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Politik„Eigentlich ein witziger Kerl“

Bisher probierte sich Manuel Hagel aus in der Rolle des Hoffnungsträgers. Am Wochenende wird der 37-Jährige von seiner CDU zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2026 gekürt, um Baden-Württembergs Regierungssitz nach 15 Jahren von den Grünen zurückzuerobern.

CDU-Landeschef Manuel Hagel feixt mit Friedrich Merz. Foto: Jens Volle

Von Johanna Henkel-Waidhofer

Das geht runter wie Öl: Eine Woche vor dem CDU-Parteitag in Stuttgart präsentieren die Erfurter Markt- und Meinungsforscher:innen von INSA eine neue Umfrage zum politischen Stimmungsbild in Baden-Württemberg. Wären am Sonntag Landtagswahlen, käme die Südwest-CDU auf 31 Prozent, die Grünen auf 17, ein sattes Minus von drei Punkten, die AfD auf erschreckende 19, die SPD auf zwölf, die FDP auf sechs, und die Linke würde mit acht Prozent erstmals in den Landtag einziehen. Beim Spitzenpersonal liegen die Dinge anders, denn jeweils 30 Prozent der Befragten trauen dem Grünen Cem Özdemir und Manuel Hagel, CDU, das Amt des Ministerpräsidenten zu. Im Dunkeln bleibt allerdings die Bedeutung des Bekanntheitsgrads für diese Angaben. Im Baden-Württemberg-Trend von Infratest-dimap vom Dezember wussten immer noch 69 Prozent der Wähler:innen im Land nichts mit dem Namen Hagel anzufangen.

Auch Guido Wolf wurde einst gehypt

Um sich breiter einzuführen, ist der Landes- und Fraktionschef unermüdlich unterwegs. Klöster, Kongresse, Theater, Museen, Sportplätze, Wanderwege, natürlich Firmen und Feste: Würde sein Team ganz analog Fähnchen stecken für jede Visite, die Baden-Württemberg-Karte wäre übersät. „Wer ihn einlädt, bekommt keinen Schnellbesuch“, lobt der Schwetzinger CDU-Landtagsabgeordnete Andreas Sturm nach einem gemeinsamen Besuch im berühmten Schlosstheater. Hagel höre zu, nehme Anliegen mit, sei stets top vorbereitet, fair und verbindlich. In einer Zeit, in der viele herumlavierten, stehe er immer zu seinem Wort. „Verlässlich, gradlinig, kompetent“ sei er, sagt Sturms MdL-Kollege Winfried Mack, der 2011 selber Chef der Südwest-CDU hatte werden wollen, dem damaligen Generalsekretär Thomas Strobl aber unterlag.

„Manuel Hagel ist sicher der smarteste Spitzenkandidat, den wir in der CDU je hatten, ein echter Schwiegersohntyp und eigentlich ein witziger Kerl“, findet auch Inge Gräßle warme Worte. Die promovierte frühere Journalistin ist eine Gradmesserin spezieller Art, weil sie in gleich drei Parlamenten Erfahrungen mit unterschiedlichen Führungsfiguren gesammelt hat: als Landtagsabgeordnete von 1996 bis 2004, im Europaparlament von 2004 bis 2019 und inzwischen im Bundestag.

Gräßle attestiert dem Ehinger eine „steile Lernkurve“ und die klare Einsicht, dass die CDU nur in der Mitte Wahlen gewinnen kann. „Diese Mitte braucht Frauen, eine vernünftige Zuwanderungspolitik, sie braucht Verlässlichkeit und die innere Unterstützung der eigenen Reihen“, hinterlegt sie auf Kontext-Anfrage offensiv ihre Ansprüche, „bloße Geschlossenheitsappelle führen zu nichts.“ Mit Befriedigung sehe sie, wie Hagel in den vergangenen Jahren an entscheidenden Themen erfolgreich gearbeitet habe, „von daher: Haken dran, Daumen hoch, ein toller Kandidat, mit dem die CDU an die Glanzzeiten für dieses Land anknüpfen wird“.

Ähnlich optimistisch war die Stimmung allerdings schon mal. Im Januar 2015, als Guido Wolf zum CDU-Spitzenkandidaten gesalbt wurde, überschlugen sich seine Parteifreund:innen. Im Mitgliederentscheid hatte er deutlich gegen Thomas Strobl obsiegt. Beim Parteitag in Ulm wurde vorausgesagt, mit ihm werde die Landesregierung und mit ihr Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu einer „Fußnote der Geschichte“. Wolf versprach eine Politik der Mitte, wollte eine Koalition mit den Menschen eingehen, kritisierte den „Ökodirigismus“, ließ sich als „erfolgreiches schwarzes Pendant“ zum beliebten Grünen feiern für seinen Auftritt unter dem Motto: „Wir sind wer.“ Seit- und bisher zwei Mal musste sich die CDU mit der Rolle des kleineren Regierungspartners begnügen. 2021 zählte zu den Wahlverlierern übrigens Hagel höchstpersönlich, der den Wahlkampf von Susanne Eisenmann mitverantwortete, den Misserfolg aber ungeniert und wenig solidarisch an sich abperlen ließ.

Landesgeschichte sind auch die Fußstapfen, in die der dreifache „Familienpapa“, wie er sich gern bezeichnet, tritt. Gebhard Müller, später Präsident des Bundesverfassungsgerichts, wurde Fraktions- und 1953 der erste CDU-Regierungschef des fusionierten Bundeslandes Baden-Württemberg, dann folgten Kurt Georg Kiesinger, Hans Filbinger und Lothar Späth – die beiden letzteren mussten unfreiwillig den Hut nehmen –, Erwin Teufel, Günther Oettinger und Stefan Mappus, der 2011 nicht weniger als 39 Prozent einfuhr, 15 Punkte mehr als die Grünen damals, und trotzdem keinen Anspruch auf die Bildung einer Koalition unter seiner Führung erhob. Hagel will. Dass er kann, muss er erst noch beweisen. Günther Oettinger spricht vom möglichen CDU-Nachnachfolger im höchsten Amt mit viel Wohlwollen („lernfähig, wissbegierig, fleißig“), betont aber zugleich die „Meisterprüfung“, die jetzt auf ihn warte.

Viel Macht undtrotzdem unkreativ

Will er die bestehen, muss der frühere Sparkassenfilialleiter und diplomierte Bankbetriebswirt an seiner inhaltlichen Profilierung arbeiten. Hoffnungsträger sind Projektionsflächen, Führungsfiguren müssen führen. Immerhin sind 16 Jahre seit seinem Start in der Kommunalpolitik vergangen und acht seit seinem Einzug in den Landtag. Noch nie hatte ein CDU-Politiker im Südwesten so viel innerparteiliche Macht in der Hand durch die Vereinigung von Landes- und Fraktionsvorsitz. Dazu ist er schon seit bald zwei Jahren Chef der Fraktionsvorsitzenden-Konferenz der Union in Bund und Ländern und dennoch inhaltlich seltsam unkreativ geblieben.

Ein Grund dafür ist dieser Politikstil des Autoscooter-Fahrers: eine Forderung, eine Idee, einen Plan anstoßen und dann gleich das Weite suchen, statt die inhaltliche Auseinandersetzung offensiv und erkennbar zu führen, nicht zuletzt, um die eigenen Argumente zu schärfen. Der Schuldenbremse hat er auf diese Weise „eine Art Ewigkeitsgarantie“ ausgestellt, der Asylpolitik wollte er eine „180-Grad-Wende“ in Richtung Abschottung verpassen, obwohl er immer wieder die CDU als „die Partei des christlichen Menschenbildes“, beschreibt, eines Bildes, das „Orientierung ist und DNA für unsere Politik“. Weitreichend ebenfalls seine Idee von der Umwälzung der hiesigen Verwaltungsstrukturen. Mindestens zwei der fünf Ebenen könnten weg, sagte er im vergangenen November, nur mal so und ohne dranzubleiben. Auch beim Verlangen nach einer Reform des Länderfinanzausgleichs – gemeinsam mit Markus Söder (CSU) und Boris Rhein (CDU) – müsste er liefern, wenn er nicht als Spruchbeutel dastehen will.

Im Netz wird tagtäglich vieles aus der realen Welt noch einmal aufbereitet: die Vor-Ort-Besuche, die Reden, die Sprüche, selbst die weniger geglückten wie kürzlich beim Hotel- und Gaststättenverband auf dem Stuttgarter Frühlingsfest zum Thema Bürokratieabbau: „Schnitzel und Bier statt Büro und Papier.“ Manches klingt großspurig und wird doch recycelt, etwa, wenn er erst dem neuen Bundeskanzler und dann Papst Leo „Gottes Geleit“ wünscht. Gegenüber der AfD zeigt er öffentlich Kante: Beim Landesparteitag im April 2024 titulierte er AfD-Politiker als „Freaks“ und „Vaterlandsverräter“, die das Land und den Rechtsstaat etwa mit Fake News unterwandern.

Lieblingsthema Staatsumbau

Gern stilisiert sich Hagel, in Weiß kürzlich zu Beginn eines Wochenendes, als Werbeträger für hochwertige Burger („Best bad food in town“), als ChatGPT-Action-Figur, als VfB-Fan, als Jäger mit der eher ungewöhnlichen Botschaft, dass der Mittag seines Geburtstags am 1. Mai der Familie gehört, weil er morgens und abends am Tag der beginnenden Bock-Jagd so gern im Wald ist.

Auftritte dieser Art lassen sich ändern, um dem Image eines kompetenten Spitzenpolitikers und dem Anspruch auf das Amt des Ministerpräsidenten gerecht zu werden. Äußeren Einflüssen dagegen wird er ausgesetzt sein, ausgerechnet er, dem ein ausgeprägter Hang zur Message Control nachgesagt wird. Zum Beispiel wenn es in Berlin nicht so läuft wie erhofft. Die versprochene Senkung der Körperschaftssteuer kommt erst 2028, der Soli wird gar nicht abgeschafft. Bei Hagels Leib- und Magenthemen Bürokratieabbau und Staatsumbau werden rasche Erfolge ebenfalls schwer zu realisieren sein. Die Arbeitsgruppe zur Digitalisierung hat er für die Union in den Koalitionsverhandlungen sogar geleitet. Das neue Ministerium muss allerdings erst einmal richtig sortiert sein, bis es die höchst komplizierte Arbeit in ein paar Monaten angehen kann.

Rückenwind aus Berlin ist der Südwest-CDU im bevorstehenden Landtagswahlkampf also keineswegs sicher. Im Falle gravierender Misshelligkeiten innerhalb des Kabinetts Merz wird Hagel sich an Kretschmanns Spruch von den Mühen der Ebene erinnert fühlen, die schnell auf den Zauber des Anfangs folgen können. Und wenn die Machtoption auf dem Weg zur Landtagswahl erkennbar unter Druck kommen sollte, wird sich zeigen, ob die von ihm befriedete Südwest-CDU tatsächlich steht – hinter seiner Auslegung von Teamfähigkeit, hinter seiner Auslegung des C, hinter dem Politikverständnis insgesamt. Die Demoskop:innen von INSA übrigens schrieben den Schwarzen 2020 und 2021 viele Monate lang Platz eins zu – bis sich etwa sechs Wochen vor dem Urnengang Blatt und Prognosen wendeten. Das Endresultat, nur zur Erinnerung: 24,1 Prozent für die CDU und 32,6 für die Grünen.

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