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PolitikWer schweigt, sagt Ja

Damit Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) seine Pflegekammer hinbekommt, hat er sich einen Kniff ausgedacht: Pflegekräfte werden angeschrieben und wenn sie nichts machen, heißt das Zustimmung. Verdi findet das zumindest fragwürdig.

Auch Altenpfleger:innen müssen in die Pflegekammer und können dann darauf hoffen, dass sie mehr für tut als die Politik. Foto: Joachim E. Röttgers

Von Gesa von Leesen↓

Es ist ein seltsam verklausulierter Brief, den seit einigen Wochen Pflegekräfte in Baden -Württemberg bekommen. Sie sollen jetzt als Pflichtmitglied der noch zu gründenden Pflegekammer Baden-Württemberg registriert werden. Und nur wenn sie das nicht wollen, müssen sie sich melden und Widerspruch einlegen. Reagieren sie nicht, heißt das, sie sind dafür und irgendwann dabei. Auf fünf Seiten wird erzählt, warum die Pflegekammer angeblich unbedingt notwendig ist. Es fallen Schlagwörter wie „selbstbestimmt“, die Kammer sei die „einzige Möglichkeit, als Profession an politischen Entscheidungen beteiligt zu werden“, es geht um „Starke Gemeinschaft“, „aktive Gestaltungsmöglichkeiten“ für den Einzelnen. Ach ja, und der Mitgliedsbeitrag werde „voraussichtlich“ 5 bis 9 Euro pro Monat betragen. Aber nur wer sich durch diese Mischung aus Werbung und Amtssprache durcharbeitet, erfährt noch, wie Einwendungen erhoben werden können. Bis zum 23. Februar sei dafür Zeit, ansonsten seien die Angeschriebenen „automatisch bei der Landespflegekammer Baden-Württemberg“ registriert.

Im Vorfeld hatten die Arbeitgeber, also vor allem Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, ihr Pflegepersonal melden müssen. Gemeint waren alle, die eine dreijährige Pflegeausbildung haben und in der Pflege arbeiten. Doch offenbar haben manche Personalabteilungen nicht so genau hingeschaut. So berichtet Christiane Piontek, stellvertretende Personalratsvorsitzende vom Klinikum Stuttgart: „Manche bei uns wurden doppelt angeschrieben, auch Azubis haben den Brief bekommen, aber der größte Posten sind die, die gar keine Post bekommen haben.“ Die aktive Verdianerin hat sich zudem die Mühe gemacht, drei Pflegeheime zu besuchen, erzählt sie. „Da haben viele den Brief weggeworfen, auch weil sie ihn gar nicht verstanden haben.“ Auch deswegen wird die Pflegekammer wohl kommen, meint Piontek. Ein demokratisches Verfahren sei das nicht gerade, vielmehr zeige sich, dass hier ein Weg gewählt wurde, um die Kammer auf Biegen und Brechen ins Leben rufen zu können

Nicht zuletzt deshalb lehnt Verdi die Pflegekammer ab. Man halte sie für unnütz, der Vorgang sei extrem intransparent. Bei der Gewerkschaft sei „eine Vielzahl von Hinweisen“ eingegangen, die darauf schließen lassen, dass das Verfahren nicht zuverlässig ist – keine Post, Doppelpost, keine Pflegekraft, falsche Personaldaten, der digitale Einwand funktionierte nicht. Die Fehlermeldungen bei Verdi bewegten sich im dreistelligen Bereich, sagt der zuständige Gewerkschaftssekretär Simon Wiese.

Verdi hat‘s wohl nicht verstanden

Nun könnte man sagen: Ist doch egal, ob bei mehr als hunderttausend Angeschriebenen 500 oder 2.000 mehr oder weniger dabei sind. Aber so einfach ist es nicht, denn die Pflegekammer wird nur eingerichtet, wenn 60 Prozent der Angeschriebenen keinen Einwand abschicken. So verlangt es das Pflegekammergesetz, das Lucha (Grüne), der die Kammer unbedingt will, durch den Landtag gebracht hat. „Insofern ist schon wichtig, ob die Grundgesamtheit stimmt“, sagt Wiese. Verdi hat wegen der konstatierten Unklarheiten Minister Lucha aufgefordert, das Verfahren zu stoppen. Der sieht dafür aber überhaupt keinen Grund, auch der Gründungsausschuss für die Landespflegekammer nimmt die Verdi-Kritik gelassen.

Ja, es habe zahlreiche falsche Briefe gegeben, doch der Ausschuss sei allem nachgegangen und insofern seien „alle in der Lage, bis zum 23.2. eine Einwendung einzulegen“, schreibt Ausschuss-Pressesprecherin Alexandra Heeser, ohne konkrete Zahlen zu den Fehlermeldungen zu nennen.

Außerdem sollten nie alle Pflegekräfte angeschrieben werden, wie Verdi fälschlicherweise glaube. „Das war zu keinem Zeitpunkt möglich“, schreibt Heeser. Schließlich sei gar nicht bekannt, wieviel Pflegefachkräfte im Land arbeiten. Darum habe man sich an vorhandenen Arbeitgeber-Meldungen orientiert und Statistiken herangezogen. 116.000 Frauen und Männer wurden daraufhin angeschrieben. Für Heeser gibt es „daher keinerlei Veranlassung, das Verfahren als falsch oder gescheitert zu deklarieren“.

In der Republik gibt es bislang nur zwei Landespflegekammern mit Pflichtmitgliedschaft: Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Niedersachsen und Schleswig-Holstein schafften ihre Kammern bereits wieder ab, weil Pflegende heftig gegen die Zwangsmitgliedschaft protestierten. In den restlichen Bundesländern passiert derzeit nichts und Bayern hat die Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB) ins Leben gerufen, allerdings ohne Pflichtmitgliedschaft. Warum nicht auch in Baden-Württemberg freiwillig? Heeser antwortet, auch Bayern habe erkannt, dass mit bisher nur 3.500 Mitgliedern in der VdPB die Interessen der Pflegenden nicht gut vertreten seien. Darum habe man im Freistaat verfügt, dass eine Registrierung in der Vereinigung verpflichtend für alle Pflegefachpersonen wird. Diese Aussage ist so nur halb richtig. Zwar kommt ein Berufsregister, in das Fachpfleger:innen sich eintragen müssen. Aber, so die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU): „Es steht allen Pflegefachkräften weiterhin frei, Mitglied bei der VdPB zu werden.“

Heeser (und die Webseite des Gründungsausschusses) wiederholt das vom Sozialministerium ständig wiederkehrende Mantra, ausschließlich eine Pflegekammer, in der alle Fachkräfte Pflichtmitglied seien, könne die Interessen der Pflege wahrnehmen (für Pflegehelfer:innen gilt Freiwilligkeit), auch weil die Kammer per Gesetz die Verwaltung beraten und unterstützen soll sowie „auf Augenhöhe mit bestehenden Kammerberufen z.B. Ärzteschaft und anderen Entscheidern im Gesundheitswesen agieren kann“.

Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, Florian Wahl, widerspricht dem. Die Pflegekammer sei nicht die einzige Möglichkeit, den Berufsstand bei politischen oder gesetzlichen Prozessen miteinzubeziehen: „Berufsverbände der Pflegeberufe werden bereits jetzt an politischen Entscheidungen beteiligt. Es ist unklar, ob die vermeintlich größeren Beteiligungsmöglichkeiten durch die Pflegekammer eine Zwangsmitgliedschaft rechtfertigen.“ Der SPD-Mann hätte es im Übrigen deutlich demokratischer gefunden, wenn die Fachkräfte über die Einrichtung einer Pflegekammer mit „Ja“ oder „Nein“ hätten abstimmen können. Aber das habe Lucha ja mit der Grün-Schwarzen Koalition im Landtag verhindert.

Nicht noch eine Aufsichtsinstanz

Dass viele Pflegekräfte mehr Einfluss haben könnten als wenige, sieht auch die Stuttgarter Personalrätin und Verdianerin Piontek so. „In der Hinsicht passiert zu wenig, weil Pflegekräfte sich nicht genügend für ihren Beruf engagieren“, sprich organisieren. Die GdL stelle sich hin und erreiche viel, die Piloten hätten über ihre Gewerkschaft Cockpit großen Einfluss und auch die Erzieher:innen hätten viel erreicht - eben weil sie sich ins Zeug gelegt hätten. „Aber wenn wir was machen, dann stehen von der Pflege 50 Leute da. Da bin ich schon enttäuscht“, sagt die 61-Jährige. Und gerade jetzt, während des Erfassungsprozesses für die Pflegekammer, hätte sie sich vor Ort mehr Engagement ihrer Gewerkschaft gewünscht. Info-Tische vor Ort, gute Flugblätter, so etwas eben. Eine einzige Info-Veranstaltung habe es im Klinikum gegeben. Anwesend: vielleicht 100 Pflegekräfte sowie ein Verdi-Vertreter und eine Person vom Gründungsausschuss.

Piontek bezweifelt insgesamt, dass eine Pflegekammer tatsächlich etwas in punkto besserer Arbeitsbedingungen oder Beeinflussung von Gesetzesvorhaben erreichen kann. Nach dem Landespflegekammergesetz hat die Kammer vor allem interne Aufgaben: Aus- und Fortbildung regeln, Berufspflichten überwachen, „die zuständigen öffentlichen Stellen in Fragen der Normsetzung und der Verwaltung zu beraten und zu unterstützen sowie Sachverständige zu benennen“. Von Stimmrechten in irgendwelchen Ausschüssen oder Gremien ist im Gesetz nirgendwo die Rede.

Ihre Einwände hat Piontek bereits abgeschickt. „Für mich ist das nur eine weitere Instanz, die Bürokratie aufbaut und irgendwelchen Leuten Posten verschafft.“ In der Pflege sei bereits alles geregelt, eine weitere Aufsichtsinstanz brauche sie nicht. Das hat sie auch den Kolleg:innen mitgeteilt, die sie gefragt haben, was sie denn in ihren Einwand schreiben könnten. „Die Telefone im Personalratsbüro liefen heiß“, berichtet Piontek.

Auch außerhalb ihres Arbeitsplatz beschweren sich viele Pflegende. Mehr als 1.000 Schreiben, die sich gegen die Pflegekammer wenden, sind mittlerweile beim Petitionsausschuss des Landtags eingegangen, teilt die Pressestelle des Landtags mit. Für die Einwände sei der Ausschuss allerdings die falsche Adresse, die müssten an den Gründungsausschuss Pflegekammer gehen. Selbstverständlich werde der Ausschuss sich mit der Angelegenheit in der vorgeschriebenen Weise befassen. Das lässt wenig Konkretes erwarten und so bleibt auch die Frage offen, warum eigentlich die Politik die Interessen der Pflege bislang nicht tatkräftig durchsetzen konnte – zumal, wenn der eigene Gesundheitsminister, wie er es gerne ausdrückt, selbst „Krankenschwester“ gelernt hat.

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