Politikverdrossenheit: Das Jammern der Zyniker
Wozu wählen gehen, wenn nur die Wirtschaft zählt? Die alten Demokratien sind den Wahlhype bereits leid, während sich Leute im Nahen Osten dafür erschießen lassen.
Hiesige vermeintlich linke Kreise raunen schon wieder: Dieser ganze Hype um Wahlen sei doch völlig überzogen. Die eigentlichen Entscheidungen, so sagt man sich müde, sie würden doch von Märkten getroffen, nicht von Parlamenten. Weswegen die Medien international die Wähler, zumal die griechischen, gerne ermahnen, die Märkte ja nicht zu verärgern. Der Schlamassel sei groß genug.
Eine seltsame Kluft tut sich auf: Während sich im Nahen Osten Tausende totschießen lassen, um endlich Wahlen zu bekommen, ist man in den alten Demokratien der Politiker, der Parteien, dem Medienhype um die Wahlen schon sehr müde.
Zu Recht? Hätten die Generäle am Nil gar nicht Knall auf Fall das Parlament auflösen müssen, nur weil sie fürchteten, dass „ihre“ Leute die Islamisten auch noch an die Spitze der Regierung wählen und sie, die bisherigen Machthaber, damit ins Aus schießen. Hätte ein Blick nach Europa sie nicht beruhigen müssen?
Eliten kann es egal sein, wer unter ihnen regiert
Für die These spricht, dass hier Regierungen kommen und gehen und deshalb noch keine alte Elite zu Schaden kam. Der demokratische Staat als Instanz, die von oben nach unten umverteilt, ist so schwach wie nie zuvor in der Nachkriegszeit. Den Eliten kann es eigentlich egal sein, wer unter ihnen regiert. Und aus der Perspektive der anderen, der Nicht-Eliten, gesprochen: Am Ende erweisen sich die PolitikerInnen ja doch immer als überfordert, warum also noch wählen gehen? Oder sich um die Debatten rund um den Urnengang kümmern?
Eine zynische Haltung, klar, das will sie ja auch sein. Doch sie hilft auch den Eliten, und das will sie nicht. Lernen lässt sich von der Konterrevolution in Ägypten. Denn nein, das Militär in Ägypten hat aus seiner Sicht nicht überreagiert. Es hat an der richtigen Stelle zugeschlagen, um seine Macht zu sichern. Das Letzte, was dieser Staat im Staate, der 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze verrecken lässt, will, ist Transparenz und eine breitere Bewusstseinsbildung, ist die Einschränkung seiner Macht durch einen vom Parlament kontrollierten Rechtsstaat. Das alles haben Wahlen im Schlepptau.
Wahlen schaffen Sichtbarkeit
Daraus folgt für uns: So inkompetent die zur Wahl stehenden PolitikerInnen und so enttäuschend die Wahlergebnisse sein mögen, Wahlen sind wertvoll, und sie werden allzu leicht unterschätzt. Sie machen eine Gesellschaft periodisch durchsichtig, sie legen im verlässlichen Turnus die Problem- und Interessenslagen offen. Natürlich muss man zugestehen, dass wegen der massiven Wissenskrise in der Politik der Wahlkampf, also all die Diskussionen rund um die Wahl, mehr zur Aufklärung beitragen als dann gewählte PolitikerInnen.
Wahlen dämmen im Moment den Zynismus der Eliten nicht ein, sie machen ihn nur sichtbar. Die Lösung dieses Problems ist aber weder der Wahlfetischismus der Medien noch saturierte Politikverdrossenheit. Sondern eine wache Mittelschicht, die sich nicht ständig den Eliten andient. Eine solche wollen die arabischen Diktaturen mit allen Mitteln verhindern. Ein Blick in die zusammengeschossenen Demokratiebewegungen im Nahen Osten sollte uns genügen, Energie und Zeit in demokratische Prozesse zu investieren. Und weniger zu jammern.
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