Politikwissenschaftler über Gewerkschaften: "Basis will kein Bündnis mit SPD"
Das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und SPD ist seit der Agenda-Politik der SPD gestört, meint der Politikwissenschaftler Josef Esser.
taz: Herr Esser, der Deutsche Gewerkschaftsbund und die SPD haben am Mittwoch gemeinsame Forderungen für ein sozialeres Europa vorgestellt. Rücken in der Wirtschaftskrise Gewerkschaften und Sozialdemokraten nun wieder zusammen?
Josef Esser, 66, ist Professor für Politikwissenschaften an der Uni Frankfurt a. M. Er forscht zur Arbeitswelt und zu Gewerkschaften.
Josef Esser: Das sehe ich nicht so. Das Verhältnis der Gewerkschaften zur SPD ist seit der Agenda-Politik der SPD stark gestört. Das ist immer noch so. Bei Ver.di und der IG Metall ist die Abkehr von der SPD am deutlichsten, am wenigsten sieht man es bei der IG Chemie. Die Gewerkschaften haben aus dem SPD-Kurs die Konsequenz gezogen, sich als politischer Verband wieder eigenständiger und autonomer zu positionieren. Bündnispartner sucht man sich je nach Interessenlage. Mit welcher Partei man dann kooperiert, das ist erst einmal offen.
Die SPD fordert in ihrem Wahlprogramm eine Börsenumsatz- und Reichensteuer sowie den Mindestlohn. Klare Signale an die Gewerkschaften?
Die SPD ist durch ihre eigene Politik die Gewerkschaften los geworden. Jetzt, wo sie bei 25 Prozent dümpelt, will sie sie wieder gewinnen. Beck hat diesen Kurs begonnen, Steinmeier, Müntefering und Scholz setzen ihn jetzt fort. Aber es ist ein gebrochenes, kompliziertes Verhältnis. Die Mindestlohnposition der Gewerkschaften hat man übernommen, aber bei anderen wichtigen Themen der Gewerkschaften, der Vermögen- und Erbschaftsteuer, gibt es keine Übereinstimmung. Die SPD will die sogenannte neue Mitte nicht verlieren, die die Agenda-Politik nach wie vor für richtig hält.
Verschafft die Wirtschaftskrise den Gewerkschaften größeren Einfluss auf die Regierungspolitik der großen Koalition in Berlin?
Die beiden Konjunkturpakete sind vor allem durch den Druck der Gewerkschaften zustande gekommen. Auch mit der Abwrackprämie ist man den Gewerkschaften entgegengekommen. Aber das zum Beispiel nur der SPD zuzuordnen ist nicht so einfach, ein Teil davon geht auf die CDU zurück, die auch auf die Gewerkschaften schielt.
Größere Teile der Gewerkschaftsbasis zürnen mit den Sozialdemokraten. Kann man dort mit deren Umwerben etwas anfangen?
Die Basis ist nicht bereit, das klassische Bündnis mit der SPD wiederherzustellen. Selbst wenn die Gewerkschaftsführung so etwas wollte, könnte sie es nicht vertreten. Es gibt mittlerweile viele in den Gewerkschaften, die wählen die Linkspartei oder wollen den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft und deswegen lieber die Grünen starkmachen.
Werden denn die Gewerkschaften durch die Finanz- und Wirtschaftskrise politisch gestärkt?
Durch die Krise werden alle geschwächt, auch die Gewerkschaften. Die Kurzarbeit, die ja nur eine Übergangslösung ist, der Einbruch der Exporte, das alles trifft Belegschaft und Gewerkschaften. Auch die aggressivere Tarifpolitik, die zum Beispiel die IG Metall seit 2006 endlich einmal verfolgt hat, sind in der Krise nicht mehr möglich. Die Gewerkschaften sind aber ideologisch stärker geworden, ihre Forderungen nach regulierten Märkten, Nachfragepolitik und Konjunkturprogrammen haben Gehör gefunden. Aber die Leute wollen in der Krise nicht nur hören, dass man recht hatte mit der eigenen Kritik. Sie wollen längerfristig wirksame Konzepte zur Krisenbewältigung. Und die hat im Moment niemand. Ich glaube, es wird noch mehr Politikverdrossenheit geben. Auch die FDP profitiert in meinen Augen nicht wirklich von der Krise, sie liegt zwar derzeit bei 13 oder 14 Prozent. Ob das aber für das Projekt bürgerliche Regierung reicht, ist fraglich.
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