Politik: Das Problem ist die Schuldenbremse
Kürzungen beim Bundesfreiwilligendienst und der Migrationsberatung hat der Haushaltsausschuss zurückgenommen. Die Wohlfahrtsverbände atmen auf, können sich aber nicht wirklich freuen.
Von Gesa von Leesen
„Ohne Freiwillige hätten wir Probleme, unsere Arbeit zu machen“, sagt Jonathan Voß. Der 25-Jährige leitet an der Pforzheimer Sonnenhofschule den Hort. Zwischen 80 und 90 Grundschulkinder nutzen das Angebot, erledigen dort Hausaufgaben, spielen, essen. Knapp acht Stunden ist der Hort täglich geöffnet, sechs pädagogische Fachkräfte und drei junge Leute, die ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) absolvieren, sorgen dafür, dass die Kinder gut betreut sind. Die FSJler:innen waschen die Wäsche, sind in der Küche tätig, helfen beim Beaufsichtigen auf dem Schulhof. „Ohne sie müssten das die Fachkräfte erledigen, wodurch die wiederum weniger Zeit für die pädagogische Arbeit hätten“, sagt Voß. Er war selbst mal FSJler. Nach zwei Jahren Studium, das er abbrach, entschied er sich für das Freiwilligenjahr, arbeitete mit Kindern – und entschied sich anschließend für die Ausbildung zum Erzieher. „Ich beobachte öfters, dass junge Leute, die ein FSJ machen, danach in den sozialen Bereich gehen.“ Eine wichtige Rekrutierung für Fachkräfte also.
Das fand Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) offenbar unwichtig, in seinem Haushaltsentwurf für 2024 waren zahlreiche Kürzungen in diversen sozialen Bereichen geplant: Beim FSJ, dem Bundesfreiwilligendienst sowie dem freiwilligen ökologischen Jahr waren 78 Millionen Euro weniger als in diesem Jahr vorgesehen. Damit würde jede vierte Stelle, etwa 30.000, weggefallen. Auch bei der Beratung von jungen und erwachsenen Migrant:innen und den Psychosozialen Zentren sollte heftig gespart werden.
Die Liga der freien Wohlfahrtspflege, der Zusammenschluss der großen Wohlfahrtsverbände, war alarmiert. Die Sparpläne würden den Zusammenbruch vieler sozialer Dienste bedeuten, die soziale Infrastruktur sei gefährdet, hieß es. Unter dem Motto „Licht aus“ rief sie zu Aktionen auf. Offenbar mit Erfolg. Denn in seiner Bereinigungssitzung machte der Haushaltsausschuss des Bundestages die Kürzungen rückgängig. „Das hat uns überrascht“, sagt Marco Lang vom Vorstand der Liga und Geschäftsführer der AWO Württemberg (Arbeiterwohlfahrt). Hat er sich gefreut? „Ich bin nur verhalten optimistisch.“ Selbst wenn es beim jetzigen Stand bliebe, „haben wir zwar das Schlimmste abgewendet, allerdings müssen wir weiterhin mit dem Schlimmen zurechtkommen“. Denn auch mit den zurückgenommenen Kürzungen bedeuten die jetzigen Haushaltsansätze fürs nächste Jahr de facto trotzdem weniger Geld. „Es bleiben in Euro ja die Beträge von diesem Jahr. Im nächsten Jahr aber greifen die Tarifabschlüsse“, sagt Lang. Die lägen je nach Tarif zwischen 10 und 13 Prozent. Zudem würden durch neue Förderrichtlinien die Eigenanteile steigen.
Wenn gespart werden soll, geht‘s ans Soziale
Und so hätten die ersten Träger bereits angekündigt, sich aus einigen Bereichen zurückziehen zu wollen. In der Migrationsberatung für Erwachsene zum Beispiel müssten pro Jahr 15.000 Euro pro Stelle vom Träger kommen. In dieser Beratung helfen fachkundige Menschen Migrant:innen dabei, sich zurechtzufinden im Bürokratiedschungel. „Sie sind die Schnittstelle zwischen Arbeitgebern, Schule, Kita, Regierungspräsidien, Behörden“, sagt Lang. „Ansonsten geht jemand zum Bürgeramt, da sagen sie ihm, er muss zum Ausländeramt und wenn Kinder im Spiel sind, muss er noch zur Familienkasse. Sprachkurse werden vermittelt mit oder ohne Kinderbetreuung und so weiter.“ Aktuell betreue ein:e Berater:in etwa 300 Menschen. Eine wichtige Aufgabe also, um Menschen aus anderen Ländern die Chance zu geben, hier klarzukommen, sagt Lang, „und um Arbeitskräfte zu rekrutieren“. Doch mit dem gleichen Geld wie im Vorjahr plus Lohnsteigerungen plus höherem Eigenanteil könnten manche Einrichtungen dieses Angebot nicht mehr finanzieren.
Mit finanziellen Unsicherheiten muss der soziale Bereich schon ewig leben, weil so etwas wie Migrationsberatung oder freiwilliges soziales Jahr genauso wie Kultur freiwillige Aufgaben des Staates sind. „Aus der reinen Haushaltslogik heraus“, sagt Lang, „ist es klar, dass als erstes an die freiwilligen Leistungen gegangen wird, wenn man Geld benötigt.“ Und Geld wird benötigt, nachdem das Bundesverfassungsgericht auf Klage von CDU/CSU den Klimafonds für verfassungswidrig erklärt hat und der Ampel-Regierung somit 60 Milliarden Euro fehlen. Nun streiten die Parteien, woher das Geld kommen soll, und die FDP, also Finanzminister Christian Lindner findet, man solle im Sozialen kürzen.
Zudem schwebt ein weiteres Damoklesschwert über dem Haushalt. Die Oppositionspartei CDU lässt gerade juristisch prüfen, ob auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds verfassungswidrig sein könnte. Wenn auch dieser Fonds kippt, fehlen weitere 200 Milliarden Euro. Aus diesem Fonds, von Kanzler Olaf Scholz (SPD) auch „Doppelwumms“ genannt, wird unter anderem die Strom- und Gaspreisbremse bezahlt. Wäre auch dieser Fonds verfassungswidrig, müssten Unternehmen und Bürger:innen die hohen Energiepreise eins zu eins zahlen ohne Entlastung durch den Staat. „Die Dankesschreiben können direkt an die Union und Friedrich Merz gehen“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dazu im Deutschlandfunk.
Die CDU macht den Staat handlungsunfähig
AWO-Geschäftsführer Lang mag sich gar nicht vorstellen, was passiert, wenn der Wirtschaftsstabilisierungsfonds fehlt. „Die Nebenkostenabrechnungen würden horrend werden und die Schuldnerberatungen überlaufen. Schon vor Corona hatten wir stetig mehr Androhungen, dass Menschen der Strom abgestellt wird. Das würde wieder deutlich mehr werden.“ Seiner Ansicht nach tue die Union sich gerade „keinen Gefallen, wenn sie die Handlungsfähigkeit des Staates derart torpediert“. Das eigentliche Dilemma seien doch die Schuldenbremse und die Einnahmeseite des Staates. Alleine in den Kommungen beläuft sich laut dem Deutschen Städte- und Gemeindebund der Investitionsstau auf 166 Milliarden Euro. Da sind Bundesthemen wie marode Schienennetze, kaputte Bundesstraßen inklusive Brücken oder digitale Infrastruktur noch gar nicht drin.
Also, sagt Lang, müsse man doch nun konstruktiv diskutieren, wie die ökologische Transformation, die Sanierung der Schulen und so weiter auf einen Weg gebracht werden können, auf dem alle mitgenommen werden. Neue Einnahmequellen für den Staat sieht Lang als AWO-Geschäftsführer vor allem bei Wohlhabenderen: So würde die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs bis zu 5,5 Milliarden Euro bringen, das Dieselprivileg müsse weg, eine Kerosinsteuer eingeführt werden. „Und das sind jetzt nur klimaschädliche Subventionen.“ Auch beim Erben könne der Staat Einnahmen generieren.
Das Geld werde benötigt für „mutige Investitionen ins Soziale“, sagt Lang, und nicht für Subventionen für diejenigen, die eigentlich sowieso genug haben: wie zum Beispiel die 300 Millionen Euro für den Einbau einer privaten Wallbox, die im September binnen 24 Stunden aufgebraucht waren. „Das Geld kam vor allem denjenigen zugute, die sowieso eine Wallbox angeschafft hätten, weil sie sich ein teures E-Auto leisten können.“ Es sei eine wiederkehrende Erfahrung: Soziale Fragen würden in der Klimadebatte oft nicht mitgedacht – so haben Mieter:innen keinen Einfluss auf die Heizart, wer auf dem Land lebt, braucht meistens ein Auto, um zur Arbeit zu kommen. Das sei aber falsch, und so sind Wohlfahrts- und Umweltschutzverbände derzeit dabei, sich zusammenzutun. Lang: „Wir wollen gemeinsam vorgehen, auch mit Blick auf die Wahlen im nächsten Jahr.“
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