: Pokerspieler Holbrooke
■ Bosnien-Herzegowina kann nun doch wählen
Der politische Spagat ist geglückt. Serbenführer Karadžić tritt von allen Ämtern zurück und verschwindet aus der Öffentlichkeit. Die Wahlen in Bosnien können stattfinden. Die Serbische Demokratische Partei wird zugelassen. Ein Grund zum Boykott besteht nicht mehr. Dies ist das Verdienst der USA. Richard Holbrooke hat nicht nur das Dayton-Abkommen unter Dach und Fach gebracht. Er hat jetzt auch dafür gesorgt, daß der Aufbau eines Gesamtstaates Bosnien-Herzegowina nicht schon an der ersten Hürde scheitert. Er hat Serbiens Präsident Milošević die Pistole auf die Brust gesetzt. Und das nächtliche Pokerspiel gewonnen. Die Europäer dagegen konnten sich in dieser Woche nicht einmal auf ein gemeinsames Vorgehen gegen Karadžić einigen. Peinlich.
Der Dayton-Prozeß ist noch einmal gerettet worden. Aber um welchen Preis? Offensichtlich ist, daß die US- Administration in Bosnien nur tätig wird, wenn und soweit dies innenpolitisch opportun erscheint. Außenpolitische Turbulenzen verbietet der Präsidentschaftswahlkampf. Die Konsequenz: Nicht die uneingeschränkte Einhaltung des Dayton-Abkommens durch Milošević und die bosnischen Serben war Holbrookes Mission, sondern schlicht: Absicherung der bosnischen Wahlen. Der Spielraum für Holbrookes wie für Miloševićs Manövrierfähigkeit war gesetzt. Und der Preis auch: Karadžić bleibt auf freiem Fuß. Und der mutmaßliche Schlächter von Srebrenica, General Ratko Mladić, darf weiterhin amtieren und sein Gehalt aus Belgrad kassieren. Milošević aber wahrt das Gesicht und die Macht.
Die zweite Garde der bosnischen Serben übernimmt jetzt das Ruder. Sie wird weiter gegen das Dayton-Abkommen streiten. Und das in Absprache mit Karadžić. Ihr politisches Rückgrat ist angeknackst, gebrochen ist es nicht.
Deshalb muß der UN-Sicherheitsrat jetzt nachhaken und der Ifor das offizielle Mandat zur Festnahme der mutmaßlichen Kriegsverbrecher erteilen, auch wenn die Ifor einen solchen Auftrag nicht vor dem bosnischen Wahltermin ausführen wird. Noch haben die Überlebenden von Srebrenica keinen Grund, Holbrooke zu danken. Es ist bloßer Zufall, daß politische Opportunität und das Verlangen nach Gerechtigkeit einander so nahe kommen wie im Falle Karadžić. Georg Baltissen
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