Playoff-Überraschung in der NFL: Irres Comeback
Trotz aussichtsloser Lage drehen die Football-Profis der Kansas City Chiefs die Partie gegen die Houston Texans und stehen nun im Playoff-Halbfinale.
E s ist zu bezweifeln, dass irgendeiner der 75.503 Zuschauer im Arrowhead Stadium zu Kansas City jemals etwas gehört hat vom Krefelder Stadtteil Uerdingen. Geschweige denn vom dort 1953 gegründeten Fußballverein oder gar von dessen Aufholjagd im März 1986. Doch das legendäre 7:3 im Europapokal der Pokalsieger gegen Dynamo Dresden, als Bayer Uerdingen ein 0:2 aus dem Rückspiel und ein 1:3 zur Pause doch noch drehte, hatte einen vergleichbar irren Spielverlauf wie der Erfolg der Kansas City Chiefs gegen die Houston Texans.
Nun gibt es in den Playoffs der National Football League (NFL) kein Hin- und Rückspiel, aber die Chiefs lieferten gleich zu Beginn dieser Viertelfinalbegegnung eine dermaßen schlimme Pannenshow ab, als sei es ihre Absicht, sich möglichst schnell in eine möglichst aussichtslose Lage zu befördern. Da wurden gleich mehrere einfache Pässe nicht gefangen. Anfängerhafte Missverständnisse in der Verteidigung führten dazu, dass gegnerische Spieler unbehelligt in die Endzone spazieren durften.
Groteske Ballverluste führten direkt zu gegnerischen Touchdowns. Ein slapstickhafter Fehler reihte sich an den nächsten, und die Fans im Stadion hatten noch nicht einmal ihr erstes Bier verdaut, da stand es schon 0:24, und über Arrowhead, sonst eines der lautesten Stadien der NFL, in dem einmal mehr als 140 Dezibel gemessen wurden, hatte sich eine geisterhafte Ruhe gelegt. Das Spiel war eigentlich vorbei.
Aber: So konnte es nicht weitergehen. Schlimmer konnte es nicht werden. Mit solchen Weisheiten hielten sich die Chiefs an der Seitenlinie bei Laune. Oder, wie es Kansas-City-Chefcoach Andy Reid ausdrückte, der dank beachtlicher Leibesfülle und altväterlichem Schnurrbart stets eine bärige Ruhe ausstrahlt: „Ich habe den Jungs nur gesagt: Das seid nicht ihr, kommt runter, entspannt euch! Neu konzentrieren und dann geht’s los! So einfach ist es manchmal.“
Und wie es losging. Plötzlich gelang Kansas City alles und Houston nichts mehr. Die Chiefs erzielten Touchdown um Touchdown, drei davon fing allein Tightend Travis Kelce, der zuvor noch simple Pässe fallen gelassen hatte. Schon zur Halbzeit führte Kansas City 28:24 und das Stadion kochte trotz Minusgraden. Nach der Pause ging es so weiter und am Ende standen ein 51:31-Erfolg, ein Haufen neuer Rekorde und ein Platz im Halbfinale am Sonntag gegen die Tennessee Titans.
Wie im Drehbuch
Aber was gerade passiert war in Kansas City, das hatten nach dem Spiel weder die Sieger noch die Verlierer begriffen. „Freakig“ fand Reid die Vorkommnisse. „Das Spiel begann, als hätten wir das Drehbuch dafür geschrieben“, sagte J. J. Watt, der Defensiv-Star der Texans, „aber dann fiel alles auseinander.“ Seinem Cheftrainer Bill O’Brien fiel auch kaum mehr ein als: „Keine Führung ist sicher gegen diese Mannschaft.“
Tatsächlich: So explosiv wie die Offense von Kansas City um Quarterback Patrick Mahomes ist sonst keine andere Angriffsreihe in der NFL. „Wir haben das Selbstvertrauen, jedes Mal zu punkten, wenn wir das Spielfeld betreten“, erklärte Passempfänger Tyreek Hill nach dem Spiel.
Und der 24-jährige Mahomes, trotz seines zarten Alters im vergangenen Jahr zum besten Spieler der NFL gewählt, hatte seine Mitspieler noch während des desaströsen Beginn gegen Houston mit einem unerschütterlichen Selbstvertrauen wiederaufgebaut: „Ich habe ihnen einfach gesagt: Lasst uns etwas Außergewöhnliches machen!“ Mindestens so außergewöhnlich wie das Uerdinger Comeback vor 34 Jahren.
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