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■ Polen und seine Stasi-Geschichte – eine mühsame AufarbeitungFreiheitshelden von gestern

Die DDR-Vergangenheitsbewältigung in Deutschland erschien den Polen stets als der reine Horror. Sie ließen nur privilegierte Politiker in die Archive. Falsche Anschuldigungen über Stasi-Mitarbeit, Lügen, Verrat, aber auch enttäuschende Wahrheiten über Freunde und Verwandte – das wollte man sich ersparen. Doch eine Demokratie lässt sich nicht auf Schweigen aufbauen. Mit der Zeit merkte die Gesellschaft, dass sie sich auf Fließsand bewegte. Ministerpräsisident Józef Oleksy erwischte es als Ersten: Er musste 1996 wegen Verdachts auf Hochverrat zurücktreten, da er seine KGB-Freundschaften aus alten Tagen auch nach der politischen Wende von 1989 weiter gepflegt hatte.

In der Folge tauchten ständig neue angebliche oder tatsächliche Agenten und Stasi-Mitarbeiter auf. Im Land breitete sich eine Stimmung gärenden Misstrauens aus. Niemand konnte mehr sicher sein, wem er noch glauben konnte und wem nicht. Besonders in der Politik war die Frage: Warum sollte man dem Abgeordneten, der gewählt werden wollte, wirklich trauen?

Erst Ende 1998 hat Polen als letztes mittelosteuropäisches Reformland ein so genanntes Lustrationsgesetz verabschiedet. Der Staatspräsident, der Premier, die Minister und Abgeordneten, Richter und Staatsanwälte müssen Auskunft über ihre Vergangenheit geben. Doch die von der konservativen Wahlaktion Solidarnosc (AWS) erwartete Breitseite gegen die Postkommunisten blieb aus. Stattdessen musste ein Solidarnosc-Mann nach dem anderen bekennen, dass er als U-Boot mitgefahren war. Jetzt hat es den Oberbürgermeister von Stettin, Marian Jurczyk, getroffen. Der ehemalige Schweißer von der Stettiner Werft genoss bis Dienstag den Ruf eines legendären Freiheitshelden. Seine Parole zu den Senatswahlen, „Nur er hat sich nicht verkauft“, haben ihm alle abgenommen, Jurczyk war für die Stettiner trotz manch rechtsradikaler Ausfälle „einer von uns.“ Anders als Lech Walesa, der auf den Listen der Stasi als „Bolek“ geführt wurde, hatte sich Jurczyk nie zu einer Unterschrift bekannt.

Eigentlich sollte das Lustrationsgesetz das Vertrauen in die Demokratie stärken und die Aufarbeitung der vergangenen fünfzig Jahre in geordnete Bahnen lenken. Doch da die Begründungen der Urteile nicht veröffentlicht werden, erfährt die Gesellschaft nicht, wer für was verurteilt wurde, wer tatsächlich ein Verräter war, wer nur ein kleiner Mitläufer. So bleibt das Misstrauen. Gabriele Lesser

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