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Politologe über Neuwahlen im Libanon„Ihre Anhänger sind zahlreich“

Die Eliten sind besser organisiert als die Demonstrant*innen, die in Beirut einen Systemwechsel fordern, glaubt Politologe Bassel Salloukh

Rauchiges Sit-in: Demonstrant am Samstag in Beirut Foto: Patrick Baz/afp
Julia Neumann
Interview von Julia Neumann

taz: Herr Salloukh, welchen Einfluss können Neuwahlen auf das politische System im Libanon haben?

Bassel Salloukh: Alles hängt von der Art der Wahlen und von der Art von Wahlgesetz ab. Wenn Ministerpräsident Hassan Diab sagt: „Ich bin bereit, noch zwei Monate im Amt zu bleiben, um eine Vereinbarung über ein neues Wahlgesetz zu beaufsichtigen“, dann bedeutet das nicht wirklich viel. Was sich vielleicht ändern könnte, ist das Kräfteverhältnis zwischen den Parteien, es wird aber keine radikale Veränderung des politischen Systems sein.

Die Hoffnung, dass die altgedienten Parteien nicht wieder an die Macht zurückkehren, wurde seit Beginn der Proteste im Oktober 2019 mit der Forderung nach Abschaffung des Wahlrechts verknüpft. Wie wahrscheinlich ist ein reformiertes Wahlgesetz?

Im Interview: Bassel Salloukh,

52 Jahre alt, ist Professor für Politikwissenschaft an der Libanesisch-Amerikanischen Universität in Beirut.

Wir müssen sehr vorsichtig mit unseren Prioritäten sein. Den Fokus auf ein neues Wahlgesetz zu legen spielt der sektiererischen politischen Elite in die Hände. Denn ganz gleich, welches Wahlgesetz kommt: Ihre Anhänger sind zahlreich und viel besser organisiert als jene, die einen Wechsel des politischen Systems fordern.

Was die politisch-konfessionell unabhängigen Menschen in diesem Land möchten, ist ein unabhängiges Kabinett mit zusätzlichen verfassungsmäßigen Befugnissen. Ein Kabinett, das mit der internationalen Gemeinschaft, insbesondere dem IWF und der Weltbank, verhandeln könnte, um sich auf Reformen zu einigen, die den Armen in der Gesellschaft nicht schaden, aber Korruption und die öffentlichen Ausgaben unter ­Kontrolle bringen und dadurch die Tür für die Art von Finanzhilfe öffnen würden, die dem Land helfen kann, wieder auf die Beine zu kommen.

Am Sonntag hat Frankreichs Staatschef Macron bei einer internationalen Geberkonferenz von 36 Staaten, darunter Deutschland und die USA, um Hilfsgelder geworben. Welchen Einfluss hat die internationale Gemeinschaft auf das politische System im Libanon?

Geberkonferenz_Libanon_2020

Länder und Hilfsmittel

An der von Frankreich und den UN organisierten Geberkonferenz für den Libanon, die am Sonntag per Videoschalte statt fand, nahmen mehr als 30 Staats- und Regierungschefs und -vertreter teil. Darunter US-Präsident Donald Trump, Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi und Jordaniens König Abdullah II. Nicht vertreten waren die Türkei und Russland, aber auch von ihnen werde Hilfe erwartet, sagte Macron in seiner Eröffnungsrede.

Bundesaußenminister Heiko Maas kündigte ein deutsches Soforthilfepaket im Wert von 10 Millionen Euro an. Die EU stockt die Nothilfen aus ihrem Gemeinschaftshaushalt auf 63 Millionen Euro auf, wie die EU-Kommission bei der Geberkonferenz mit­teilte.

Art der Auszahlung

Macron forderte die libanesischen Behörden zu grundlegenden politischen und wirtschaftlichen Reformen auf, um die Korruption im Land zu bekämpfen. Die Aufsicht über die Weitergabe der Hilfen sollten die Vereinten Nationen haben.

Die USA kündigten an, ihre Hilfen in Höhe von 15 Millionen Dollar direkt an diejenigen zu spenden, die sie am dringendsten benötigten. Das Geld werde an die American University of Beirut und die American Lebanese University gehen. Zudem werde das UN-Welternährungsprogramm Mittel bekommen, um unter anderem an rund 300.000 Menschen Mahlzeiten zu verteilen, die nach der Explosion im Hafen von Beirut an Not leiden. (dpa, ap)

Es scheint mir, dass Macron auf seiner Reise nach Beirut vor ein paar Tagen die Idee eines nationalen Einheitskabinetts unterstützt hat. Das bedeutet, dass die sektiererische politische Elite vereint zurückgebracht wird, um sich gemeinsam auf bestimmte Reformen zu einigen, die dazu beitragen können, die Tür für die Hilfe von außen zu öffnen – im Gegenzug für eine Art neuer geopolitischer Spielregeln.

Ich glaube nicht, dass die internationale Gemeinschaft heute wirklich daran interessiert ist, dass der Libanon einen weiteren Machtteilungspakt eingeht. Wir haben von den Amerikanern und von den Franzosen gehört, dass sie an Reformen interessiert sind, die die Wurzeln der Finanz- und Wirtschaftskrise im Libanon betreffen: die Unabhängigkeit der Justiz, die Eindämmung der Korruption, die Sicherstellung, dass der Staat Steuern einnimmt.

Außerdem sind sie womöglich daran interessiert, eine Art geopolitischen Pakt zwischen der Hisbollah und Israel auszuhandeln, wahrscheinlich unter der Aufsicht der Amerikaner und der Franzosen, der die Situation stabilisieren würde – vor allem in Hinsicht auf das Waffenarsenal der Hisbollah und Israels Entschlossenheit, jede Art von Hochpräzisionsraketen zu zerstören, die die Hisbollah besitzen könnte.

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