Politische Kunstgeschichte in Paris: Spottpreise für die Nazis
Als die Nazis Paris besetzt hatten, gerieten auch Kunsthändler unter Druck. Davon erzählt eine Ausstellung im Pariser Memorial de la Shoah.
Diese architektonisch sehr eindrucksvolle Gedenkstätte liegt mitten im Marais, dem Stadtviertel, in dem die meisten Juden wohnten, bevor sie über den Vorstadtbahnhof Drancy in die Vernichtungslager deportiert wurden. Am Tag des Besuchs wurde auch eine Gruppe von etwa 40 jungen Polizisten durch die Gedenkstätte geführt und darüber aufgeklärt, dass Antisemitismus kein Thema der Vergangenheit und nicht nur ein Problem eingewanderter Muslime ist, wie konservative Medien auch in Frankreich behaupten.
Die Ausstellung „Picasso und der Krieg“ läuft im riesigen „Musée de l’Armée“, wo sonst nur Gewehre, Kanonen, Uniformen und andere nationale Devotionalien ausgestellt werden.
Französische Behörden, deutsche Gesetzgebung
Die kleine, aber sehr instruktive Ausstellung zum Pariser Kunstmarkt zwischen 1940 und 1944 stellt die Akteure mit Fotos und Dokumenten in den Mittelpunkt. Das sind einige jüdische Galeristen, denen Kunstwerke zu Spottpreisen abgepresst wurden. Pierre Loeb (1897–1964), der vor allem Bilder von Malern der Moderne verkaufte (Miró, Matisse, Bonnard, Picasso, Man Ray), wurde von französischen Behörden „eingeladen“, seinen Betrieb an den „arischen“ Kollegen Georges Aubry zu verkaufen.
„Le marché de l'art sous l'Occupation“, Mémorial de la Shoah, Paris. Bis 30. 11., Katalog 21,50 Euro
„Picasso et la Guerre“, Musée de l’Armée, Paris. Bis 28. 7., Katalog 32 Euro
Für die Bestimmung von Juden/Ariern orientierten sich die französischen Behörden minutiös am Wortlaut der deutschen Gesetzgebung. Loeb hatte ab dem 15. 5. 1941 monatlich 3.600 Francs an die „Treuhand- und Revisionsstelle“ der deutschen Besatzungsmacht zu entrichten. Loeb floh mit seiner Familie zunächst aufs Land und dann nach Kuba.
Als Loeb 1944 zurückkam, verzögerte der neue Besitzer die Rückgabe der Galerie. Zu Loebs Kunden gehörte vor dem Krieg auch Picasso, der die Besatzungszeit zum Teil in der „freien Zone“ in Südfrankreich verbracht hatte. Picasso, der seinen Ruf als „Meister der Modernen“ geschickt nutzte, wandte sich an den Neubesitzer Aubry und forderte diesen kategorisch auf: „Pierre ist zurück, er übernimmt jetzt wieder seine Galerie.“ Aubry gab sofort nach.
Weniger Glück hatte die Galeristin Berthe Weill (1865–1951). Weil sie Jüdin war und die drohende Arisierung vermeiden wollte, übertrug sie ihre Galerie, die nur bis 1941 existieren konnte, einer Freundin und überlebte das Kriegsende völlig verarmt in miserablen Verhältnissen. Freunde versteigerten die Galerie nach dem Krieg und erlaubten Berthe Weill ein Weiterleben ohne Not.
Bilder verschwunden
Der jüdische Galerist Paul Rosenberg (1881–1959) deponierte im Juni 1940 162 Bilder in einer Bank in der französischen Provinz und flüchtete mit seiner Familie in die USA. Am 28. 4. 1941 durchsuchten deutsche Besatzungsbehörden die Bank. Der größte Teil der Bilder wurde einen Monat später ins Museum Jeu de Paume in Paris überführt. Nach dem Krieg kehrte Rosenberg zurück und versuchte, seine Bilder wieder zu beschaffen. Das gelang ihm nur teilweise. 50 Bilder sind in den Salons reicher Franzosen „verschwunden“.
In einem eigenen Raum werden die Hauptakteure – die gutsituierten Kunst- und Antiquitätensammler – vorgestellt. Die Verkäufe von bei Juden konfiszierten Gütern aller Art in einem Auktionshaus an der Rue Drouot sind in langen Listen akribisch dokumentiert. Sie werden sehr eindrücklich inszeniert: Über einen Lautsprecher werden die Listen mit Angaben zu den Gegenständen und Vorbesitzern verlesen, was den Raub und die Beraubten in Erinnerung bewahrt und den Nutznießern – Käufern, Verkäufern und dem Staat, der die Versteigerungen organisierte und überwachte, einen Spiegel vorhält. Juden war der Zutritt der Versteigerung am 17. 7. 1941 ausdrücklich verboten.
Die Ausstellung „Picasso und der Krieg“ dokumentiert Picassos Haltung zum Balkankrieg, zum Ersten Weltkrieg, zum Spanischen Bürgerkrieg und Zum Zweiten Weltkrieg mit Bildern, Zeichnungen, Plakaten und Skulpturen sowie Briefen, Postkarten und anderen Dokumenten. Picasso war nie Soldat, aber bezog immer eine entschieden politische Haltung gegen den Krieg. Sein berühmtestes Bild, „Guernica“, entstand 1937 als Protest gegen den Bürgerkrieg in Spanien.
Misstrauen gegen Picasso
Zu den beeindruckendsten Werken gehören Vorstudien zu „Guernica“, die weinende Frauenköpfe zeigen, die allerdings im ausgeführten Bild nicht berücksichtigt wurden. Dieses gilt bis heute als ein Schlüsselwerk der Kunst des 20. Jahrhunderts und des politischen Pazifismus.
Es wurde in Büchern, auf Postkarten und auf Plakaten fast so oft reproduziert wie die „Friedenstaube“. Diese schuf Picasso für die Propagandaabteilung der französischen Kommunisten, aber die Ausstellung belegt mit Dokumenten, dass er immer kritische Distanz hielt zur KPF wie zu Moskau.
Den französischen Behörden galt er lange als Anarchist, allein weil er aus Spanien kam. Noch im Mai 1940 entschied die Pariser Polizei: „Picasso hat keinerlei Rechtstitel, um die Naturalisierung/Einbürgerung zu erhalten.“ 1942 musste er in der Präfektur auf „Ehrenwort“ erklären, „kein Jude zu sein“, um seine Aufenthaltserlaubnis zu behalten. Im Zuge des Kalten Krieges und des Krieges in Korea startete die französische Rechte eine regelrechte Kampagne gegen Picasso, die seinem weltweiten Ansehen nichts mehr anhaben konnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben