Politik nebenan: Schuften für eine Handvoll Lohn

Jeder fünfte Arbeitnehmer erhält in Deutschland einen Niedriglohn von weniger als 9,85 Euro - Detlef Wittkowski kommt gerade mal auf 5,50 Euro.

Mitarbeiter von Wachschutzunternehmen gehören zu den Billiglöhnern Bild: dpa

BERLIN taz | "Wissen Sie, was ich letzten Monat verdient habe?" Detlef Wittkowski zieht die Gehaltsabrechnung aus der Jackentasche. 966 Euro brutto steht auf dem Papier. Es ist sein Lohn für August, in dem er 164 Stunden als Wachschützer gearbeitet hat. Ein Vollzeitjob, dieses Mal waren es "nur" 41 Wochenstunden. Dem 54-Jährigen mit aschblonden Haaren und Schnäuzer bleiben nach allen Abzügen 763 Euro. Denn Securitas, Deutschlands größter Sicherheitsdienstleister mit bundesweit rund 19.000 Mitarbeitern, zahlt ihm 5,50 Euro Bruttostundenlohn, dazu minimale Aufschläge für Nacht- oder Wochenenddienste. Und das ist nicht einmal die Untergrenze. Da es für die Branche keinen flächendeckenden Mindestlohn gibt, geben manche Unternehmen auch nur 4,52 Euro.

"Ohne meine Lebensgefährtin ginge das alles gar nicht", sagt Wittkowski. Sie arbeitet im Innendienst einer großen Versicherung und verdient gut, trägt mehr von der gemeinsamen Miete. Als sich die beiden vor ein paar Jahren kennenlernten, haben sie lange überlegt, wer den Job aufgibt und umzieht. Letztlich hat ihre Wohnung mit Garten den Ausschlag gegeben - "denn so ganz ohne Garten, das hat meine Freundin nicht ausgehalten", erzählt Wittkowski. Also ist er von Bochum nach Berlin gekommen, gab seine gut bezahlte Facharbeiterstelle als Qualitätsprüfer bei Opel auf. Wie viel er damals verdient hat? Er zögert kurz, vielleicht liegen diese Zeiten schon allzu lange zurück, vielleicht ist es ihm auch unangenehm. "Rund 5.000 Euro brutto waren es, netto 3.200", sagt er schließlich und lächelt dünn.

In Berlin einen vergleichbaren Job zu finden war aussichtslos, hat er 273 erfolglose Bewerbungen später festgestellt. Nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit und einer Umschulung ist er im Wach- und Sicherheitsgewerbe gelandet, überwacht heute Supermärkte, Baustellen oder Flughäfen. 12-Stunden-Schichten und eine 6-Tage-Woche sind dabei die Regel. Weil er häufig für Nachtdienste oder Frühschichten um 4 Uhr morgens ranmuss, will er in der Woche "nur noch" rund 50 Stunden arbeiten. "Ich kann das machen, viele Kollegen aber nicht. Jemand, der allein ist, muss seine 65, 70 Wochenstunden schieben, um überhaupt die Unkosten reinzubekommen, von Familiengründung reden wir gar nicht."

Wenn jemand so viel arbeitet, das hat Wittkowski beobachtet, dann beginnt ein Teufelskreis: "Soziale Kontakte gehen den Bach runter. Es gibt viele jüngere Kollegen, die haben weder Geld noch Zeit, um nach der Arbeit was zu unternehmen, die lernen nie jemanden kennen." Wer solo sei, bleibe es meist auch.

Er hat es da besser: Er hat nicht nur jemanden an seiner Seite, es gibt auch ein zweites, vernünftiges Einkommen. Und zum Glück konnte er in den Jahren bei Opel etwas für den Ruhestand vorsorgen. "Aber die jungen Kollegen verdienen nichts, die zahlen nichts in die Rentenkasse ein. Letztlich forciert die Regierung die Altersarmut", ist er empört.

Doch es geht nicht nur um die anderen. Spricht man ihn auf seinen alten und seinen heutigen Verdienst an, bricht es im Ruhrpottdialekt aus ihm heraus: "Dat ist Frust, der pure Frust! Man bekommt so wenig und arbeitet körperlich so schwer." Er denkt dabei vor allem an die langen Schichten und die Nachtarbeit. Bei den heutigen Lebenshaltungskosten sollten mindestens 8,50 Euro gezahlt werden, fordert er.

Doch wer ist für die Lohnmisere verantwortlich? Bei Securitas würde man zwar "gern etwas mehr zahlen", so Sprecher Sven Wieboldt, doch ohne gesetzliche Regelung für die ganze Branche seien dem Unternehmen ein Stück weit die Hände gebunden, zieht er sich aus der Affäre. Für Wittkowski steht fest, dass Deutschland einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn braucht. "Die Politik hat den Niedriglohnsektor überhaupt erst ermöglicht, sie muss jetzt auch gegensteuern."

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Das will die CDU

Beschäftigung: Die CDU ist gegen den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Sie will "faire Löhne" mit "ergänzenden staatlichen Leistungen" kombinieren. Lohnzusatzkosten sollen "stabilisiert", die jetzigen Minijobs erhalten bleiben.

Einkommen im Alter: Die CDU will die private Altersvorsorge fördern und die Erwerbsbeteiligung Älterer erhöhen. Lebenslang Vollzeitbeschäftigte sollen eine gegebenenfalls durch Steuern finanzierte Rente oberhalb des Existenzminimums erhalten.

Arbeitslosigkeit: Die CDU setzt auf Qualifizierung und Vermittlung von Arbeitslosen, Leistungsmissbrauch soll stärker bekämpft werden.

www.cdu.de/portal2009/27890.htm

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Das will die SPD

Beschäftigung: Die SPD will einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro. Minijobs sollen auf 15 Wochenstunden begrenzt werden.

Einkommen im Alter: Langzeitarbeitslose über 60 sollen einen Anspruch auf geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erhalten und, wie Geringverdiener, in der Rentenversicherung (RV) besser gestellt werden. Die RV soll eine allgemeine Erwerbstätigenversicherung werden.

Arbeitslosigkeit: Arbeitslose sollen einen Anspruch auf Überprüfung des individuellen Qualifizierungsbedarfs bekommen. Die Hartz-IV-Regelsätze will die Partei überprüfen und ggf. erhöhen.

www.spd.de/de/politik/

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Das wollen die Grünen

Beschäftigung: Die Grünen wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit und einen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 7,50 Euro. Die Konjunktur soll durch Steigerung der Massenkaufkraft angekurbelt werden.

Einkommen im Alter: Die Förderung der privaten Altersvorsorge will man auf Geringverdiener und mittlere Einkommen konzentrieren. Renteneinzahlungen für Langzeitarbeitslose sollen angehoben werden.

Arbeitslosigkeit: Die Grünen wollen das Arbeitslosengeld II auf 420 Euro anheben und die Regelsätze für Kinder und Jugendliche neu berechnen.

www.gruene.de/partei/programm.html

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Das will die FDP

Beschäftigung: Die FDP ist gegen den gesetzlichen Mindestlohn, ein Bürgergeld (s. u.) soll für Mindesteinkommen sorgen. Die Einkommensgrenze für Minijobs soll von 400 auf 600 Euro steigen. Die FDP will Steuersenkungen und niedrige Lohnzusatzkosten.

Einkommen im Alter: Die Alterssicherung soll stärker in ein System privater Kapitaldeckung umgebaut werden. Zuverdienstgrenzen beim Rentenbezug sollen wegfallen.

Arbeitslosigkeit: Die FDP will statt Arbeitslosengeld II ein Bürgergeld von 662 Euro/Monat. Es soll alle sozialen Leistungen - auch Kinderzuschlag und Wohngeld - zusammenfassen.

www.deutschlandprogramm.de

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Das will die Linke

Beschäftigung: Die Linke will deutlich steigende Masseneinkommen, Leiharbeit strikt begrenzen, den Kündigungsschutz ausweiten und einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro.

Einkommen im Alter: Die Linke will die Rente mit 67 abschaffen. Im Rentenalter soll jeder mindestens 800 Euro im Monat haben.

Arbeitslosigkeit: Hartz IV will man langfristig abschaffen und durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzen. Kurzfristig soll der Regelsatz auf 500 Euro erhöht werden.

die-linke.de/wahlen/positionen

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