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Polens Ministerpräsident Morawiecki„Jüdische Täter“ während der NS-Zeit

Im Zusammenhang mit dem neuen polnischen Holocaust-Gesetz spricht Mateuz Morawiecki von „jüdischen Tätern“. Sein israelischer Kollege Benjamin Netanjahu ist empört.

Mateusz Morawiecki auf der 54. Münchner Sicherheitskonferenz Foto: dpa

München afp/dpa/ap | Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat mit einer Äußerung über „jüdische Täter“ in der NS-Zeit für Empörung gesorgt. Morawiecki sagte am Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Zusammenhang mit dem umstrittenen polnischen Holocaust-Gesetz, dass es in der NS-Zeit neben deutschen auch polnische, russische, ukrainische und „jüdische Täter“ gegeben habe. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verurteilte die Bemerkung als „empörend“.

Eine Sprecherin Morawieckis hat derweil versucht, dessen Bemerkung zum Holocaust herunterzuspielen. Sein Vergleich polnischer Kollaborateure mit angeblichen „jüdischen Tätern“ sei eine Einladung zu einer ehrlichen Debatte über die Verbrechen gegen Juden während des Zweiten Weltkriegs, schrieb Joanna Kopcinska am Sonntag.

Netanjahu, der ebenfalls an der Sicherheitskonferenz teilnimmt, bescheinigte Morawiecki hingegen eine „Unfähigkeit, Geschichte zu verstehen“ und ein „mangelndes Gefühl für die Tragödie unseres Volkes“. Er kündigte an, „unverzüglich“ mit seinem polnischen Kollegen über die Äußerung sprechen zu wollen.

Auch der Jüdische Weltkongress (WJC) äußerte sich empört über die „absurde und unverschämte“ Aussage Morawieckis. „Polens Regierungschef hat erschreckende Ignoranz gezeigt mit seiner unverschämten Behauptung, dass sogenannte jüdische Täter zum Teil verantwortlich waren für den Versuch der Nazis, das europäische Judentum auszurotten“, schrieb WJC-Präsident Ronald Lauder in einer in der Nacht zum Sonntag verbreiteten Erklärung. Dies komme einem Versuch der Geschichtsfälschung gleich.

Morawiecki hatte in München das umstrittene Holocaust-Gesetz seines Landes verteidigt. In den vergangenen Jahren sei fälschlicherweise immer wieder von „polnischen“ Konzentrations- und Vernichtungslagern die Rede gewesen, sagte Morawiecki nach seiner Rede auf Nachfrage eines israelischen Journalisten. Diese Gräueltaten auf polnischem Boden seien aber von Nazi-Deutschland organisiert worden.

Da es in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg keinen unabhängigen polnischen Nationalstaat gegeben habe, sei nicht ausreichend deutlich gemacht worden, dass die Judenvernichtung nicht von Polen ausgegangen sei, führte Morawiecki weiter aus. Seine Regierung könne es nicht länger zulassen, „dass die Täter mit den Opfern vermischt werden“.

Der Begriff „polnische Lager“ ist verboten

Das neue Gesetz verbiete es anders als mitunter dargestellt aber nicht, auch über die Mitschuld einzelner Polen am Holocaust zu sprechen. Es werde nicht strafbar sein, „wenn man sagt, es gab auch in Polen Täter“, sagte Morawiecki. „Es gab ja auch jüdische Täter, es gab russische Täter, ukrainische Täter – nicht nur Deutsche.“

Verboten ist auch, die NS-Todeslager im besetzten Polen fälschlicherweise als „polnische Lager“ zu bezeichnen. Es sieht aber auch Geldstrafen und bis zu drei Jahre Gefängnis vor, wenn der „polnischen Nation oder dem polnischen Staat“ eine Mitschuld an den Nazi-Verbrechen gegeben wird. Die nationalkonservative Regierung in Warschau will damit verhindern, dass Polen eine „Kollaboration“ mit den NS-Besatzern vorgeworfen wird.

Die israelische Regierung sieht in dem Gesetz einen Versuch, die individuellen Verbrechen von Polen an Juden im Zweiten Weltkrieg zu verschleiern. Sie befürchtet zudem negative Konsequenzen für Holocaust-Überlebende, die derartige Fälle zur Sprache bringen. Die USA schlossen sich der Kritik aus Israel an.

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4 Kommentare

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  • Zwei Seiten derselben Medaille

     

    Morawiecki in München : "Natürlich wird es nicht strafbar und kriminell sein, wenn man sagt, dass es polnische Täter gab, so wie es jüdische Täter gab, so wie es russische Täter gab, so wie es Ukrainer gab, nicht nur deutsche Täter."

     

    Diese Äußerung Morawieckis ist von ähnlicher Güte wie die auch hierzulande beliebte Klassifizierung von Netanjahu-Kritikern mit jüdischen Wurzeln oder gar israelischem Paß wie Noam Chomsky, Schlomo Sand oder Moshe Zuckermann et al. als „Antisemiten“. Im übrigen ist dem derzeitigen israelischen (Noch)-Regierungschef Benjamin Netanjahu gerade aus deutscher Sicht einschränkungslos zuzustimmen, wenn er sagt: "Hier haben wir ein Problem der Unfähigkeit, Geschichte zu verstehen, sowie fehlendes Gefühl für die Tragödie unseres Volkes." Dies um so mehr, als es seit je zu den Essentials der polnischen Identitätspolitik gehört, unentwegt von aller Welt eben dieses Mitgefühl für die Tragödien des polnischen Volkes einzufordern.

     

    Zur Haltung nicht erst des jetzigen offiziellen Polens in dieser Frage komplementär ist die von Morawiecki („Wir brauchen mehr Kampfpanzer und weniger Denkfabriken“) in München erhobene Forderung nach drastische Aufrüstung der EU gegen Rußland. Antisemitismus und notorische Russophobie waren in Polen schon immer zwei Seiten derselben Medaille.

  • 9G
    97796 (Profil gelöscht)

    Es gab keine Jüdischen Täter. Das ist lächerlich. Sicher haben welche z.B. durch Kollaboration, Verrat oder gar Eintritt in NSDAP versucht ihre eigenen Köpfe und die ihrer Angehörigen zu retten. Ihnen so eine gewollte und wissentliche Mittäterschaft am Holocaust nachweisen zu wollen, ist peinlich.

  • Verlogen sind sie beide. Es ging um Millionen um Menschen. Da werden jüdische Menschen dabei gewesen sein, die dachen, sie könnten ihre Haut retten oder vielleicht ein paar Lebensmittel ergattern, wenn sie kollaborieren und da waren polnische Menschen dabei, die das gleiche meinten. Nach heutigem deutschen Verständnis sind das Mittäter - vor 50 Jahren hat man diese als Mitopfer bezeichnet. So wandelt sich das Rechtsverständnis von den Strafvereitlern hin zu den Nachgeborenen, die die Moral sehr hoch tragen, wenn es sie nicht betrifft.

    Doch weder die paar polnischen noch die paar jüdischen Mittäter haben wirklich etwas zum Holocaust beigetragen. Das war ein durch und durch deutscher Völkermord. Das bestreitet niemand wirklich. Nur sind da zwei im Kindergarten, die sich darum streiten, wessen Weste noch reiner, noch weißer ist und wer von beiden sich noch mehr als Opfer fühlen darf. Vielleicht ist es ein wenig verkappter Antisemitismus, der den Juden ihre exklusive Opferrolle nicht gönnt. Schließlich sind im zweiten Weltkrieg auch etwa 6 Millionen Polen umgebracht worden - davon 3 Millionen polnische Juden. Nur Putin hat da wirklich Größe. Die meisten Toten kamen aus der Sowjetunion - je nach Schätzung zwischen 17 und 27 Millionen. Doch ich höre schon Netanyahu sagen, das wäre nicht vergleichbar. Doch es ist vergleichbar für die Opfer. Sie wurden ermordet. Macht es für die Opfer wirklich einen Unterschied, ob sie auf dem "Schlachtfeld" erschossen wurden, von der deutschen SS standrechtlich erschossen oder aufgehängt wurden oder in Gefangenenlager verhungerten oder gleich vergast wurden? Ich glaube kaume. Wir unterscheiden bei den Tätern und bestrafen die gezielte Vernichtung eines Volkes zu recht schärfer aber lassen den gezielten Angriffskrieg zu unrecht zu häufig unbestraft - weshalb er sich ständig wiederholt.

    • @Velofisch:

      Nein, juristisch gesehen macht sie das nicht zu Mittätern. Vielleicht lesen Sie mal "Theresienstadt" von Wolfgang Benz. Da geht es viel um vermeintliche Mittäter*innenschaft von jüdischen Menschen und wie diese selbst durch das Lagersystem erzwungen wird. Entgegengesetzt zu Ihrer Behauptung hat Hannah Ahrendt diese noch als Mittäter bezeichnet und die heutige Forschung schätzt das anders ein. Im Übrigen bezeichnet Holocaust zunächst mal den Völkermord an vermeintlich jüdischen Menschen und nicht an vermeintlich slawischen Pol*innen. Und ja, aus heutiger Perspektive sind die polnisch-jüdischen Opfer des Holocaust auch Pol*innen oder viele wollen, dass sie so wahrgenommen werden. ABER die polnische Regierung hat sich in den dreißiger Jahren redlich bemüht das nicht so zu sehen und zum Beispiel jüdische Menschen ihrer Staatsbürgerschaft beraubt u.a. Von wegen "exklusive Opferrolle", der Völkermord an den "Slawen" ist ein anderer als der Völkermord an den "Juden". UND natürlich macht es einen Unterschied ob Leute wegen ihrer vermeintlichen Identität vernichtet werden sollen oder wegen ihrer Tätigkeit als Soldat. Diese Metaphysik des Todes (ein Tod ist gleich jeden anderen Todes) führt zu diesen elendigen Vergleichen und Gesetzen wie in Polen.