Pingpong durch den Jazz

MUSIKGESCHICHTE Beim „Plattenspieler“-Termin im HAU 2 plauderten Thomas Meinecke und Alexander von Schlippenbach über ihre Plattensammlungen

Der eine sagte „Jatz“, und der andere sprach immer vom „Dschäss“. Und dass der doch „eher was wie Oliven“ sei. Dass man dabei eben erst später und nicht bereits als Kind auf den Geschmack komme. Außerdem war man am Anfang höflich per Sie und wechselte fast unmerklich im Lauf des Abends zum Du. Es war also die Geschichte einer Annäherung.

Am Montagabend im HAU 2 am Halleschen Ufer, beim „Plattenspieler“-Termin. Eine schlichte Gesprächsanordnung, bei der sich zwei Menschen gegenseitig Platten vorspielen und dazu die jeweiligen Plattenhüllen an die Wand projizieren, damit das Publikum auch was zu gucken hat. Gastgeber dieses nun seit fast fünf Jahren bewährten Formats ist der Schriftsteller und F.S.K.-Musiker Thomas Meinecke. Der an dem Abend immer vom „Dschäss“ sprach. Sein Gast war Alexander von Schlippenbach. Und dass der „Jatz“ zum Jazz sagte, war gleich ein erster Hinweis, dass der Berliner Musiker und Freejazz-Miterfinder, Jahrgang 1938, nicht mehr unbedingt zur ganz jungen Generation zu zählen ist. Weil sich das „Jatz“ für den Jazz eben eher im Sprachschatz der Älteren findet.

Seit vorpubertären Tagen

Gleich mit den einleitenden Worten äußerte Meinecke seine Freude darüber, dass das mit den Oliven für ihn so gar nicht gelte, weil er sich mit Schlippenbach an seiner Seite „ganz unverblümt als Jazzfan aus bereits vorpubertären Tagen“ outen könne. Auch sein Gast bekannte, sich schon in frühester Jugend mit Jazzplatten eingedeckt zu haben. Als Gegengift zum in der Schule gehuldigten Richard Wagner. Nicht zuletzt geht man zu den „Plattenspieler“-Terminen, weil hier das Private öffentlich gemacht wird und man schlicht neugierig ist, was die Gäste da so aus ihren Sammlungen ziehen.

Zum Einstieg war das eine Aufnahme von Louis Armstrong, die Schlippenbach auflegte. New-Orleans-Jazz, ganz am Anfang der Jazzgeschichte. Und Pingpong ging es weiter durch den Jazz, Jelly Roll Morton, Bix Beiderbecke. Beim Bebop war man an den beiden Plattenspielern bereits per Du, mit Eric Dolphy stand man an der Schwelle zum Free Jazz. Freudig erregt stöberte Meinecke in seiner Sammlung und schob „eine Platte, die ich mit 14 schon gekauft habe“ unter den Beamer. Leicht mit dem Kopf nickend bestätigte er den Rhythmus der Musik. Schlippenbach daneben, etwas in sich versunken und mehr nach innen hörend. Das Publikum im gut gefüllten Saal – fast durchweg in einem Alter, in dem man mit Schallplatten noch aus der eigenen musikalischen Praxis vertraut sein müsste – nahm die Fingerschnippmusik geduldig hin wie bei einem Volkshochschulkurs.

Dabei musste man durchaus einiges aushalten. Dass Meinecke zwischendurch gern den besserwisserischen Nerd gab etwa und sich lieber an Jahreszahlen klammerte, wann welche Platte nun erschienen sei, anstatt auch mal nachzufragen bei seinem Gast. Wieso zum Beispiel das Bündnis zwischen dem Free Jazz und der Neuen Musik, wie Schlippenbach nebenbei mal andeutete, nicht funktionierte? Aber möglicherweise wäre das auch arg speziell geworden.

Natürlich blieben auch an diesem „Plattenspieler“-Termin die meisten Fragen unbeantwortet. Und zum Schluss hatte man verblüffenderweise an dem Abend doch wieder, Stück für Stück, eine Geschichte erzählt. Was vielleicht an der Musik lag. „Es hat sich alles recht logisch entwickelt im Jazz“, meinte Schlippenbach, und dass statt irgendwelcher Umstürze interessanter sei, wie sich die Dinge in einer musikalischen Notwendigkeit aus sich heraus entwickeln. In Blickrichtung nach vorn: „Revolutionen in der Musik sind eigentlich gar nicht so toll.“ THOMAS MAUCH