: Poesie und Revolte
Heilige, die Seifenopern sehen: Die 11. Lateinamerika-Filmtage im 3001 setzen einen argentinischen Schwerpunkt ■ Isabel Gentsch
Was wäre das lateinamerikanische Kino ohne Koryphäen wie die argentinischen Regisseure Eliseo Subiela und Adolfo Aristarain? Natürlich ist Subiela, dessen letzter Film Stirb nicht ohne mir zu sagen, wohin du gehst kürzlich in Hamburg anlief, mit seinem neuen Filmgedicht Pequenos Milagros (Kleine Wunder) auf den elften Lateinamerika-Filmtagen im 3001-Kino ebenso vertreten wie Aristarains Vater-Sohn-Melodram Martin Hache (Martin Junior). Dass die Veranstalter für den Eröffnungsfilm am 11. November eine eigenwillige Komödie der ers-ten überregional bekannten indigenen Theatergruppe Mexikos gewählt haben, macht einmal mehr deutlich, dass die Filmkultur Lateinamerikas vielfältiger ist als das, was wir hierzulande zu sehen kriegen.
Komödien sind da eher untypisch: In dem mexikanischen Lustspiel Santo Luzbel (Heiliger Luzifer) will die Urbevölkerung eines kleinen Dorfes bei einem religiösen Fest Luzifer als Heiligen preisen. In den Augen des verantwortlichen Geistlichen ist das pure Blasphemie, die verhindert werden muss. Bunt, folkloristisch und seltsam abstrus schildert Regisseur Miguel Sabido den Konflikt zwischen indigener Religionsausübung und erstarrtem Christentum. Wenn die heiligen Figuren als verhätschelte Spielzeugpuppen vor dem Fernseher aufgereiht werden, um sich bei mexikanischen Seifenopern in der Kirche die Zeit zu vertreiben, gleich darauf jedoch als strafende Göttermächte erscheinen, denen Respekt gezollt werden muss, dann schwankt dieser Film merkwürdig zwischen Komik und einer dem lateinamerikanischen Kino eigenen Mystik.
Magische Traumwelten, Liebe und die Suche nach Identität sind Motive, die mit dem südamerikanischen Film eng verknüpft sind und die auch in Eliseo Subielas Peque-nos Milagros erneut thematisiert werden. Die hilfsbereite, allzu verträumte Rosalía glaubt, eine gute Fee zu sein. Mit kleinen Wundern gelingt es ihr, die Menschen um sie herum glücklich zu machen. Doch bringt ihr diese selbstlose Aufopferung eigene Zufriedenheit? Subielas Filme sind poetische Kunstwerke, die den Zuschauern andere Welten eröffnen. Im Gegensatz zu dieser lyrischen Herangehensweise setzt sich Adolfo Aristarain mit der argentinischen Gegenwart auf völlig unverblümte Art und Weise auseinander. In altbewährter Zusammenarbeit mit den Schauspielern Federico Luppi und Cecilia Roth ist ihm mit Martin Hache ein glaubwürdiges Beziehungsdrama gelungen. Martins gefühlsunfähiger, desillusionierter Vater fühlt sich seiner Vergangenheit durch die argentinische Militärdiktatur beraubt und verweigert seinem 19-jährigen Sohn jeglichen emotionalen Zugang. Die Spannung zwischen Emotion und Rationalität entlädt sich in einer Katastrophe.
Unter den 14 Filmen, die im Laufe der zwei Wochen gezeigt werden, sind wie auch bei vorangegangenen Lateinamerika-Filmtagen wieder eine Reihe von Dokumentarfilmen. Zentrales Thema ist der Kampf um Land und Freiheit der verbliebenen indigenen Kulturen Mexikos, Brasiliens, Chiles und Kolumbiens. Las madres de Plaza de Mayo (Die Mütter des Plaza de Mayo) dagegen ist ein Beitrag zur argentinischen Vergangenheitsbewälti-gung. Während der Militärdiktatur versammelte sich eine Gruppe von Müttern auf dem Platz vor dem Präsidentenpalast, um gegen das Verschwinden ihrer Kinder zu protestieren.
Vielversprechend ist noch der im Großstadtdschungel von Buenos Aires angesiedelte Gangfilm Pizza, birra y faso (Pizza, Bier und Kippe), in dem sich eine an den Rand der Gesellschaft gedrängte jugendliche Straßenbande im kriminellen Milieu eine eigene Form gemeinschaftlicher Solidarität erhält. Dieser Film beendet die Filmtage. Argentinien bildet somit mit vier Filmen dieses Mal einen Schwerpunkt. Neben dem Kampf um Land und Freiheit allerdings, der im Kino wie in der Realität Grenzen zu überschreiten vermag. Santo Luzbel: Do, 11.+ Sa, 13. + Mi, 17.11., jeweils 20 Uhr Peque-nos Milagros: So, 14. + Di, 16., jeweils 20 Uhr + Do, 18., 22.30 Martin Hache: Fr, 12. + Mo, 15.11., jeweils 20 Uhr + Sa, 13.11., 22.3 Pizza, birra y faso: Di, 23. + Mi, 24.11., jeweils 20 Uhr Las madres de Plaza de Mayo: Mo, 22., 20 Uhr, alle 3001
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