Piratin über Geschlechterrollen: „Kinder haben keine freie Wahl“

Jungs tragen Blau, Mädchen Rosa? Manuela Schauerhammer will ihre Kinder ohne Geschlechterklischees erziehen – doch das ist anstrengend. Da können selbst die Piraten nicht helfen.

Wem gehört welcher Rucksack? Geschlechterklischees dominieren – noch. Bild: ap

taz: Frau Schauerhammer, wie oft mussten Sie in der Schwangerschaft beantworten, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird?

Manuela Schauerhammer: Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Ich weiß aber, dass es für mich ein echter Schock war, zu merken: Mir ist gar nicht egal, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Auch der Versuch, damit bewusst neutral umzugehen, ist ziemlich schnell fehlgeschlagen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel, wenn man von Leuten Besuch bekommt, die dann sagen: Ach, es wird ein Junge. Einfach weil man es dem Kleiderschrank wohl doch angesehen hat. Es ist ziemlich schwer, Dinge zu kaufen, die geschlechtsneutral sind. Schon für Babys gibt es fast nur einordnende Mädchen- und Jungs-Sachen. Auf den blauen ist ein kleines Monster, ein kleiner Helikopter oder so etwas. Und auf den rosafarbenen eine Prinzessin oder ein kitschiges Pony.

Was war der Auslöser, zu sagen, Sie wollen Ihre Kinder bewusst geschlechtsunabhängig erziehen?

32, ist freie Texterin und PR-

Strategin. 2009 trat sie in die Piratenpartei ein. Sie betreibt auch ein Blog.

Mein Partner und ich haben unsere Kinder während des Studiums bekommen. Schon damals haben wir uns mit solchen Themen auseinandergesetzt - zum Beispiel habe ich meine Diplomarbeit zu den Gleichstellungsrichtlinien in Deutschland und Frankreich geschrieben. Weil die Sensibilität da war, dachten wir, dass es für uns relativ einfach werden würde, Klischees eben nicht zu reproduzieren.

War es dann aber nicht?

Nein. Mir fiel zum Beispiel auf, dass ich es mitunter schön fand, wenn Leute auch wahrnahmen, ob mein Baby ein Mädchen oder ein Junge ist. Das war für mich schon überraschend und hat einiges an Auseinandersetzung gebraucht, bis sich das geändert hat.

Sie sind Mitglied der Piratenpartei, auch die will erreichen, dass die Geschlechterzugehörigkeit eine geringere Rolle spielt. Erziehen viele Piraten-Eltern so wie Sie?

Das kann ich gar nicht so genau sagen. Ich glaube aber, dass es in alternativen Kreisen recht verbreitet ist, sich kritisch mit herkömmlichen Strukturen und Stereotypen auseinanderzusetzen, und das betrifft dann auch Erziehungsfragen.

Und wie reagieren Sie, wenn Ihr Sohn in rosa Kleidung auf die Straße will?

Wenn er meint – kein Problem. Als er aber mit drei, vier Jahren mal Haarspangen tragen wollte, musste ich mich schon erst mal fragen: Warum fällt mir das jetzt überhaupt auf? Und wie gehe ich mit meiner Aufmerksamkeit um, so dass sie ihn nicht beeinflusst? Denn schon in dem Moment, wo er merkt, dass mir das auffällt, wird ihm natürlich klar, dass hier irgendetwas nicht der Norm entspricht.

Haben Sie ihn auf diskriminierende Kommentare vorbereitet?

Ich hatte damals das Gefühl, ich müsste das besprechen. Aber heute glaube ich nicht mehr, dass das unbedingt der beste Weg ist. Denn damit zeige ich natürlich, dass ich dem Rest der Gesellschaft nicht zutraue, cool damit umzugehen.

Ist die Gesellschaft denn gelassen genug, mit einem Rosa tragenden Jungen umzugehen?

Unser Bekanntenkreis ist aufgeschlossen und lebt teilweise recht unkonventionell, die Kinder sind ziemlich frei. Im Freundeskreis meiner Kinder scheint es mir eher unwichtig, wer was anzieht, Rollenbilder sind nicht so stark präsent. Aber das ist nicht der gesellschaftliche Durchschnitt und dessen bin ich mir bewusst. Es gibt natürlich Gegenden und gesellschaftliche Spektren, in denen Geschlechterklischees noch viel stärker verankert sind. Und in denen diese Klischees gar nicht hinterfragt werden, weil andere Probleme viel drängender sind.

Sind Sie nie angeeckt mit Ihrer Position?

Man darf da nicht missionieren. Nur weil die Forderungen nach geschlechtsneutraler Erziehung für mich nicht radikal sind, heißt das nicht, dass andere das auch so sehen.

Es gibt immer wieder Studien, die nahelegen, unterschiedliche Verhaltensweisen seien zumindest teilweise genetisch bedingt …

… und es gibt andere Studien, die das Gegenteil zeigen. Das Problem ist, dass die Fixierung auf vorgegebene Geschlechterrollen diskriminiert. Ja, unsere Gesellschaft ist heute in vielen Punkten offener als noch vor 50 Jahren. Aber ich glaube, dass ganz viel davon nur eine theoretische Offenheit ist. Selbst wenn heutzutage jede und jeder sich eigentlich geben und anziehen kann, wie er, sie oder es möchte - ganz viele tun es eben doch nicht. Und warum? Weil es einen Konsens gibt, was als normal gilt. Menschen tendieren dazu, gesellschaftskonform zu handeln.

Lässt sich als EinzelneR etwas dagegen tun?

Wir sollten immer mal hinterfragen: Was von meiner Entscheidung kommt eigentlich von mir? Und was von einem gesellschaftlichen Bild?

Wie schwer fällt es Ihnen, sich diesem Bild zu widersetzen?

Das wird um so schwieriger, je stärker der Druck ist. Wenn Kinder ständig von Klischees umgeben sind, kann man nicht mehr behaupten, dass sie eine wirklich freie Wahl hätten. Wenn beispielsweise ein Kind morgens sagt, ich möchte heute ein Junge sein, damit ich im Kindergarten Bauarbeiter spielen kann, dann muss man sich fragen, woher das kommt. Ist das innovativ, weil das Kind sich seine Geschlechterrolle einfach aussucht und damit was ganz Neues macht? Oder ist das tradiert, weil das Kind schon verinnerlicht hat, dass in unserer Gesellschaft nur bestimmte Menschen bestimmte Berufe ausüben? Ich glaube, es schadet, wenn auf jedem Spielzeug mit Bausachen ein Junge drauf ist. Das gibt starre Rollenbilder vor und diskriminiert in der Auswahl dessen, was man sein kann.

Die Einflüsse kommen ja aber nicht nur von den Eltern, sondern auch von Verwandten, dem Kindergarten, aus der Werbung.

Ja, die Kinder sind immer Teil ihrer Umwelt, das lässt sich nicht ausblenden. So hatte unser Sohn eine Bauarbeiterphase, unsere Tochter eine Prinzessinnenphase. Ganz klassisch. Da ist dann die Frage: Inwieweit lässt man das unkommentiert zu, inwieweit diskutiert man das oder denkt sich, das geht schon vorbei.

Und?

Wir haben eine Zeit lang versucht, die Kinder solche Phasen ausleben zu lassen. Aber irgendwann haben wir gemerkt, dass wir sie mit diesen Eindrücken nicht allein lassen sollten - sie werden sonst einfach überflutet. Kinder frei aufwachsen zu lassen kann nicht heißen, sie ihrer Umwelt auszuliefern.

Was heißt das?

Immer wieder reden, Sachen erklären. Unsere Kinder erleben das praktischerweise auch in ihrem Umfeld, und ich nehme selbst auch gerne eine Bohrmaschine in die Hand. Bücher, in denen Rollenstereotype ganz selbstverständlich durchbrochen werden, gibt es leider zu wenige, daher habe ich manchmal selbst gemalt und geschrieben.

Klingt anstrengend.

Es ist wahnsinnig anstrengend. Ein besonders absurdes Beispiel, das mir kürzlich bei einer Recherche untergekommen ist, sind Windeln. Es gibt Windelslips - das sind quasi Windeln für Kinder, die nicht mehr ganz klein sind - inzwischen für Mädchen und Jungs. Ich dachte erst, vielleicht gäbe es dafür physiologische Gründe, dass die Windeln besser angepasst sind oder so. Aber die Herstellerfirma hat mir ausdrücklich versichert, dass ausschließlich das Design unterschiedlich ist.

Eigentlich kämpfen Sie als Eltern auf verlorenem Posten, oder?

Ich kann meinen Kindern Werte mitgeben. Die ganze Gesellschaft lässt sich damit nicht gleich umkrempeln.

Was soll die Piratenpartei da ändern können?

Eine komplett geschlechtsneutrale, also nicht einordnende Gesellschaft ist noch Utopie. Aber es würde schon helfen, eine Gesellschaft so zu organisieren, wie die Piraten das in ihrem Programm fordern. Zum Beispiel, dass das Geschlecht gar nicht mehr erfasst wird, etwa auf dem Personalausweis.

So etwas wie eine Frauenquote kann man dann aber auch vergessen.

Das stimmt, das könnte ein Nachteil sein. Gerade deshalb ist mir auch die Diskussion, wie sich Diskriminierungen stattdessen abbauen lassen, wichtig. Ich glaube, es ist eine Chance, wenn eine jüngere Generation bestimmte Normen hinterfragt, aktiv ablehnt und eine neue Form von Gesellschaft leben will.

Glauben Sie, dass Stereotype verschwänden, wenn jeder Mensch geschlechtsunabhängig aufwachsen würde?

Ich denke nicht, das Stereotype generell verschwinden. Sie gehören wohl zu einer Gesellschaft dazu. Aber sie müssten sehr viel durchlässiger werden. Eine Gesellschaft sollte zulassen, dass Menschen heute in einer Schublade sein können und morgen in der anderen. Dann wären sie Möglichkeiten, aber kein Zwang mehr.

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