Politisches Zeichen an der Staatsoper: Oper geht uns alle an
Nicht länger ein einschüchternder Musentempel: Die Staatsoper Hannover wendet sich nicht nur mit „Der Mordfall Halit Yozgat“ an alle.
Ogottogott, Oper, sagen viele, mag ich nicht, interessiert mich nicht, als wär’s eine Geschmackssache. Oper gehört zu denjenigen staatlichen Kulturbetrieben, für deren Fortbestand die meisten Gelder ausgegeben werden. Als maximal repräsentatives Medium dient diese Kunstform sowohl der Selbstbehauptung als auch der kritischen Reflexion von Staat.
Von daher ist stets relevant, wie sie, gerne unterhaltsam, diese Funktion erfüllt und dabei Teilhabe verhindert (Stichwort Bayreuth) oder ermöglicht. Letzteres wird selten so richtig, so gut, so selbstkritisch angepackt wie von der Staatsoper Hannover unter der Leitung von Laura Berman.
Besonders plastisch verdeutlicht das natürlich die am 1. Mai anstehende Uraufführung von „Der Mordfall Halit Yozgat“, komponiert vom isländischen Elektronikavantgardisten Ben Frost. „Er hat diesen Stoff gewählt“, sagt Intendantin Laura Berman, „weil er für Deutschland so wichtig ist.“
Nicht neu ist, dass Theaterstücke, Aktionen oder Performances den Terror des Nationalsozialistischen Untergrunds thematisieren: Neben dem „Kein Schlussstrich“-Projekt in 18 Städten fördert ein Blick ins Archiv gut 20 solcher bundesweit im Feuilleton besprochenen räumlich-szenischen Reflexionen seit 2012 zutage. Eine Matrix dieser Projekte und Recherchen ist das „Tribunal NSU-Komplex auflösen“, getragen von einem Verein in Köln.
Akribische Rekonstruktion
Auch „Der Mordfall Halit Yozgat“ geht von einer durch das Tribunal initiierten Ermittlung aus. Die Rechercheagentur Forensic Architecture hat durch akribische Rekonstruktion plausibilisiert, dass der Verfassungsschützer Andreas T., anders als behauptet, den Mord am 6. April 2006 im Internetcafé in der Holländischen Straße in Kassel wohl mitbekommen hat.
Der Film „77sqm_9:26min“, der das darstellt, avancierte zum Herzstück eines multimedialen Kunstwerks eines Kollektivs mit dem Namen „Die Gesellschaft der Freund_innen von Halit“, das 2017 für die documenta 14 entstand.
Die Opernhandlung „orientiert sich an den Rekonstruktionsvarianten von Forensic Architecture“, erläutert Librettistin Daniela Danz. Sie habe ihren Text „mit Mitteln der Kunst daran angelehnt“. Gestützt auf Aktenauszüge und Prozessaussagen werden die neuneinhalb Minuten vor der Tat in parallelen Dialogen gestaltet.
Durch das mehrfache Durchspielen der Sequenz aus unterschiedlicher Perspektive erzeugt Frost eine rhythmisch klangliche Makrostruktur, grundiert von pulsierenden Orchesterklängen, skandiert vom Schussgeräusch.
Im vergangenen Jahr hatte coronabedingt die Uraufführung gecancelt werden müssen. Stattdessen wurde das Musiktheater verfilmt und online veröffentlicht: Künstlerisch funktionierte das nicht schlecht. Aber so ein Werk auf die große Bühne des einschüchternden Staatsoperntempels zu bringen, ist schon für sich genommen ein Zeichen, ein politisches. Das laut Berman für Kontroversen sorgt. „Und das muss es auch“, sagt sie.
Ein umfangreiches Diskursprogramm beginnt daher schon jetzt, drei Wochen vor der Premiere am 1. Mai. Es spart so unbequeme Fragen wie die nach der Notwendigkeit von theatraler Reproduktion rassistischer Gewalt nicht aus. Und auch dem Problem, für andere zu sprechen, stellt es sich im früheren Viktualienladen Feinkost Lampe, einer der szenigsten Locations, einem ziemlichen Gegenentwurf zum Opernhaus, das sich so radikal in die Gesellschaft hinein öffnet. Und in die Zukunft.
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