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Plattdeutscher Barbiergesang

■ In der Glocke fand an diesem Wochenende der 5. Deutsche Barbershop-Wettbewerb statt. Ein Festivalbericht

Wussten Sie, dass am Wochenende in Bremen um eine Deutsche Meisterschaft gekämpft wurde? A-cappella-Gesang im traditionellen US-amerikanischen Barbershop-Stil ist offensichtlich nicht nur eine neue, noch im Verborgenen blühende Subkultur, sondern dazu auch noch eine Sportart. Zehn Quartette und neun Chöre rangen mit möglichst komplizierten Harmoniefolgen und komischen Bühnenpräsentationen um die Titel, und so wurden schließlich „Take Four“ aus Kiel als das „Goldquartett“ und „Ladies First“ als der beste deutsche Friseurladen-Chor bewertet.

Diese genauen Regeln folgende Form des unbegleiteten Gesangs entstand zum Ende des 19. Jahrhunderts in US-amerikanischen Kleinstädten, wo die Friseure ihren Kunden das Warten mit etwas Gesang versüßten. Ein Quartett mit Tenor, Leadtenor, Bariton und Bass sangen Jazz, Gospel, Spirituals und die gerade gängigen Gassenhauer. Bei uns haben die „Comedian Harmonists“ später nicht nur ihren Singstil, sondern auch ihre komödiantische Bühnenshow von diesen Kleinstadtvergnügungen übernommen.

Als sich das Ganze Mitte dieses Jahrhunderts in den USA zu einem Volkssport mit alljährlichen „contests“ in Sportstadien und inzwischen über 40.000 Vereinsmitgliedern entwickelte, kamen auch Chöre in Mode. In den prüden USA ist natürlich alles streng nach den Geschlechtern getrennt, und das Festival in Bremen entsprach schon deshalb nicht ganz dem Regelwerk, weil hier Männer und Frauen zwar nicht zusammen, aber immerhin in der gleichen Veranstaltung gegeneinander antraten.

Man erkennt schnell, warum diese neue Art von „Gesangsvereinen“ bei uns langsam den urdeutschen Chören das Wasser abgraben. Denn hier haben die sangesfrohen Mitglieder die Möglichkeit, statt „Am Brunnen vor dem Tore“ etwas zeitgemäßere Lieder wie „Proud Mary“ oder „Blue Moon“ zu singen, und sie müssen auch nicht die ganze Zeit steif und wie gebannt vor ihrem Dirigenten stehen wie die Hühner vor dem Fuchs. Nicht nur „Sangeskunst“, sondern auch „Entertainment“ sind hier gefordert, und so war die drei Tage währende Veranstaltung in Bremen (mit „Quartett-Wettbewerb“, „Chor-Wettbewerb“, „Show der Champions“ und „Matinée“) zum Teil erstaunlich unterhaltsam und gar nicht vereinsmeierisch.

Da sah man Chöre in komischen Choreographien über die Bühne wackeln, da verbarberisierte das Kieler Siegerquartett ausgerechnet plattdeutsches Liedgut, da wurden viele Stücke aus dem amerikanschen Songbook von Cole Porter bis Elvis Presley sehr kunstvoll und mit offensichtlicher Freude in oft verteufelt schwierigen Harmoniesätzen vorgeführt. Hier waren Amateure im besten Sinne des Wortes am Werk, also Liebhaber der Kunst.

Barbershop ist eine ausgewachsene Subkultur mit festen Ritualen, Fach-Terminologie („Mike-Warmer“, „Mike-Cooler“, „Afterglow“), initiierten und lautstark applaudierenden Fans, die inzwischen in Bremen solche Ableger wie den Show-Chor „Singsation e.V.“, den Frauenchor „Sugar 'n' Spice“ und das Damen-Quartett „By Heart“ hat.

Wie groß die Gegensätze innerhalb des scheinbar so formalistischen Barbershop-Gesangs sein können (viele Lieder dürfen nur nach festgesetzten Arrangements gesungen werden, die SängerInnen haben sich genau an die Hierarchie der verschiedenen Stimmen zu halten), bewiesen die beiden Formationen, die bei der Show der Champions den „local talents“ zeigten, wie hoch der internationale Standard ist: Das Quartett „Fred“ (die amtierenden „Worldchampions“) zeigte eine so ausgefeilt witzige Clownsnummer, die bei jeder Revue oder Fernsehshow einen komischen Höhepunkt gesetzt hätte.

Der englische Frauenchor „Chesire Chord Company“ wirkte dagegen eher steif und konservativ: Die 70 Damen in sehr britisch wirkenden Abendroben sangen besonders ambitionierte Arrangements von englischen Top-Ten-Hits, bombas-tischen Musicalsongs und romantischen Evergreens. Offensichtlich gibt es in Großbritannien schon eine längere Tradition des Barbershop-Singens. Und offensichtlich ist dort die Aufbruchsstimmung, die man allen deutschen Formationen anmerkte, schon längst verflogen. Hoffentlich nehmen diese sich eher „Fred“ als den „CCC-Chor“ zum Vorbild.

Wilfried Hippen

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