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Politische Justiz in FrankreichLebenslange Haft für Yvan Colonna

Im dritten Verfahren erhält der Korse Yvan Colonna wegen Mordes an einem Polizeipräfekten erneut lebenslänglich. Dabei wurden die Aussagen, auf denen das Urteil beruht, widerrufen.

Gilt auf Korsika vielen als Märtyrer: Yvan Colonna (Foto auf dem Transparent). Bild: reuters (Archivaufnahme vom März 2009)

PARIS taz | Der Korse Yvan Colonna (51) ist am Montagabend von einem Pariser Sondergericht für terroristische Verbrechen des Mordes am Polizeipräfekten Claude Erignac für schuldig erklärt und zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Die aus neun Berufsrichtern zusammengesetzte Berufungsinstanz ist nach mehrwöchiger Verhandlung zur Überzeugung gelangt, dass Colonna am 6. Februar 1998 in Ajaccio die tödlichen Schüsse auf den Präfekten abgegeben hat.

Dafür gibt es keine materiellen Beweise, sondern nur Anschuldigungen durch die geständigen und bereits früher rechtskräftig für das Mordkomplott verurteilten korsischen Komplizen. Dass diese später ihre Aussagen widerrufen und als im Verhör erzwungen dargestellt haben, erachtete der Gerichtspräsident aufgrund ihres "nachträglichen und lakonischen Charakters" für belanglos. In der Urteilsbegründung erklärte er schlicht, dass Colonna an der Vorbereitung des Attentats beteiligt gewesen sei und "entgegen seinen Aussagen eindeutig dem Mordkommando angehört" habe.

Drei Augenzeugen hatten freilich vor Gericht erklärt, sie könnten im dunkelhaarigen Colonna nicht den Schützen erkennen. Das wog in der Wahrheitsfindung allerdings gar nichts, denn die Richter vermuten, dass der Attentäter sich für seine Tat einfach mit einer blonden Perücke verkleidet habe. Auch die Skepsis eines Ballistikexperten, der zum Schluss gekommen war, dass der Schütze um einiges größer sein müsse als der kleine Korse, half diesem nichts, da andere Experten zu anderen Ergebnissen kamen.

Sehr belastend war es aber für Colonna, dass er sich mit einer jahrelangen Flucht dem Zugriff der Justiz entzogen und sich so erst recht verdächtig gemacht hatte. Während ihn die französische Polizei in ganz Europa und sogar in Übersee suchte, versteckte er sich als Schafhirte in einem entlegenen Hof auf seiner Heimatinsel.

Als Innenminister hatte der heutige Präsident Nicolas Sarkozy aus der Festnahme und Aburteilung des "Präfektenmörders" eine persönliche Prestigeangelegenheit gemacht und der Witwe des Opfer geschworen, der Mord am Statthalter der Pariser Zentralmacht in Korsika werde gesühnt. Dieses Versprechen hat er gehalten, Colonna wurde jetzt zum dritten Male in allen Punkten für schuldig erklärt. In seinem Schlusswort am Montag beteuerte er erneut seine Unschuld, er habe "noch nie jemanden getötet".

Längst ist Colonna für die korsischen Nationalisten zu einem Symbol und Märtyrer geworden. In ihrem Eifer, im Namen der Republik den korsischen Hirten als Erignac-Mörder zu überführen, hatte die französische Justiz schon im ersten Berufungsprozess so gravierende Fehler begangen, dass das oberste Kassationsgericht eine Revision und einen dritten Prozess anordnen musste.

Kurz vor dessen Abschluss hatte die Staatsanwaltschaft für einen Eklat gesorgt mit einem für Colonna kompromittierenden Brief, in dem dieser einem seiner ehemaligen Freunde und angeblichen Komplizen mit dem Tod gedroht haben soll, falls er gegen ihn aussage. Wie er in den Besitz dieses Schreibens gelangt war, dessen Echtheit nicht verifizierbar war, konnte oder wollte der Anklagevertreter nicht sagen.

Das Unbehagen an einer Justiz, für die der Zweifel nicht dem Angeklagten, sondern der Staatsräson zur Revanche dient, kommt in Frankreich selbst in Kommentaren sonst staatstreuer Blätter wie Le Figaro zum Ausdruck: "Ein Prozess, der in den ewig wiederholten Prozedurfragen stecken blieb wie ein Kahn, der im Morast eines schlammigen Dossiers versumpft ist." Die Verteidigung will sich darum auch nach dem dritten Schuldspruch nicht definitiv geschlagen geben. Sie meint, genügend Motive und Gründe zu haben, um das Urteil wieder kassieren zu lassen und eventuell Klage vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof einzureichen.

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2 Kommentare

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  • HN
    Hans Nolden

    Hier in Frankreich ist es an der Tagesordnung, dass Richter kuschen, wenn die Politik eine Linie vorgibt. So oft wurden und werden auch Affären stillschweigend begraben, wenn es den politisch Mächtigen so gefällt. Und niemand empörte sich hier gross über solche justiziablen Pflichtverletzungen. Das politische System in Frankreich trägt so stark autokratische Züge, und weiter im Süden verbiegt ein Berlusconi das Recht seit Jahren nach seinem persönlichen Vorteil und wurde trotzdem immer wieder gewählt. Europa wird populistisch geführt und driftet weiter nach Rechts, wo die Rechtlosigkeit weiter zunimmt. Wir müssen aufwachen und aufstehen, so wie die Jugendlichen Spaniens. Es ist höchste Zeit.

  • T
    Thomas

    Nationalismus kraftvoll entgegentreten!!!