Piraten vor Somalia: Geiseldrama auf hoher See beendet
US-Spezialeinheiten befreien einen amerikanischen Kapitän. Kritiker der Operation befürchten eine Zunahme der Gewalt. Gerätselt wird weiter über die Fracht der Maersk Alabama.
Es ist der Stoff, aus dem große Dramen sind: ein Kapitän, der sich als Geisel zur Verfügung stellt, um Schiff und Besatzung zu retten; vier Piraten, die von Bord eines manövrierunfähigen Rettungsbootes aus das Geschäft ihres Lebens machen wollten; und eine militärische Supermacht, die mit drei Kriegsschiffen jede Bewegung an Bord des nur wenige hundert Meter entfernten Rettungsbootes verfolgte. Kein Wunder, dass die Geiselnahme auch dramatisch endete.
"Der Kommandant an Bord der ,USS Bainbridge' hat innerhalb von Sekunden entschieden, dass sich Kapitän Richard Phillips in akuter Lebensgefahr befindet", erklärte der Chef des Zentralkommandos der US-Marine, Vize-Admiral William Gortney, kurz nach der Befreiung am Samstagabend. Da hatten die Piraten offenbar ihre Waffen auf Phillips gerichtet, nachdem die US-Verhandlungsführer sich geweigert hatten, das geforderte Lösegeld von zwei Millionen US-Dollar zu bezahlen. "Drei Piraten wurden von Scharfschützen erschossen, der vierte ergab sich." Phillips Befreiung sei von Spezialeinheiten ausgeführt worden.
Dem 53-jährigen Phillips, dessen Schicksal in den vergangenen Tagen ganz Amerika bewegt hatte, geht es gut. Er soll bald nach Hause fliegen. Mit Jubelgebrüll reagierte Phillips Crew auf die Befreiung: Die 19 Seeleute an Bord der "Maersk Alabama" waren am Samstagabend in Kenias Hafenstadt Mombasa angekommen. "Wir haben es geschafft", rief ein Matrose von Bord der "Alabama" über Absperrungen hinweg Journalisten zu. "Captain Phillips ist unser Held", schrie ein anderer.
Doch nicht alle feiern. Andrew Mwangura, der die Piraterie vor Somalias Küste seit Jahren verfolgt, befürchtet, dass die gewaltsame Befreiung das Leben künftiger Geiseln gefährdet. "Man hat die Piraten gewalttätiger gemacht", so Mwangura. In der Vergangenheit sei den Geiseln nie etwas geschehen. "Jetzt wird es passieren, dass Piraten Geiseln umbringen, um so ihr eigenes Leben zu retten." Selbst US-Militär Gortney räumt das ein. "Dadurch könnte die Gewalt in diesem Teil der Welt zweifellos sprunghaft zunehmen." Mehrere Piratengruppen haben bereits mit Vergeltung gedroht.
In der Nacht zum Montag flogen zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden Armeehelikopter über Piratenhäfen an der somalischen Küste. "Erst töten sie unsere Freunde, dann müssen wir Angst vor Bombardements haben", so ein Pirat. "Amerika ist unser neuer Feind." Der Fall Phillips scheint auch Bewegung in die politische Debatte zu bringen. Der Kongressabgeordnete Donald Payne landete am Montag als erster US-Politiker seit dem traumatischen Tod mehrerer US-Soldaten 1994 in Mogadischu, um Gespräche mit der weitgehend machtlosen Übergangsregierung zu führen.
Nach der Freilassung von Phillips befindet sich jetzt noch ein amerikanisches Schiff in der Hand somalischer Seeräuber. Der Schlepper unter italienischer Flagge war am Samstag gekapert worden. Auch der deutsche Frachter "Hansa Stavanger" mit fünf deutschen Seeleuten an Bord wird seit mehr als einer Woche von Piraten festgehalten.
Gerätselt wird unterdessen über die Fracht an Bord der "Maersk Alabama". Laut offiziellen Angaben befindet sich in den Containern Lebensmittelhilfe für Ostafrika. Doch FBI und CIA, die kurz nach der Ankunft in Mombasa die Kontrolle über die "Alabama" übernommen haben, weigern sich kenianischen Zollbeamten zufolge, den Inhalt zu deklarieren. Es könnten militärisch heikle Güter darunter sein: Die "Maersk Alabama" ist Teil eines Spezialprogramms der Marine, mit dem vertrauenswürdige Schiffe für Militärtransporte akquiriert werden.
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