Polenexperte Missiroli: "Für Europa ein Traum"

Antonio Missiroli ist Politologe und Experte für polnische Außenpolitik beim European Policy Centre. Nach dem Wahlergebnis prophezeit er: "Polen könnte ein zweites Spanien werden"

Jubel nach der Wahl. "Ich bin heute der glücklichste Mensch auf der Welt!", sagt Tusk. Bild: reuters

taz: Herr Missiroli, der klare Sieg der Bürgerplattform hat viele überrascht. Hat die Blockadehaltung gegenüber der EU die PiS Stimmen gekostet?

Antonio Missiroli: Viele Beobachter haben die Linie der Kaczynskis gegenüber der EU als sehr schroff empfunden. Das stimmt sicher für einige symbolische Themen, den Europäischen Tag gegen die Todesstrafe zum Beispiel, den Polen mit seinem Veto verhindert hat. Doch in vielem waren sie in den letzten Monaten viel kompromissbereiter. Sie hatten gemerkt, dass ihre antieuropäische und antideutsche Haltung bei den Wählern nicht gut ankommt. Die Erkenntnis kam wohl nur etwas zu spät.

Antonio Missiroli ist Chefpolitologe und Polenexperte im European Policy Centre (EPC) in Brüssel, einem unabhängigen Thinktank, der sich der europäischen Integration verschrieben hat.

Viele Kommentatoren sprechen von einem neuen Kapitel in den polnisch-europäischen Beziehungen.

Die polnisch-europäischen Beziehungen fangen jetzt erst richtig an. Als Polen im Mai 2004 der Union beitrat, war die sozialistische Regierung im Niedergang begriffen, hatte das Vertrauen der Wähler verloren. Dieses Vakuum füllten die Kaczynskis und sorgten zwei Jahre lang für sehr komplizierte Beziehungen zwischen Warschau und Brüssel.

Die EU und die deutsche Ratspräsidentschaft sind sehr gelassen mit den Provokationen aus Warschau umgegangen. Hat das geholfen, die Episode Kaczynski abzukürzen?

Beim EU-Russland-Gipfel in Samara hat Kanzlerin Merkel sehr engagiert die Interessen der osteuropäischen neuen Mitgliedsländer vertreten, das ist in Polen positiv aufgenommen worden. Beim nächsten Russlandgipfel muss der russische Importstopp für polnisches Fleisch aus der Welt geschafft werden, ohne Polemik, auf rein fachpolitischer Ebene. Hilfreich wäre, wenn die polnische Regierung die Entscheidung über das US-Raketenabwehrsystem vertagen würde. Tusk hat im Fernsehduell mit Kaczynski schon angedeutet, dass er die Beziehungen zu Russland verbessern will. Dann wäre Tschechien in dieser Frage isoliert. Im Gegenzug könnte die EU hoffen, dass Russland ein Autonomie-Statut für den Kosovo toleriert.

Welche Rolle könnte Polen künftig in der EU spielen?

Es könnte ein zweites Spanien werden. Schon jetzt stellt niemand infrage, dass Polen zu den sechs großen Mitgliedsländern gehört. Wenn Warschau künftig proeuropäisch agieren würde, könnte es in der EU noch mehr Einfluss haben. Tusk, der ja fließend Deutsch spricht, wird das Weimarer Dreieck zwischen Deutschland, Frankreich und Polen stärken und die gemeinsamen Interessen der zentraleuropäischen Länder besser zur Geltung zu bringen versuchen.

Spanien hat Solana. Wen kann Polen in Europa platzieren?

Polen hat so schwierige Zeiten hinter sich gebracht, dass kein Politiker in Sicht ist, der überall in der EU einen guten Ruf genießt - außer Bronislaw Geremek, aber der ist zu alt. Alexander Kwasniewski war schon als Nato-Generalsekretär im Gespräch und wäre auch für andere Aufgaben geeignet. Sein Problem ist, dass er sich nach der Regierungsbildung vielleicht in der Opposition wiederfinden wird.

Sind es die jungen, gut ausgebildeten, im Ausland lebenden Polen, die diese Wahl entschieden haben?

In meinem polnischen Bekanntenkreis in Brüssel gibt es niemanden, der für die Kaczynskis gestimmt hätte. Was auch zeigt, dass die junge Generation in ihren Werten und ihrem Lebensstil anderen jungen Europäern näher ist als die alten Konservativen. Tusk hat die jungen Emigranten aufgefordert, nach Hause zu kommen und Polens Weg in Europa mit zu gestalten. Für Europa ist das Wahlergebnis ein Traum, ganz klar.

INTERVIEW: DANIELA WEINGÄRTNER

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