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Politische Repression in SingapurDie schrecklich nette Familie Lee

Großbritannien hat Lee Hsien Yang, Sohn des Staatsgründers Lee Kuan Yew, als politischen Flüchtling anerkannt. Die Familie ist schon lange zerstritten.

Lee Hsien Yang, aufgenommen 2020 Foto: Edgar Su/reuters

Die autoritäre Regierung des wohlhabenden südostasiatischen Stadtstaates Singapur treibt mit überzogenen Gerichtsklagen Oppositionelle und Kritiker schon seit Langem in den finanziellen Ruin oder ins Ausland. Es war der 2015 verstorbene Staatsgründer und langjährige Regierungschef Lee Kuan Yew selbst, der dies erfolgreich praktizierte und so über Jahrzehnte Singapurs mächtigster und gefürchtetster Politiker blieb.

Doch dass jetzt ausgerechnet sein jüngster Sohn, der 67-jährige Lee Hsien Yang, nicht nur ins Exil geflohen ist, sondern sogar von Singapurs früherer Kolonialmacht Großbritannien politisches Asyl zuerkannt bekommen hat, wirft ein erschreckendes Licht nicht nur auf Singapur, sondern auch auf dessen First Family.

Lee Hsien Yang machte diese Woche per Face­book bekannt, dass Großbritannien ihn als politischen Flüchtling anerkannt hat – dies allerdings schon im August. Das zeige, „dass Singapur mich verfolgt hat“, sagte er dem britischen Guardian. Singapurs Regierung dementiert das.

Bis Mai war der für seine Überwachung bekannte Stadtstaat von seinem älteren Bruder, Lee Hsien Long, 20 Jahre lang regiert worden. Zu seiner politischen Verfolgung meinte der schon seit zwei Jahren in London lebende Flüchtling: „Meiner Meinung nach ist dies in einem so eng kontrollierten Land wie Singapur nicht ohne Zustimmung von Lee Hsien Long möglich.“

Noch berät der 72-jährige Ex-Premier als sogenannter Senior Minister seinen Nachfolger Lawrence Wong, böse Zungen würden ihn eher Aufpasser nennen. Auch ist Lee Hsien Long als Vorsitzender der völlig dominanten Regierungspartei sehr einflussreich. Doch mit Lee Hsien Yang und seiner Schwester hatte er sich schon kurz nach dem Tod ihres mächtigen Vaters überworfen. Die Geschwister erklärten 2017 sogar öffentlich: „Wir vertrauen Hsien Long weder als Bruder noch als Führer.“

Ein Affront in einem nach außen auf Harmonie und asiatischen (Familien-)Werten bedachten Regime, das sich gern als Musterland darstellt. Singapurs schrecklich nette Familie Lee zerstritt sich über die Interpretation des Testaments ihres Übervaters und vor allem über den Umgang mit dem stattlichen Familiensitz 38 Oxley Road. Dummerweise gab es vom Testament des Seniors sieben verschiedene Fassungen. Bis zur vierten Fassung hatte der strenge Patriarch den Abriss des Hauses nach seinem Tod verfügt, weil er keinen Wallfahrtsort schaffen wolle.

Danach tauchte dieser Gedanke nicht mehr auf, doch im endgültigen siebten Testament war der Wunsch nach einem Abriss wieder enthalten. Darauf pochten dann auch Lee Hsien Yang und seine Schwester, während Premierminister Lee Hsien Long sich von der Renovierung und Zurschaustellung des historischen Sitzes der Familiendynastie womöglich politische Vorteile versprach.

Als der Streit immer heftiger und öffentlicher wurde, verwies die Regierung auf Lee Hsien Yangs Ehefrau, eine Anwältin, die die siebte Testamentsfassung betreut und nicht entsprechend des Wunsches des bald verstorbenes Vaters verändert habe. Sie und ihr Mann wurden wegen des Vorwurfs des Meineids vor Gericht geladen.

Zwischenzeitlich war Lee Hsien Yang, der es wie sein verfeindeter Bruder im Militär bis zum Brigadegeneral gebracht hatte, zu einer Oppositionspartei gewechselt, was in seinen Augen die Verfolgung nur verstärkt habe. Kurzzeitig soll er sogar mit dem Gedanken gespielt haben, als Regierungschef zu kandidieren, bis er treffend feststellte: „Singapur braucht nicht noch einen Lee.“ Sven Hansen

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