Plagiatsvorwurf gegen Jungautorin: Hegemann verteidigt sich
Die gefeierte Jungautorin Helene Hegemann soll für ihren Roman "Axolotl Roadkill" aus einem Blog abgeschrieben haben. Sie selbst spricht vom "Recht auf Kopie".
![](https://taz.de/picture/322031/14/hegemann_02.jpg)
Mit dem Erscheinen ihres Debütromans "Axolotl Roadkill" gilt die 17-jährige Helene Hegemann als literarisches Wunderkind. Die Exzesse der jungen Schulschwänzerin Mifti, Ende Januar bei Ullstein erschienen, wurden rasch zum Bestseller und von Kritikern als "Coming-of-age-Roman der Nullerjahre" gehandelt.
Doch nun sind Plagiatsvorwürfe gegen Hegemann aufgetaucht: Für ihre authentischen Drogenschilderungen aus dem Berliner Nachtleben soll sie sich großzügig aus den Texten des Bloggers Airen bedient haben. Der 1981 geborene Wirtschaftswissenschaftler und Technofan schreibt seit 2004 unter airen.wordpress.com Texte über das Berliner Nachtleben. Im Jahr 2009 erschien im kleinen Sukultur-Verlag sein Buch "Strobo". Der Blogger Deef Pirmasens listete jetzt auf der Seite gefuehlskonserve.de detailliert einige Textstellen auf, die beweisen sollen, wie dicht Textpassagen aus "Axolotl Roadkill" bei Airens Texten liegen und nachempfunden sind.
Er finde es grundsätzlich legitim, dass sich AutorInnen von anderen inspirieren ließen, sagt Pirmasens. Bei Hegemann nehme die Inspiration aber "Copy-Paste-mäßige Züge" an. Tatsächlich ist die Ähnlichkeit zwischen beiden Texten an einigen Stellen frappierend. "Ich habe Fieber, Koordinationsschwierigkeiten, ein Promille im überhitzten Blut …" heißt es bei Hegemann. Bei Airen: "Ich habe ein Grad Fieber sowie ein knappes Promill Alkohol im überhitzten Blut." Nicht nur einzelne Wendungen hat Hegemann übernommen, ganze Handlungsstücke aus "Strobo" tauchen in "Axolotl Roadkill fast unverändert wieder auf. So schreibt Hegemann: "Ich mache drei Schritte nach vorn und knalle rückwärts gegen irgendeinen sich im öffentlichen Raum befindlichen Werbeträger von Langnese. Ich drehe mich um und knalle rückwärts gegen einen grobporigen Typen in grünen Klamotten. Er [der Polizist] setzt mich in ein Taxi …" In "Strobo" liest sich die Passage so: "Ich steige aus, mache drei Schritte nach vorn und pralle rückwärts gegen die Bahn. Dann stehe ich auf, mache drei Schritte nach vorn und pralle rückwärts gegen die Bahn. Schließlich kommen zwei so grobporige Bahnbullen und verfrachten mich in ein Taxi."
Helene Hegemann hat inzwischen Stellung zu den Vorwürfen genommen. Sie entschuldigt sich für ihre Gedankenlosigkeit, verteidigt ihr Vorgehen aber als legitim. Sie habe eben einen Nullerjahre-Roman mit den Vorgehensweisen dieses Jahrzehnts geschrieben, "also mit der Ablösung von diesem ganzen Urheberrechtsexzess durch das Recht zum Kopieren und zur Transformation".
Ihr Verlag vertritt in der Urheberrechtsfrage die traditionelle Position. In einer zeitgleich verbreiteten Erklärung von Ullstein heißt es, Hegemann hätte ihre Quellen deutlich kennzeichnen und Zitate vom Urheber genehmigen lassen müssen. Ullstein bemüht sich nun beim Sukultur Verlag um eine nachträgliche Genehmigung. In der zweiten Auflage von "Axolotl Roadkill" wird der Blogger Airen auch in die Liste der Danksagungen am Ende des Buches aufgenommen. Ob ihm das genügt, ist noch offen.
Auf gefuehlskonserve.de geht derweil die Suche nach weiteren Inspirationsquellen von Helene Hegemann weiter. Auch einen Songtext der Band Archive soll Hegemann, ins Deutsche übersetzt, ungekennzeichnet übernommen haben. Plagiat oder Sample, wie man dies ähnlich von der elektronischen Musik her kennt? Ein Text der neu eingebettet auch etwas ganz Neues ergibt?
In der Literatur gilt dies bislang doch eher als Frevel, der mit Ächtung der Autorin und schlimmstenfalls mit eingestampften Auflagen enden kann. "Originalität gibts sowieso nicht, nur Echtheit", schreibt Hegemann in ihrer Erklärung. Dieses trotzige Statement einer mit der Remix-Kultur aufgewachsenen Autorin könnte schon ihr Ende sein - oder der Auftakt für eine neue Urheberrechtsdiskussion im Literaturbetrieb.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
Tod von Gerhart Baum
Einsamer Rufer in der FDP-Wüste
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören