Polen übernimmt EU-Ratspräsidentschaft: Sicherheit als Leitthema
Premierminister Donald Tusk strebt nach militärischer Sicherheit durch Aufrüstung. Die dafür nötige Neuverschuldung stößt in der EU auf Widerstand.
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An zweiter Stelle soll die europäische Energiesicherheit stehen, die zwar den Klimawandel berücksichtigen, dabei aber die Kosten der Strom- und Wärmegestellung stärker gewichten soll. An dritter Stelle soll die Sicherheit des Wirtschaftsstandorts EU stehen, die Tusk durch die Stärkung der Marktkonkurrenz von EU-Produkten insbesondere gegenüber Nicht-EU-Staaten gewährleisten will.
Anders als der ungarische Premier Viktor Orban wird Tusk die EU nicht mit eigenwilligen „Friedensmissionen“ und überraschenden Besuchen bei den Machthabern Russlands und Chinas irritieren. Aber schon seine Idee einer EU-Neuverschuldung, um die Aufrüstung an der Ostgrenze von Nato und EU zu finanzieren, stößt in nicht wenigen Mitgliedsstaaten auf Widerstand.
Polen will Asylrecht begrenzt aufheben können
Schwierig wird es auch bei der Asyl- und Migrationspolitik: Polen will den in der EU mühsam ausgehandelten Migrationspakt nicht mittragen und sogar das Asylrecht per Dekret „zeitlich und räumlich begrenzt“ aufheben können. Auch beim gerade erst ausgehandelten EU-Mercosur-Freihandelsabkommen mit lateinamerikanischen Staaten stellt sich Polen quer.
Tusk vertritt öffentlich die Position der polnischen Geflügelzüchter, die befürchten, ihre dominierende Rolle als größte Geflügelexporteure in der EU zu verlieren, sollte demnächst mehr Geflügel aus Lateinamerika in die EU importiert werden. Auf seiner Seite weiß der polnische Premier den Präsidenten Frankreichs, Emmanuel Macron, der ebenfalls Nachverhandlungen fordert.
Die französischen Rinderzüchter fürchten einen erheblichen Gewinneinbruch in der Hochpreis-Qualitätsklasse, sollten demnächst mehr argentinische Rindersteaks in den Kühlregalen der EU landen. Tusk wird das Abkommen zwar kaum verhindern können, doch bis zu dessen endgültiger Ratifizierung durch alle 27 Mitgliedsstaaten kann er das ganze Procedere noch erheblich verlangsamen,
Vorbereitet sein auf außenpolitische Turbulenzen
Anders als 2011, als Polen nach nur sieben Jahren Mitgliedschaft in der EU sehr viel Geld in die Vorbereitung der ersten polnischen EU-Ratspräsidentschaft steckte und alle Gipfel und Konferenzen minutiös plante, ist die Situation Anfang 2025 eine völlig andere. Polens Spitzenpolitiker und –beamten konnten in den letzten Jahren viel Erfahrung sammeln.
Donald Tusk war sogar von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rates und gilt seitdem als einer der weltweit am besten vernetzten Politiker. Gelernt haben alle, dass eine gute Vorbereitung der EU-Gipfel zwar die halbe Miete ist, aber außenpolitische Turbulenzen das ganze Programm umwerfen können. Dann zählen vor allem starke Nerven und Improvisationstalent.
Realistisch stellt sich Polen daher auf schwierige Zeiten ein: der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine geht ins vierte Jahr, in den USA droht der wiedergewählte republikanische Präsident Donald Trump mit einem schnellen Diktatfrieden gegen die Ukraine und will selbst einen Zollkrieg gegen China und die EU ausrufen.
Niemand kann zur Zeit vorhersehen, was für Folgen dies für die Sicherheit Europas und insbesondere der EU- und Nato-Frontstaaten im Osten für Folgen haben wird. Zudem schwächeln die beiden großen EU-Staaten Deutschland und Frankreich politisch und können derzeit ihre Führungsrolle nicht wahrnehmen.
Dies ist für Polen sowohl eine Chance als auch eine Herausforderung. Sollte Präsident Trump die Ukraine tatsächlich Putin überlassen, wäre das nicht nur fatal für die Ukraine, sondern auch brandgefährlich für Polen und die ganze EU. Immerhin könnte hier Polens Noch-Präsident Andrzej Duda – im Mai 2025 wird sein Nachfolger gewählt – all seinen Einfluss bei seinem „guten Freund Donald Trump“ geltend machen.
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