Politik: Politik im Slim-fit-Stil
Wenn Manuel Hagel am Samstag zum Vorsitzenden der Südwest-CDU gewählt wird, hat er eine Blitzkarriere hingelegt: Erst 2021 wurde er Fraktionschef, nun will er die Partei führen.
Von Johanna Henkel-Waidhofer
Ein Ereignis elektrisiert nicht wenige in der Südwest-CDU in diesen Tagen. Mit welcher Konsequenz Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) seinen grünen Regierungspartner:innen nach zehn Jahren den Stuhl vor die Tür stellte, macht mächtig Eindruck. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im baden-württembergischen Landtag Manuel Hagel nennt das „die Politik der starken Mitte“, die „auf einen Geist des Ermöglichens setzt mit gesunder Eigenverantwortung: eine realistische und begrenzende Migrationspolitik, Stadt UND Land, sichere Straßen, eine moderne Mobilität (auch ohne Fahrrad) sowie eine zukunftsstarke Bildung für unsere Kinder in gefestigten Familien“.
Die schon 2021 ventilierte Idee einer Deutschland-Koalition ohne die Grünen, aber mit CDU, SPD und Liberalen, feiert also fröhliche Urständ in Baden-Württemberg. Dass die SPD die Unterstützung des fliegenden Wechsels vor der nächsten Landtagswahl weg von den Grünen abgelehnt hat, stört wenig. Vor allem, weil Cem Özdemirs Mitteilung über das Ende seiner Ehe als „erster Schritt nach Baden-Württemberg“ bewertet wird, wie ein CDU-Landtagsabgeordneter sagt: „Jetzt wird es ernst.“
Der Grat aber könnte schmäler kaum sein. Nicht nur, weil Schwarz-Rot-Gelb im Landtag auf nur zwei Mandate über der erforderlichen absoluten Mehrheit kommt. Alle Beteiligten gingen damit höchstes Risiko ein, und selbst eingefleischte Fans sind nicht der Meinung, dass der künftige Landes- und Fraktionschef bereit zu dieser Art Husarenritt wäre.
Bei der JU kommt er gut an
Dem Jungstar ohne Abitur, der noch vor zwei Jahren den inzwischen in Skandalen versunkenen österreichischen Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als politisches Vorbild pries, werden manche Stärken zugeschrieben. „Er kann in kleinen Runden glänzen“, berichtet einer aus der Fraktion, „wenn er selber die Themen bestimmt.“ Immer gilt er als gut informiert und – meistens – umgänglich, als zuvorkommend, ein Schwiegermutter-Typ eben. Christina Stumpp, die stellvertretende Generalsekretärin der Bundes-CDU aus Waiblingen, rühmt den 35-Jährigen als „echten Macher“.
Wie ein roter Faden zieht sich durch viele Auftritte aber zugleich ein Hang zum Provinzialismus und unter anderem die Gewohnheit, Probleme zu skizzieren, ohne eigene Gedankenarbeit oder gar Lösungen anzubieten. Am vergangenen Samstag war Hagel Hauptredner beim Landestag der Jungen Union in Tauberbischofsheim, wo er schon mal austesten konnte, welche Redepassagen welche Wirkung entfalten, jedenfalls unter dem Jungvolk. Immer wieder gab es sehr viel Beifall – selbst an ganz besonderer Stelle: nicht beim Thema Brandmauer gegenüber der AfD, sondern als er daran erinnerte, dass ein Unvereinbarkeitsbeschluss der Union, also ihr prinzipielles Nein zu jedweder inhaltlichen Zusammenarbeit, auch für die Linke gilt.
Jedenfalls ist der im Ehrenamt bei Bürgerstiftung oder Narrenzunft Engagierte fleißig und rührig, was aber bei manchen, die näher mit ihm zu tun haben, die Skepsis nicht versiegen lässt. Er ist viel unterwegs, redet in mittelgroßen Hallen, bei Frühschoppen, Dorffesten, zu Stadtjubiläen. Er animiert Musikvereine in Bierzelten schon mal, die deutsche Hymne zu intonieren. Beim Publikum kommt er an mit Aufforderungen im Aiwanger-Stil: „Gehen Sie eine rote Wurst essen, verkleiden Sie sich als Winnetou! Tun Sie es mit gutem Gewissen.“ Oder mit Schlagworten und reichlich schlichten Bekenntnissen: von „Politik ohne Werte ist wertlos“ über „Bei uns ist die Zukunft zu Hause“ bis zu „Mehr Meister, weniger Master“.
Er will „erneuern“ und „entfesseln“, weiß sich zu inszenieren, auf Instagram mit Promis und Posen, in seinen schmalen Anzügen, im Trachtensakko, als Jäger oder auf dem Stuttgarter Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz, wo er locker an der Stele für den Vorkämpfer der Straffreiheit von gleichgeschlechtlichem Sex schon vor 150 Jahren lehnt. Für gleiche Rechte will er eintreten („Da bin ich ganz Christdemokrat.“), und dann wettert er doch gegen das Gendern an Schulen, Hochschulen oder im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Nicht zuletzt beim ausgeprägt konservativen JU-Nachwuchs in Baden-Württemberg lassen sich damit Punkte machen.
Öfter jedoch operiert der sich im Landtag als „Kapitän einer Mannschaft“ beschreibende Chef mit sich ausschließenden Thesen, Prognosen oder gar Behauptungen. Entweder, weil ihm die Widersprüche gar nicht auffallen, weil sie ihm egal sind oder weil er mit zweierlei Maßstäben misst. Hagel verlangt, dass Grüne aufhören, „unser Land permanent schlecht zu reden“, weil Deutschland und gerade Baden-Württemberg toll seien, weil sich lohne dafür einzustehen. Wenig später analysiert er, dass sich Wohlstand und Innovation ein neues Haus suchen auf der Welt, dass „hier bei uns still ruht der See“ gelte. Er tut so so, als würde in der Landesverfassung stehen, Baden-Württemberg habe es immer gut zu gehen. Neuerdings streut er zudem Zitate – nicht von Hannah Arendt, aber von Fontane oder Shakespeare etc.
Ohnehin erlebt Überraschungen, wer manche der ihm so bereitwillig bescheinigten Attribute auf ihre Belastbarkeit abklopft. Er sei nicht authentisch, sondern bestenfalls gut trainiert, heißt es unter früheren Mitarbeiter:innen. Aus „Netzwerker“ wird „Kontrollfreak“. „Bodenständig“ wird bisweilen bissig übersetzt mit: über den schwäbischen Sparkassenfilialleiter kaum hinausgekommen, nicht nur wegen seines Idioms. Er selbst legt nach mit dem Bekenntnis, dass Schwäbisch zu lernen keine bewusste Entscheidung gewesen sei. „Heute Dialekt zu sprechen, ist es aber durchaus“, hebt er hervor. Auch das ist bloß die halbe Wahrheit, denn Mentoren berichten, dass er sehr wohl versuche, sich ein gepflegteres Deutsch anzueignen.
Zeitweise ist er nicht erreichbar
Manche Eigen-PR scheitert, im ersten Anlauf jedenfalls. Mitorganisatoren erinnern sich, dass im „Relais & Châteaux Hotel Dollenberg“ im Schwarzwald „ein hochkarätiges Treffen“ mit Hagel stattfinden sollte. Jedoch: Die Hauptperson schwänzte, wie er überhaupt, berichten kritischer gewordene Abgeordnete, immer wieder stundenlang unerreichbar sei oder Termine kurzfristig cancele. In der vergangenen Woche durfte er dann doch einen „humorvollen ehrenden Wortbeitrag“ liefern zu Ehren von Günther Oettinger in besonders illustrer Senioren-Runde.
Veranstaltungen wie diese nähren überbordende Erwartungen an den erfolglosen Wahlkampfmanager von Susanne Eisenmann. Jetzt ist die Solidarität eine erzwungene, nach dem Motto: Trotz sich mehrender Bedenken muss es einfach gelingen, 2026 wieder stärkste Partei im Land zu werden. Oder die Pferde doch früher zu wechseln und den grünen Koalitionspartner zu entmachten. „Es geht um alles“, hatte „Manu“, wie in die Polit-Freund:innen nennen, im Wahlkampf 2021 behauptet und lag falsch. Nach dem erwartbaren Hochamt auf dem Landesparteitag am Samstag in Reutlingen geht es wirklich um alles. Vor allem für ihn.
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