Piratenpartei im Abgeordnetenhaus: Die Nicht-Repräsentativen

Launige Sprüche, schlabbrige Motto-Shirts und Strickjacken, lange Haare und Fusselbärte. Die gewählten Piraten stellen sich erstmals im Abgeordnetenhaus vor.

Da sind die neuen in ihrem neuen Zuhause. Bild: reuters, Thomas Peter

Vor dem Podium türmen sich Kameras über Kameras - und dann funktioniert der Beamer nicht. "Gibt's da keine Fernbedienung?", fragt Pirat Christopher Lauer. Ein Mitarbeiter des Abgeordnetenhaus rüffelt: "Da kümmert man sich eine halbe Stunde früher drum." Später streckt Lauer einfach seinen Laptop den Journalisten entgegen, um die Homepage der Piratenfraktion vorzustellen. "Sie können auch nachher noch Nahaufnahmen vom Internet machen."

Es ist das erwartete bißchen Chaos, das die Piraten auf ihrer ersten Pressekonferenz nach den 8,9 Prozent bei der Wahl am Sonntag, fabrizieren. Vorne wechseln sich zehn Neuparlamentarier ständig vor den Mikros ab, fast jeder darf mal was sagen. Basisdemokratie eben. Auf der anderen Seite drängeln sich die Journalisten. "Der Andrang überrascht uns jetzt schon ein bißchen", eröffnet Spitzenkandidat Andreas Baum die Runde bescheiden. Dabei ist klar: Das hier hat was Historisches.

15 Sitze im Abgeordnetenhaus holten die Piraten - mehr Kandidaten standen ohnehin nicht auf der Landesliste. Dazu kommen 56 Mandate in den Bezirksparlamenten. Allein in Friedrichshain-Kreuzberg bekam die Partei 14,3 Prozent. Um drei oder vier Uhr habe er die Wahlparty verlassen, sagt Baum. "Das war alles wie im Film." Jetzt, am Montagmittag, wirkt der 33-Jährige aufgeräumt: "Wir kriegen das hin." Zuerst wolle man sich nun um Transparenz und Bürgerbeteiligung im Abgeordnetenhaus kümmern.

Vorerst gibt es launige Sprüche, schlabbrige Motto-Shirts und Strickjacken, lange Haare und Fusselbärte. Gerwald Claus-Brunner steht mit blauer Latzhose und um den Kopf gewickeltem Pali-Tuch hinterm Podium. Er laufe seit 20 Jahren so rum, sagt der 39-jährige, bisexuelle Mechatroniker. "Das wird sich auch jetzt nicht ändern." Seine Schwerpunkte werde er auf "Arbeit, Wirtschaft und Queerpolitik" legen. Daneben spielt Lauer - graues Jackett, Hornbrille - mit seinem Smartphone, spricht später von "liquid democracy" und "buzzwords".

Fraktionszwang? "Kann ich mir gerade nicht vorstellen", sagt Baum. Ein Pirat bedankt sich bei dem Grünen Benedikt Lux, der ihm vor einiger Zeit eine Einweisung ins Abgeordnetenhaus gegeben habe. Ein anderer will sich für kostenlosen Nahverkehr stark machen. "Erst hab ich das auch für eine Schnapsidee gehalten." Dabei sei das Ganze so visionär "wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen".

Die Klischees scheinen zu stimmen: Knapp die Hälfte der 15 Piraten ist nicht älter als 30. Software-Entwickler, Studenten, ein Diplomphysiker und ein Industrieelektroniker sind darunter. Und eine 19-jährige Abiturientin. Die aber fehlt bei der ersten Pressekonferenz. Keine Zeit, heißt es. "Warum fragen Sie nicht nach einer Migranten- oder Arbeiterquote?", antwortet Lauer gereizt auf Nachfragen. "Gucken Sie uns doch an, wir sind nicht der repräsentative Durchschnitt."

Auch nach der Pressekonferenz umwuseln Journalisten die Neulinge. Eine Reporterin fragt Latzhosen-Mann Claus-Brunner, was der Unterschied zwischen großen und kleinen Anfragen sei. "Das müsst' ich nochmal genau nachgucken." Man müsse und werde viel lernen, sagt Lauer. Den Lernprozess werde die Fraktion öffentlich dokumentieren, im Internetblog. Auch über den Fraktionsvorsitz müsse man sich erst noch verständigen, sagt Spitzenkandidat Baum. Ob er nicht gesetzt sei? "Nö."

Das Leben werde jetzt wohl etwas strukturierter, sagt Martin Delius, lange Haare, Brille, Listenplatz 4. Den Job als Software-Entwickler werde er kündigen. "Sonst wüsste ich nicht, was sich ändern soll." Delius will Bildung zum seinem Fachgebiet machen, da habe er Erfahrung: als Studentenvertreter an der TU hat er den Bildungsstreik vor zwei Jahren mitorganisiert. Kann es jetzt, nach dem Sensationssieg, nur noch bergab gehen für die Piraten? Nicht doch, hält der 27-Jährige dagegen. Aber auch ihn baten Bekannten gleich nach den Glückwünschen: "Baut ja keinen Scheiß." Er habe da wenig Sorgen, sagt Delius. Das Thema Transparenz gelte ja zuerst für die eigene Fraktion. Da würden die Leute die Piraten schon zurechtstutzen, wenn's in die falsche Richtung gehe.

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