Politik-Analyst über Mullah-Herrschaft: „Irans Regime ist kein unantastbarer Riese“
Iran ist geschwächt, doch sein Geheimdienst plant weiterhin Anschläge, auch in Deutschland. Matthew Levitt erklärt, wie der Westen Druck machen kann.

taz: Herr Levitt, vor Kurzem haben dänische Behörden in Aarhus einen Mann mit afghanischen Wurzeln festgenommen, der mutmaßlich Anschlagsziele in Deutschland ausspioniert hat. Wie groß ist die Gefahr, die von Iran für Europa und insbesondere für Deutschland ausgeht?
Matthew Levitt: Ich gehe davon aus, dass solche Anschläge zunehmen werden. Diesen Trend beobachten wir seit einigen Jahren. Teheran befindet sich nach dem jüngsten 12-Tage-Krieg in einer Zwickmühle: Einerseits will das Regime nichts riskieren, was neue Feindseligkeiten auslösen könnte. Andererseits muss es zeigen, dass es nicht besiegt ist – dass es seine Feinde weiterhin erreichen und treffen kann und dass es einen Preis hat, sich mit dem Regime anzulegen.
taz: Wer steht dadurch besonders im Visier Teherans?
Levitt: Verschiedene Gruppen. Iran hat schon versucht, hochrangige Vertreter der US-Regierung und israelische Beamte zu töten. Außerdem stehen Juden außerhalb Israels sowie iranische Dissidenten weltweit im Fadenkreuz Teherans. In dem aktuellen Fall in Deutschland war der Verdächtige offenbar vor allem damit beauftragt, jüdische Einrichtungen und Personen auszuspionieren.
55, ist ein US-amerikanischer Experte für Terrorismus und Nahostpolitik am Washington Institute for Near East Policy. Zuvor war er Anti-Terror-Analyst beim FBI und als Berater im US-Finanzministerium tätig. Er analysiert seit Jahren Irans Unterstützung terroristischer Gruppen.
taz: Längst nicht alle Juden und Jüdinnen sind auch Israelis. Warum denkt das iranische Regime, der Angriff auf jüdische Einrichtungen in Europa treffe Israel?
Levitt: Iran hat historisch gesehen keinen Unterschied gemacht zwischen Israelis und Juden. Die Führung in Teheran erkennt, dass der jüdische Staat sich für jüdische Gemeinschaften weltweit verantwortlich fühlt. Und anscheinend glaubt man dort auch, dass man Juden auf diese Weise effektiv treffen kann – ähnlich wie sie auch iranische Regimekritiker ins Visier nehmen.
taz: Teheran orchestriert seit Jahren Anschläge gegen Dissidenten in Europa. Welche Strategie verfolgt das Regime mit diesen Taten?
Levitt: Es fürchtet, dass Dissidenten im Ausland, wo sie freier reden und handeln können, Unruhe in der Heimat schüren. Ich glaube, das ist momentan besonders wichtig, weil Teheran die Auswirkungen der Angriffe auf die Stimmung im eigenen Land fast mehr fürchtet als die Schäden an seinem Atomprogramm. Der jüngste 12-Tage-Krieg hat nämlich gezeigt, dass das Regime kein unantastbarer Riese ist. Auch das Korps der Revolutionsgarden ist keineswegs unbesiegbar. Tatsächlich sind in diesem Krieg viele von denen getötet worden, die zuvor in Iran abweichende Meinungen brutal unterdrückt hatten. Es ist also kein Wunder, dass das Regime nun im Ausland verstärkt gegen Andersdenkende vorgeht.
taz: Iran führt solche Anschläge im Ausland selten selbst durch, sondern bedient sich oft Doppelstaatlern aus anderen Ländern. Warum dieser indirekte Weg?
Levitt: Teheran versucht, Anschläge im Ausland mit einer sogenannten angemessenen Bestreitbarkeit zu verüben. Trotzdem ist natürlich klar, dass Iran selbst dahinter steckt. Diese Botschaft soll ankommen. Das Regime will lediglich das Risiko minimieren, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Deshalb bedient es sich meist terroristischer oder krimineller Stellvertreter, die die Drecksarbeit erledigen. Teheran nimmt dabei in Kauf, dass im schlimmsten Fall ein Agent festgenommen wird. In der Regel schafft es das Regime sogar, solche Leute wieder freizubekommen – indem es im Gegenzug westliche Staatsbürger unter Spionagevorwürfen inhaftiert. Ich garantiere Ihnen: Die Regierungen in Dänemark und Deutschland befürchten im Moment genau das: dass Iran plötzlich dänische oder deutsche Bürger festnimmt und sie als vermeintliche Spione anklagt.
taz: Sie haben eine Karte mit allen Operationen zusammengestellt, die mit Iran in Verbindung gebracht werden können. Dabei fällt auf: Gerade in Deutschland häufen sich Anschlagspläne und Spionagefälle. Warum ausgerechnet hier?
Levitt: Deutschland spielt an sich keine besondere Rolle. Teheran schlägt überall dort zu, wo sich Ziele und Gelegenheiten bieten. Aber als ich diese Karte erstellte, war ich selbst überrascht, wie oft die Iraner im Westen zu Anschlägen bereit sind, in den USA, in Kanada und besonders in Westeuropa, vor allem in Deutschland und Frankreich. Teheran agiert dort, wo es Auslandsgemeinden gibt, die logistische Unterstützung leisten können. Deutschland ist in den vergangenen Jahren konsequent gegen mehrere Akteure und Einrichtungen mit Verbindungen zu Iran oder zur Hisbollah vorgegangen. Das hat Teherans Arbeit hier erschwert. Vielleicht mussten die Iraner im Fall des Manns aus Afghanistan deshalb auf jemanden zurückgreifen, der gar nicht in Deutschland lebt.
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taz: Seit Langem wird in Europa darüber diskutiert, die iranischen Revolutionsgarden (IRGC) als Terrororganisation einzustufen. Wäre es angesichts der jüngsten Ereignisse nicht an der Zeit, diesen Schritt zu gehen?
Levitt: Ja. Ich plädiere schon lange dafür. Die IRGC haben zahlreiche Anschläge in Europa verübt, es gibt also gute Gründe dafür. Und ich denke, dass parallel dazu, nicht stattdessen, Gespräche auf nationaler Ebene geführt werden sollten. Nehmen wir doch den aktuellen Fall des festgenommenen Afghanen: Deutschland sieht sich durch gewisse iranische Aktivitäten so alarmiert, dass es die Auslieferung eines mutmaßlichen Agenten aus Dänemark beantragt hat, der hierzulande Menschen und Einrichtungen ausspioniert haben soll. Allein das sollte mindestens als Anlass für eine ernsthafte Debatte dienen, ob die Revolutionsgarden – und vielleicht auch andere Teile von Irans Auslandsapparat – offiziell als terroristisch einzustufen sind.
taz: Deutschland, Großbritannien, Frankreich und die USA erhöhen den Druck auf Teheran, bis Ende August einem neuen Atomabkommen zuzustimmen. Würde eine Einstufung der Revolutionsgarden als Terrororganisation die Chancen auf ein neues Abkommen nicht erheblich schmälern?
Levitt: Im Gegenteil. Das würde ein Abkommen sogar wahrscheinlicher machen. Iran setzt seine Aktivitäten fort, weil es keine Konsequenzen gibt und westliche Staaten Angst haben, das Kind beim Namen zu nennen. Teheran muss verstehen, dass solch ein Verhalten nicht toleriert wird. Diese Frage sollte völlig separat von der Nuklearfrage betrachtet werden. Man darf sich von Irans zunehmendem Terror im Ausland nicht davon abhalten lassen, parallel auch beim Atomprogramm Druck zu machen – zumal wichtige Fristen näher rücken.
taz: Sie meinen den sogenannten Snapback-Mechanismus, der bald endet. Iran musste nach dem ersten Abkommen von 2015 sein Atomprogramm auf friedliche Nutzung beschränken. Im Gegenzug wurden internationale Sanktionen aufgehoben, können jedoch bei Verstößen durch den Snapback-Mechanismus binnen 30 Tagen wieder aktiviert werden, ohne dass ein Veto möglich ist.
Levitt: Im Oktober läuft die Snapback-Klausel aus, und anschließend übernimmt Russland den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat. Unter russischer Präsidentschaft sind Fortschritte dann kaum zu erwarten.
taz: Was könnten die EU und Deutschland sonst noch tun, um den Druck auf Teheran zu erhöhen?
Levitt: Auf der einen Seite sind unsere Mittel begrenzt. Auf der anderen wurde Irans Atomprogramm jetzt weit zurückgeworfen. Das ist eine enorme Chance. Teheran weiß nun, wie ernst es der Welt ist, und war sehr enttäuscht, dass die deutsche Regierung die Angriffe auf seine Nuklearanlagen so klar unterstützt hat. Das Regime steht innen wie außen unter massivem Druck – und im Oktober droht wie gesagt das Wegfallen des Snapback-Mechanismus. Gleichzeitig haben Länder wie Deutschland und Dänemark gezeigt, dass sie Iran für Anschlagsversuche im Ausland zur Rechenschaft ziehen. All das bietet die Gelegenheit, Teheran unmissverständlich klarzumachen, dass es für solches Verhalten künftig zur Verantwortung gezogen wird und dass es seinen Kurs ändern muss. Die Sicherheitslage hat sich inzwischen gegenüber der von vor einem Jahr – als Israel im Juli 2024 die Hisbollah angriff – um 180 Grad gedreht.
taz: In Deutschland wird über diese Angriffe kontrovers diskutiert; viele Experten halten sie für völkerrechtswidrig. Inwiefern spielt diese Einschätzung aus Ihrer Sicht überhaupt eine Rolle?
Levitt: Wenn ein Staat Erkenntnisse hat, dass ein Regime – das seine Vernichtung schwört und Stellvertreter auf ihn ansetzt – sein Atomprogramm rasant vorantreibt, ist ein Präventivschlag eindeutig durch Selbstverteidigung gedeckt. Im Falle Irans hat die Internationale Atomenergie-Organisation dokumentiert, dass die Menge hoch angereicherten Urans binnen zweieinhalb Monaten fast verdoppelt wurde und das Programm in Richtung Waffenfähigkeit voranschritt. Es kann kein Zweifel bestehen: Dieser Schlag war eine absolute Selbstverteidigungsmaßnahme.
taz: Soweit Sie das beurteilen können: Waren die Angriffe auf Iran und speziell auf sein Atomprogramm im Sinne der Angriffsprävention erfolgreich?
Levitt: Keiner von uns Experten kann die tatsächlichen Schäden vor Ort genau beurteilen. Wer ohne Geheimdienstinformationen absolute Gewissheit vorgibt, ist nicht glaubwürdig. Meiner Einschätzung nach wurde dieses Programm aber um mindestens ein paar Jahre zurückgeworfen, wahrscheinlich noch weiter. Betroffen waren nicht nur Anlagen, sondern auch Personal. Es gibt eine Menge Dinge, die wir nicht wissen. Was wir aber wissen: Das Programm, wie es noch vor wenigen Monaten existierte, existiert nicht mehr. Und die Iraner wissen, dass Israel und die USA bei einem Wiederaufbau erneut zuschlagen würden – und dazu auch in der Lage sind.
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