurz nach den Protesten gegen den G-8-Gipfel 2001 in Genua zuschrieben.
Attac wurde zur „Marke für Globalisierungskritik“ (von Lucke) und gab der Bewegung ein medientaugliches Gesicht. Sein Erfolg lag dabei nicht nur in der anfänglich starken Präsenz, sondern auch bzw. heute fast nur noch in der stetig steigenden Zahl der Mitglieder - nach eigenen Angaben in Deutschland immerhin rund 23.000.
Attac möchte Bildungsbewegung sein, Expertise liefern und per Aktion Resonanz hervorrufen. Dabei etablierte es für sich einen „neuen Organisationstyp“, der Bewegungs- mit NGO-Elementen verbinden soll und der seinen „weltanschaulichen Pluralismus“ als große Stärke begreift.
BENEDICT UGARTE CHACóN geb. 1978, ist Politologe. Er hat seine Dissertation zu staatlichem Versagen und postdemokratischen Tendenzen am Beispiel der Bankgesellschaft Berlin geschrieben. Er hat das Attac-Bankentribunal im April 2010 mitvorbereitet.
Anspruch und Wirklichkeit
Doch mit der Umsetzung der eigenen Ansprüche sieht es nach über zehn Jahren seines Wirkens eher schlecht als recht aus. Schlimmer noch: Attac Deutschland hat auf seinem ureigensten Feld - dem Thema „Finanzmärkte“ - bislang kläglich versagt. Beide Aspekte sind auf ein strukturelles Grundproblem zurückzuführen.
Zum Ersten: Der von Attac als Stärke verkaufte „weltanschauliche Pluralismus“, wonach eben jeder und jede alles einbringen kann, was dem Attac-Grundkonsens nicht widerspricht, hat zur Herausbildung einer thematischen Konfusion geführt, die ihresgleichen sucht. Ein Blick auf die in bundesweiten AGs, in anderen Arbeitszusammenhängen oder mit unterschiedlichen Wortmeldungen bearbeiteten Themen macht dies deutlich.
Es gibt AGs zu Grundeinkommen, Kultur, Genderfragen, Lateinamerika, Welthandel und Finanzmärkten. Es gibt Arbeitszusammenhänge zu Steuern, Europa, Privatisierung, geistigen Monopolrechten, Ökologie und Rechtsextremismus. Und es gibt unzählige Texte, die alles Mögliche von Stuttgart 21 bis Nahost behandeln.
Bei Aktionen, Kampagnen und Kongressen verhält es sich ähnlich diffus. Ob Arbeitsbedingungen bei Lidl, Agenda 2010, Kapitalismus, Börsengang der Bahn oder aktuell mal eben Atompolitik, Wachstum und der „Demokratienotstand“ - alles scheint irgendwie wichtig, zu allem muss etwas gesagt und getan werden.
Das Resultat dieser Ausrichtung kann Attac selbst nicht gefallen: Es ist mittlerweile völlig unklar, für was Attac steht, was es will und welche Lösungen es anzubieten hat. Die Globalisierungskritik von Attac ist zu einem Sammelsurium von Einzelaspekten degeneriert, die „Marke Attac“ hat außer sich selbst keinen greifbaren Inhalt. Und so ist es kein Wunder, dass Attac in keinem der beackerten Felder als „Experte“ gefragt ist.
Harmlos und staatsgläubig
Zum Zweiten: Das Beharren auf thematischer Konfusion rächt sich in der Finanzkrise. Immerhin bezeichnete sich die Organisation vor ihrer Umfirmierung in Attac Deutschland als „Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der internationalen Finanzmärkte“. Man sollte also meinen, dass Attac diesbezüglich etwas Konkretes anzubieten hätte.
Doch weit gefehlt. Es gab zwar ein paar an die Medien gerichtete Aktionen und ein öffentlich verhalten aufgenommenes Bankentribunal. Inhaltlich präsentiert sich Attac jedoch mit einer Vielzahl von Einzelbeiträgen und Analysen als bunter Basar der Möglichkeiten. Es existiert lediglich eine Erklärung zur Finanzkrise, die als Wortmeldung von Gesamt-Attac verstanden werden kann. Dabei handelt es sich um einen kleinen Forderungskatalog, der unter der Überschrift „Das Casino schließen“ in mehreren Variationen publiziert und der vom Ratschlag - also der Vollversammlung von Attac - im Herbst 2008 verabschiedet wurde.
Darin wird zwar einerseits ein „Systemwechsel“ angemahnt, die Forderungen bleiben aber eher harmlos und vor allem streng staatsgläubig: Die Bundesregierung möge bitte für die Schließung von Steueroasen Sorge tragen, sich für eine Finanztransaktionssteuer einsetzen, bestimmte Finanzprodukte verbieten und gestützte Banken verstaatlichen.
Zudem sollten Banken allgemein „demokratischen Kontrollmechanismen“ - was immer das auch sein soll - unterworfen werden. Die staatlichen Akteure, die in der Vergangenheit per Gesetzgebung und eigenen Rückzug die Bedingungen für die Finanzkrise mit schufen, gehören für Attac also zu dem Teil des „Systems“, dem mit Appellen zu neuen Einsichten verholfen werden kann.
Diesem Glauben nach könnten die Herrschenden, nun gesalbt von besserer Erkenntnis, auf einmal den Gestaltungsanspruch entwickeln, Politik gegen die Interessen zu machen, für die sie bis dato Politik gemacht haben. Und die Übernahme einzelner Schlagworte wie Finanztransaktionssteuer, Transparenz und Kontrolle durch Vertreter der Bundesregierung war sodann auch für Attac der Anlass, zu erklären, man habe den „neoliberalen Mainstream im öffentlichen Diskurs“ aufgebrochen.
Generalrevision angesagt
Dabei ist den Attacis in ihrer Staatseuphorie jedoch der wichtigste Aspekt entgangen: Die Herrschenden nahmen ihre zaghaften Maßnahmen nicht mit dem Ziel eines Systemwechsels vor, sondern zur Systemstabilisierung, was sich ja in der Betitelung entsprechender Gesetze zeigt. Selbst die Verstaatlichung der Hypo Real Estate geschah in diesem Sinne.
Das verbale Umschwenken verantwortlicher Politiker, das Attac als Erfolg verkaufen will, erweist sich demnach keineswegs als Abkehr vom „neoliberalen Mainstream“, sondern umgekehrt: Attacs Forderungen und Vorstellungen erweisen sich als absolut mainstreamtauglich und sogar nützlich zur Systemstabilisierung - sonst hätten die Herrschenden doch niemals laut darüber nachgedacht.
Attac muss sich also dringend einer Generalrevision unterziehen. Man wird nicht hegemoniefähig, indem man seine Forderungen in Einklang mit den Vorstellungen der Herrschenden bringt. Und eine „andere Welt“ wird so erst recht nicht möglich.
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