Plädoyer für Weißrussland-Reisen: Auf nach Belarus!
Nur wenige Westeuropäer besuchen Weißrussland. Dabei würde ein intensiver Dialog zwischen den Menschen das autoritäre Regime Lukaschenkos weiter unter Druck setzen.
Auf nach Belarus? Jan weiß noch immer nicht, ob er in den Westen soll oder bleiben. In Weißrussland. Dem Land, in dem Alexander Lukaschenko seine Macht gerade erst mit Knüppeln verteidigt hat.
Eigentlich wollte Jan* seinem Land eine Chance geben. Nach dem Germanistikstudium in Deutschland ist er nach Grodno an der Memel zurückgekehrt. Seitdem arbeitet er als Aushilfe in einem Architekturbüro. Für 420 Euro im Monat. Gut für Grodnoer Verhältnisse, sagt er. Doch die eigene Wohnung, die er mit einem Kumpel bewohnte, musste Jan kündigen. Sie kostete 200 Dollar. Im Haus seiner Mutter ist auch Platz.
So schrumpft die Zukunft von Jan zusammen auf ein paar Quadratmeter und die Hoffnung auf ausländische Investoren. "Ich bin gut ausgebildet, spreche fließend Englisch und Deutsch, doch einem belarussischen Unternehmen ist das egal." Die Chance, die Jan seinem Land gibt, ist deshalb auch ein Ultimatum. "Wenn nicht bald Arbeitgeber aus dem Ausland kommen, die wissen, was sie an mir haben, muss ich dorthin, wo man mich braucht." Eine düstere Perspektive.
Das Land: Die Republik Weißrussland ist seit Dezember 1991 faktisch unabhängig. Nach dem Zerfall der UdSSR blieb sie Teil der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS).
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Der Präsident: Seit 1994 regiert Alexander Lukaschenko, "Europas letzter Diktator". Immer wieder droht die EU mit Sanktionen, Einreiseverboten und gegen seine Regierung.
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Die Gegner: Nach den letzten Wahlen in Weißrussland, am 19.Dezember 2010, war es zu massiven Protesten in der Bevölkerung gekommen, die mit harter Polizeigewalt unterdrückt wurde. Oppositionelle wurden kurzerhand ins Gefängnis gesperrt, darunter einige Präsidentschaftskandidaten.
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Die Freunde: Immer wieder zeigt sich Lukaschenko mit anderen unliebsamen Staatsoberhäuptern, wie Mahmud Ahmadinedschad oder Hugo Chávez.
Im Land des Alexander Lukaschenko grüßt nicht nur Lenin noch immer von den Plätzen. Auch der Anteil der staatlichen Betriebe und Kolchosen beträgt mehr als 80 Prozent. Olga wollte nicht auf Investoren warten. Um nicht länger arbeitslos zu sein, wollte sie einen Coffee-Shop eröffnen - und erlebte eine Reise durch die postsowjetische Bürokratie. "Zuerst sagte man mir, dass es Coffee-Shops in Weißrussland nicht gibt. Es gibt entweder Restaurants oder Cafés. Von der jeweiligen Kategorie hängt ab, wie viele Leute du einstellen musst. Auch den Namen für dein Geschäft kannst du dir nicht aussuchen. Das Gleiche gilt für die Preisgestaltung, die Gewinnspanne ist staatlich verordnet."
Doch das sei nicht alles, sagt Olga. "Mietverträge kannst du immer nur für ein Jahr abschließen, da lohnt sich keine Investition. Selbst wenn du eine Immobilie kaufst, gibt es die Konzession immer nur für ein Jahr." Auf einen Job in einem staatlichen Betrieb macht sich Olga keine Hoffnung. Sie hat vor einem Jahr eine Tierschutzinitiative gegründet. Seitdem ist sie bei den Behörden registriert. "Nun wissen sie, dass ich mich einmische." Das ist zwar gut für die Zivilgesellschaft, aber schlecht für eine berufliche Perspektive.
Weißrussland, heißt es, sei noch immer ein weißer Fleck auf der europäischen Landkarte. Dabei kann jeder nach Grodno in den Westen des Landes fahren, in die Hauptstadt Minsk oder nach Gomel an der Grenze zur Ukraine. Die Visaformalitäten sind im Vergleich zu Russland einfach, die belarussische Airline Belavia fliegt mehrmals in der Woche von Berlin-Schönefeld nach Minsk, die Menschen sind gastfreundlich, Kriminalität ist ein Fremdwort.
Vor allem aber ist Belarus reich an europäischem Kulturerbe. Die Adelspaläste in Mir und Njaswisch oder die Altstadt von Grodno sind Teil einer präsowjetischen Geschichte, in der das Land als Teil des Großfürstentums Litauen oder in der polnisch-litauischen Adelsrepublik ein Teil Europas war.
Wer also sagt, Weißrussland liege noch immer hinter einem Eisernen Vorhang, müsste ehrlicherweise sagen, dass das auch an denen liegt, die diesen Vorhang nicht beiseiteschieben. Jan und Olga würden sich jedenfalls freuen, wenn sie in den Cafés in Grodno Touristen aus dem Westen treffen würden. "Je mehr man in Deutschland über Belarus weiß, desto mehr steht das Regime unter Beobachtung", sagt Jan. Andere würden es "Dialog mit der Zivilgesellschaft" nennen.
Europäisches Kulturerbe
Der Kunstpalast in Minsk ist nicht weit entfernt vom Oktoberplatz, auf dem nach den Wahlen am 19. Dezember die Sicherheitskräfte auf die Demonstranten einschlugen. Im Kunstpalast hat Jaugen Schunejka, ein emeritierter Kunsthistoriker, vor einiger Zeit ein Konzert zum Gedenken an Czeslaw Niemen organisiert, der polnischen Rocklegende, die in Weißrussland geboren wurde. Der Kunstpalast, ein 70er-Jahre-Bau, hat mit staatlichem Pomp wenig gemein. Schon die Plakate und Graffiti an der Eingangstür signalisieren: Dies ist ein studentischer Ort, wie man ihn auch aus Berlin kennt.
Das Gleiche gilt für das Publikum: Die meisten Besucher kommen mit Parka, langen Haaren, schwarzem Rollkragenpullover. "Niemen ist auch in Belarus populär", erklärt Schunejka den Andrang. "Die meisten jungen Leute in Minsk waren schon in Polen oder Litauen. Sie vergleichen ihre Stadt nicht mit Moskau oder Kiew, sondern mit Warschau und Wilna." Der Dialog mit dem Regime in Minsk, den die EU mit der Aussetzung der Sanktionen begonnen hat, ist gescheitert. Der Dialog mit den Menschen zwischen Memel und Dnjepr steht erst am Anfang. Voraussetzung dafür ist Reisefreiheit.
Kurz nach den Ereignissen am Wahlabend des 19. Dezember hat Polen seine Visagebühren für weißrussische Staatsbürger abgeschafft. Wenn den anderen Schengenstaaten tatsächlich etwas am Dialog liegt, sollten sie dem Beispiel Warschaus folgen. Auf nach Belarus, das gilt für den Westen. Grenzen auf, das ist die Einladung zum Gegenbesuch. Jan aus Grodno weiß, wie wichtig es für junge Belarussen ist, im Westen gewesen zu sein.
"Das Studium in Deutschland war nicht leicht, aber es war eine Herausforderung", erinnert er sich an seine Zeit als Stipendiat des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD) in Osnabrück. "Es war ganz anders als in Weißrussland, mehr Verantwortung, mehr Selbstständigkeit. Alles hing von mir ab, das war eine große Motivation." Als Jan nach dem Studium nach Grodno zurückkehrte, sagt er, "war das ein richtiger Kulturschock".
Olga hat sich inzwischen entschieden - gegen den ständigen Kulturschock und gegen Weißrussland. Vor einigen Jahren hat sie einen Deutschen geheiratet und mit ihm in Belarus gelebt. Nun geht es in die andere Richtung, auch wenn sie noch nicht weiß, was sie in Deutschland erwartet. Wie wichtig es ist, frei reisen zu können, hat sie in den Jahren zuvor selbst erlebt. Nach den absurden Behördengängen in Grodno ist sie - dank eines Jahresvisums für den Schengenraum - immer mal ins benachbarte Druskininkai gefahren. Der litauische Kurort an der Memel hat zwar nur ein Zehntel der Einwohner von Grodno. "Doch dafür", lacht Olga, "hat Druskininkai zehnmal so viele Cafés."
*Namen geändert
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