Piraten in Nordrhein-Westfalen: „Wir machen nicht auf Opposition“
Bernd Schlömer, Bundesvorsitzender der Piraten, spricht über den Erfolg in NRW und welche Rolle seine Partei dort jetzt spielen will. Er erklärt auch, warum er kein Linker ist.
taz: Herr Schlömer, Rot-Grün war in Nordrhein-Westfalen zu erfolgreich für eine Minderheitsregierung unter Beteiligung der Piraten. Jetzt sind Sie sicher traurig.
Bernd Schlömer: Nein. Die Piraten in Nordrhein-Westfalen werden dort, wo es thematisch und inhaltlich sinnvoll ist, mit der rot-grünen Regierung stimmen. Das galt für die Idee einer Minderheitsregierung, das gilt auch jetzt. Ich habe am Wahlabend Gespräche mit einigen Grünen führen können – und die stehen dieser Idee durchaus offen gegenüber. Ich gehe davon aus, dass kooperiert wird.
Sie gehen in die Opposition, ohne Opposition zu machen?
Ja. Es wird zumindest keine richtige Opposition in jenen Punkten geben, in denen die Piraten Ziele umgesetzt sehen möchten. Das gilt vor allem bei klassischen Piratenthemen, wo es etwa um Fragen von Transparenz und Urheberrechten geht.
Das Selbstbewusstsein, mit dem Sie sich den Regierenden angedeihen, ist ja fast schon dreist.
Wieso? Wir sind eine gesellschaftliche Strömung, die sich entschlossen hat, Partei zu sein, am Parlamentssystem teilzunehmen und zu Wahlen anzutreten. Dem entsprechend wollen wir unsere Themen und Inhalte natürlich auch durchsetzen. In dem sturen Bekenntnis, eine Oppositionspartei zu sein, gewinnt dieses Anliegen nichts. Unsere Rolle folgt der Strategie, dass in der Politik wieder stärker inhaltlich argumentiert werden soll.
41, trat im Mai 2009 in die Piratenpartei Deutschland ein, im April 2012 wurde er ihr Bundesvorsitzender. Der Diplomsozialwirt arbeitet als Regierungsdirektor im Bundesverteidigungsministerium. Schlömer lebt in Hamburg, ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Die Piraten sind mit 7,8 Prozent der Stimmen in den Landtag eingezogen. Trotzdem stehen Norbert Röttgen und die FDP im medialen Fokus. War es das jetzt mit dem Hype um Ihre Partei?
Ich glaube nicht, dass das den Piraten zum Schaden gereichen wird. Aber eines ist richtig: Die mediale Aufmerksamkeit, die die Piratenpartei in den letzten Monaten erlebt hat, muss man sehr kritisch betrachten.
Was genau?
Ich frage mich, ob die mediale Überzeichnung der Piraten uns wirklich so guttut. Viele Mitglieder der Piraten werden meiner Meinung nach zum Opfer einer Verwertungsindustrie, die lediglich die Quote zum Ziel hat. Auch die Piraten sind keine Oberbescheidwisser. Wir sind vielleicht Weltverbesserer und Menschenfreunde.
Mich interessiert aber auch, wie der neue Bundesvorsitzende der Piratenpartei tickt. Darf ich das nicht fragen?
Doch natürlich.
Wer ist der Mann aus dem Verteidigungsministerium: Sind Sie ein Soldat?
Nein. Ich bin ziviler Beamter und arbeite im Bundesministerium der Verteidigung. Dort bin ich zuständig für die Betreuung der beiden Bundeswehrhochschulen.
Sie waren aber mal Soldat?
Ich habe Wehrdienst geleistet, ja.
Gibt es einen bestimmten Soldatentypus, der Ihnen zusagt?
Nein. Ich habe Soldaten in meiner beruflichen Karriere immer als ausgewogene und kompetente Gesprächspartner, als Kollegen, auch als Bekannte oder manchmal Freunde kennengelernt. Selbst bei den Piraten gibt es ja auch einige engagierte Soldaten. Ich würde den Status des Soldaten, wie Sie ihn beschreiben, nicht überbetonen. Soldaten sind zunächst mal als Menschen ernst zu nehmen, die eine Aufgabe wahrnehmen. Das gilt für Soldaten genauso wie für Pädagogen, Priester, Politiker oder Journalisten.
Es gibt keinen Soldatentypus, der Sie schreckt?
Nicht in der Gegenwart. Ich habe natürlich Angst vor einem Soldatentypus, wie wir ihn aus der historische Erfahrung des dritten Reiches kennen.
Singen Sie gern die deutsche Nationalhymne?
Nein. Ich habe sie auch noch nie gesungen.
Sie wollten früher auch mal Knastchef werden. Tendieren Sie zum autoritären Charakter?
Ganz und gar nicht. Sie haben da ein falsches Verständnis von Strafvollzug. Ich bin Anhänger eines klassisch-liberalen Strafvollzuges. Als aufgeklärter Kriminologe ist es mir ein Anliegen, mich dafür einsetzen, den Straftäter im Vollzug adäquat auf ein künftiges Leben in Freiheit vorzubereiten. Das ist eine tolle und fordernde Aufgabe. Als Anstaltsleiter haben Sie viel Gestaltungsspielraum, wie sie die Vollzugsbedingungen von Gefangenen gestalten können. Das hat mich gereizt.
Sie wollen Knastparadiese?
Darum geht es nicht. Es geht darum, den Strafvollzug so zu gestalten, dass er zivilisiert ist und zugleich soziale Verantwortung lehrt, damit Strafgefangene künftig ein straffreies Leben verbringen können. Wenn ich das sagen darf: Ihre Frage ist tendenziös und missachtet Erkenntnisse der modernen Strafvollzugswissenschaft. Wenn Sie sich als linke Zeitung beschreiben, stoßen Sie vielen – übrigens auch linken – Kriminologen mit einer solchen Frage nahezu das Messer in die Brust. Diese Frage kann man so nicht stellen.
Ich wollte auf etwas anderes hinaus: Sie sind also doch ein Linker.
Nein, ich lehne das ab, mich in einem politischen Spektrum einzusortieren. Ich finde das zu schematisch. Ich bin ein liberal und tolerant handelnder und denkender Mensch.
Sie haben sich in den letzten Jahren und vor Ihrer Wahl zum Bundesvorsitzenden als ruhig, unterordnend und der Sache verpflichtet präsentiert. Das sind die Eigenschaften eines Parteisoldaten.
Sie können es versuchen, aber mit diesem Bild kommen Sie nicht sehr weit. Ich versuche, den Strukturen und Ideen der Partei als ihr Vorsitzender Rechnung zu tragen. Das bedeutet für mich, zurückhaltend zu sein und nicht sehr fordernd aufzutreten. Es bedeutet auch, zu versuchen, keine inhaltlichen Vorgaben zu formulieren, sondern koordinierend und positiv auf die Genese der Meinungsbildung bei den Piraten zu wirken. Wenn Sie mich politisch beschreiben wollen, dann vielleicht am ehesten als einen Hanseaten: urban, weltoffen, tolerant und liberal. Das ist aus meiner Sicht auch das, wofür die Piraten stehen.
Martin Kaul berichtet für die taz über die Piraten und twittert unter @martinkaul
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag