: Platzanweisung fürs Pantheon
■ Eine Antwort auf Robert Hughes‘ „Kunst und Geld“ in der taz vom 21.3.1989
Ausgiebig kritisiert Robert Hughes Praktiken und Wirkungen des Kunstmarktes. Wie sein Text selbst zeigt, irrt er sich, wenn er allein den Markt für die Verwandlung der „Kunstwerke in passive (?) Fiktionen der Ewigkeit und Unwandelbarkeit transzendenter Werte...“ verantwortlich macht.
Dem arbeitet eine Kunstgeschichte zu, der der Verfasser sich in diesem Text als zutiefst verpflichtet erweist. Neben der nach außen gewendeten kritischen Haltung existiert ein erstaunlich affirmativer Subtext, der zusammengefaßt etwa folgendermaßen lautet: Es herrscht eine „Konfusion von Preis und Wert“. „Im großen und ganzen ist historische Kunst wertvoller als zeitgenössische Kunst, und zeitgenössische Kunst ist überbewertet.“
Es gibt zu viele „Kunstprofessionals“, zu viele Sammler, die keine Ahnung von der „Realität der Kunstgeschichte“ haben, von dem „unermüdlichen Tribunal der Toten“, von dem jedes Kunstwerk erst den Rang, ein solches zu sein, zugesprochen bekomme, unter Beihilfe des Kunsthistorikers, wie hier mit Notwendigkeit ergänzt werden muß, der die Kunst der „leidenschaftslosen Bewertung“ erlernt hat. Wie nun erwirbt man diese Fähigkeit, die Voraussetzung für die mediumistische Tätigkeit am Tribunal der Toten? Sie ist schlechterdings nicht mehr zu haben, wenn man sie durch die glückliche Fügung, rechtzeitig geboren zu sein, nicht als historisches Privileg erhalten hat. Der Autor hat das Glück gehabt, unkorrumpiert vom expandierenden Markt seine „kunsthistorische Grundausbildung im leeren Museum“ erhalten zu haben. „Vor 25 Jahren war es leichter, Kunstwerke in ihrer wahren Qualität zu beurteilen“, und wer wagte zu bezweifeln, daß das die Aufgabe des Kunsthistorikers par excellence ist?
Hier ist der vermeintlich gesicherte Boden einer larmoyanten Kulturkritik, von dem her auch noch schnell ein Ausfall gemacht wird, der in wünschenswerter Deutlichkeit vorführt, mit welchen Mustern patriarchaler Kunstgeschichte Ruhm gestiftet wird.
Von der Bastion objektiver Kennerschaft macht Hughes einen Ausfall für den Künstler Frank Auerbach, der schon allein wegen der Langsamkeit, mit der er produziert, auf dem Markt nicht konkurrieren kann. Das allein setzt ihn schon ab gegen die Massen, die den Nachschubgierigen, ja unersättlichen Kunstmarkt versorgen und für den allgemeinen Qualitätsverfall mit verantwortlich sind. Was erfahren wir sonst noch über Auerbach? Daß er der „unvergleichlich beste, intensivste, selbstkritischste Künstler ist, ein ebenso guter Maler wie Giacometti als Bildhauer...“
Nicht viel also, aber einiges über Herrn Hughes. Er schätzt Giacometti, allerdings weniger seine Bilder und Zeichnungen, sondern seine Skulpturen. Da Skulpturen schlecht mit Gemälden verglichen werden können, Giacometti aber die eine Seite des Vergleichs bilden soll, ist es die Künstlerschaft, ihr Rang, die das Tertium des Vergleichs abgibt.
Hughes ist ihr Künder. Da er aber bestimmt, mit wem Auerbach verglichen wird (warum nicht mit Michelangelo oder Meret Oppenheim?), wird er zu einer wichtigen Figur. Die Spiegelachse des Vergleichs zwischen dem entdeckten und unentdeckten Genie verläuft durch Herrn Hughes, als Kenner ist er befugt, die Platzreservierung im Pantheon via Giacometti vorzunehmen. Seine Kennerschaft weist er en passant damit aus, daß er das bildhauerische Werk Giacomettis ausdrücklich über das Übrige stellt und uns keinen Augenblick darüber im Zweifel läßt, daß seine bildnerische Arbeit kein Qualitätskriterium abgibt, schon gar nicht für einen Auerbach. Hier geht es um die wahren Werte. An der Kunstmarktbörse herrscht Schwindel. Da Herrn Hughes die Rolle als Künder zu gering zu sein scheint, schwingt er sich gleich auf zum Propheten, der erst durch die Prophezeiung einer Apokalypse die rechten Weihen erhält, aber auch durch die Ankündigung des nachfolgenden Reichs der Gerechtigkeit. Seine Vision bezieht sich auf den - immer noch nicht erfolgten - Zusammenbruch des Kunstmarktes (eine wünschenswerte Katastrophe). Danach aber bricht die Zeit der Notierung der wahren Werte an. Einige werden bestehen, „weil es genug Reputationen gibt (Woher bekommen Kunst und Künstler sie? Von Kunsthistorikern und Kennern?), hinter denen eine gerechtfertigte Solidität steht, die es ihnen ermöglichen wird, solche Schicksalsschläge zu überleben. Na bitte.
Das linke Mäntelchen ist doch sehr kurz. Ich rechne Herrn Hughes dem nicht mehr ganz neuen juste milieu zu, das zwar einen kritischen Gestus zur Schau stellt, aber eigene Positionen nicht einmal ansatzweise in den behaupteten kritischen Blick bekommt. Es ist schon erstaunlich, wie absolut blind er gegenüber den normativen Setzungen seines Fachs ist. Hier werden wieder die Mythen von verkannten Genies und dem durch „leidenschaftslose Bewertung“ ermittelten Meisterwerk aufgetischt, mit denen die Kunstgeschichte ein Wertesystem etabliert hat, das der Markt nun ein bißchen cleverer und zeitgemäßer bedient. Mit seiner Nomenklatur bleibt dem Kunsthistoriker nichts anderes übrig als die Vermehrung der Kunstwerke, Künstler und Kunstbewerter/vermittler zu beklagen. Es gibt nicht nur mehr Leute, die sich für Kunst interessieren, vielleicht könnten sie auch für etwas anderes interessiert werden. Kunstwissenschaftlerinnen (sie haben einen erheblichen Anteil an der deflationär wirkenden Überbevölkerung im Kunstsektor) haben angefangen, die mediumistischen Botschaften abzuhören, die die Herren der Kunstgeschichte offenbar vom Tribunal der Toten bekommen, sie interessieren sich dafür, warum das offenbar nur in männlicher Stimmlage zu geschehen scheint und wer da eigentlich spricht. Interessanter als das Evaluationsverfahren für die Aufnahme ins Pantheon ist es deswegen, weil es deren Vorausetzungen analysiert. Herrn Hughes‘ „wahre Werte“ sind weit willkürlicher, als er glauben machen will, und der Markt weit weniger irrational. Nicht die Überschwemmungen sind das Interessante sondern die Filtersysteme. Wie verlaufen Ausgrenzungen? Welche Hierarchien werden etabliert? Welche Funktion hat der Originalitätsbegriff? Um seine ideologiekritisch verstaubten Positionen etwas aufzubürsten, sei dem Autor dringend Griselda Pollocks Vision and difference (London 1988) empfohlen, und falls er immer noch unter dem „Gefühl“ „innovatorischen Dahintreibens“ der Kunst leidet Rosalind Krauss‘ Orginality of the Avantgarde and other modernist myths (London und Cambridge 1986).
Ines Lindner
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