Piratenfraktion tagt im Wendland: Geigerzähler in der Autowerkstatt
Anlässlich des Castor-Transports nach Gorleben hat sich ein Teil der Berliner Piratenfraktion zur Sondersitzung im Wendland getroffen.
Die Anti-Atom-Banner können nicht verbergen, worum es sich bei diesem Ort handelt: eine Autowerkstatt. Werkzeuge hängen an den Wänden, auch das obligatorische Pin-up-Girl. An diesem Sonntagmittag aber steht auf dem Hof eine Feuertonne, weht vom Dach eine Großfahne der Piraten. Drinnen stehen Bierbänke, auf denen sich sieben der 15 Berliner Piraten-Fraktionäre niedergelassen haben - zu einer Sondersitzung im niedersächsischen Wendland anlässlich der Castor-Großproteste.
Ein Signal soll der Besuch sein, eine Unterstützung des "legitimen Widerstands", erklärt der parlamentarische Geschäftsführer Martin Delius. Und atomkritisch sei man auch in Berlin. Fordere doch die Partei als einzige die Abschaltung des Forschungsreaktors in Wannsee. Die Autowerkstatt stelle ein Sympathisant zur Verfügung, so Delius. Dann eröffnet er die Sitzung.
Ein Frau aus der "Sani-Zentrale" berichtet von knapp 150 verletzten Demonstranten durch die Polizei. "Bisschen viel für ein paar Einzelfälle", grummelt ein Pirat. Es habe Hofdurchsuchungen gegeben. "Deshalb unsere Forderung nach mehr Bürgerrechten!", wirft Delius ein. Zwanzig piratische Zuhörer lauschen. Außer Simon Kowalewski tippen alle in ihre Laptops. Kowalewski trägt dafür einen orangefarbenen Bauarbeiterhelm mit "Pirat"-Aufdruck. "Ich dachte, das passt", sagt er.
Fraktionär Alexander Morlang berichtet von seinem Ausflug zu den Schienenblockierern am Vortag. "Die Polizisten haben etwas gebraucht, um zu verstehen, dass sie mich durchlassen müssen, aber dann gings." Grinsen. Ein junger Mann misst mit einem Geigerzähler die "Sitzungsstrahlung" an den Biertischen: 0,16 Mikrosievert. "Ist okay", nickt Delius. Seit Fukushima messe man bei jeder Vorstandssitzung, erklärt er später.
Ein Pirat berichtet, der Vertreter des "Legal Team" habe abgesagt, er müsse Blockierer betreuen. "Meinungsbild bitte: Haben wir dafür Verständnis?", fragt Delius. Die Fraktion hat. Ein Zuhörer bemerkt, dass Berliner Polizisten keine Kennzeichnung tragen, obwohl sie dazu verpflichtet seien. "Dem gehen wir mit einer Anfrage im Abgeordnetenhaus nach", verspricht Delius.
Eine Stellungnahme wird verfasst: Die Polizei sei zuerst zum Schutz der Demonstranten da, hier aber schütze sie technische Anlagen. Mindestens ein AKW müsse pro Jahr stillgelegt werden, heißt es weiter. Ein Zuhörer fragt, ob man nicht einfügen könne, dass viele Polizisten auch einen guten Job machen würden. Wieder Meinungsbild. Alle dafür. Nach einer Stunde ist Schluss, die Piraten schwingen sich aufs Fahrrad, im Nieselregen zu den Blockadepunkten. Am Abend müsse man schon wieder zurück nach Berlin, bedauert Delius. "Die Arbeit ruft."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen