"Politik der Arbeitsplatzvernichtung": Widerstand bei Conti
Rund 1.000 Continental-Mitarbeiter demonstrieren in Hannover gegen die Werksschließung. Das Reifen-Unternehmen argumentiert mit der "Brachialgewalt des Nachfrageeinbruchs".
"Wir sind nicht zu teuer, der Vorstand ist zu gierig", sagt Eryurt Gazi. Der Staplerfahrer arbeitet seit fast 30 Jahren bei der Continental im hannoverschen Stadtteil Stöcken. An diesem Dienstag hat er ein altes Nichtraucher-Plakat umfunktioniert: Anstatt "Nikotin tötet" mit Sensenmann in Qualmform lautet der Slogan nun "Nikolin tötet". Hans-Joachim Nikolin wird das nicht freuen. Er ist der Conti-Vorstand, der am vergangenen Mittwoch die Schließung der LKW-Reifenproduktion im Stammwerk angekündigt hat - wegen "massiver Absatzprobleme". Im Dezember werden 780 Arbeitsplätze in Hannover überflüssig.
Nach fast einer Woche Streik haben rund 400 Beschäftigte im nordfranzösischen Clairoix am Dienstag angekündigt, die Arbeit wieder aufzunehmen. "Aber der Kampf geht weiter", sagte ein Gewerkschafter. Das Werk mit 1.120 Mitarbeitern soll im kommenden Frühjahr geschlossen werden. Am Montag hatten hunderte Conti-Mitarbeiter bei einem Treffen des Betriebsrates mit der Unternehmensführung in Reims protestiert. Die Stimmung war aufgeheizter als in Hannover: Beschäftigte bewarfen Manager mit Eiern und beschimpften sie als "Finanzgauner".
Die Conti-Vorstände haben im Verlustjahr 2008 Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Laut Geschäftsbericht schrumpften die Vergütungen von Vorstandschef Karl-Thomas Neumann auf 1,7 Millionen Euro (Vorjahr: 2,7), Reifenvorstand Hans-Joachim Nikolin kassierte 1,0 (2,3) Millionen. TAZ
"Stoppt Nikolin" war das Motto der ersten Demonstration gegen das Ende der Reifenproduktion in Hannover nach 138 Jahren. Nach einer Betriebsversammlung sind rund 1.000 Arbeiter vor das Werkstor gezogen - das soll der Auftakt des Protests sein. "Für Stöcken", sagt der 45-Jährige, "gehts ums Überleben."
Pfeifen trillern, rot-weiß wehen die Fahnen von IG BCE und IG Metall. "Machtgeile Leute wollen immer mehr Beute" und "Die Krise hat einen Namen: Nikolin" oder "Warum keine Kurzarbeit?" steht auf den Plakaten. Für die Malocher ist der Kurs der einst erfolgreichen Conti nicht mehr nachvollziehbar: Nach dem Übernahmekampf bettelt der Großaktionär Schaeffler um Milliarden-Staatshilfen, die Zukunft ist ungewiss. Mit der Ankündigung, die Werke in Hannover und im nordfranzösischen Clairoix dichtzumachen, hat die Conti-Spitze jetzt Gewerkschaften, Betriebsräte und die Politik verprellt.
Die "Politik der Arbeitsplatzvernichtung", wie das Werner Bischoff formuliert, müsse beendet werden. "Eine Unternehmensleitung", sagt Bischoff, "die ein intaktes Wohnhaus in Brand setzt und die Feuerwehr beim Löschen behindert, handelt verantwortungslos!" Der IG BCE-Vorstand, derzeit amtierender Aufsichtsratschef, geißelt die Conti als "das erste große Unternehmen in Deutschland, das Entlassungen ausspricht".
Die Conti-Manager hätten den Aufsichtsrat brüskiert. Mit "keinem Wort" sei in der Sitzung des Kontrollgremiums vier Tage vor der Ankündigung von Werksschließungen die Rede gewesen, sagt Bischoff. Auch die Politik zeigt Flagge: Die lokale CDU und die Linke sind bei der Demo dabei, die SPD ist gar in Bataillonsstärke erschienen. Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil (SPD) sagt, er wolle "ein öffentliches Klima erzeugen, damit der Vorstand nachdenkt".
Die Stimmung ist ähnlich aufgekratzt wie vor drei Jahren, als die Conti die profitable Fertigung von PKW-Reifen in Hannover Knall auf Fall schließen wollte. Gewerkschafter griffen den damaligen Vorstandschef Manfred Wennemer als "Raupe Nimmersatt" an, der Image-Schaden war immens: "Haben die Herren schon vergessen, welchen Schaden sie dem Unternehmen zugefügt haben?", fragt Bischoff. Ein "Domino-Effekt" für die restlichen 2.600 Arbeitsplätze in Stöcken schwant Michael Deister. Die Conti nutze die Krise nur, um die Produktion in Billiglohnländer zu verlagern. "Perfide" findet das Deister.
Die Arbeitnehmervertreter wollen Ende kommender Woche vor Gericht ziehen. Sie sehen eine Vereinbarung von Januar gebrochen, in der die Conti gegen Lohnverzicht und mehr Kurzarbeit den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen zugesichert hatte. Die Grundlage für das Papier sei mit der "Brachialgewalt des Nachfrageeinbruchs" weggefallen, argumentiert die Conti. Statt eines Produktionsvolumen von 930.000 Nutzfahrzeug-Reifen für das Jahr 2009 plane man derzeit mit rund 380.000.
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